Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung. frei über die Untersuchung reden und das, was Gesetz und Gericht als geheim Der Nachteil, den dieser Zustand der Dinge mit sich brachte, ist auch Seit einer Reihe von Jahren wird gegen das deutsche Reich von Frankreich Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung. frei über die Untersuchung reden und das, was Gesetz und Gericht als geheim Der Nachteil, den dieser Zustand der Dinge mit sich brachte, ist auch Seit einer Reihe von Jahren wird gegen das deutsche Reich von Frankreich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202952"/> <fw type="header" place="top"> Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> frei über die Untersuchung reden und das, was Gesetz und Gericht als geheim<lb/> gewahrt wissen wollen, in die weitesten Kreise tragen. Diese Umstände haben<lb/> es dahin gebracht, daß die Wirkungen des Gesetzes geradezu vereitelt wurden.<lb/> Denn die geheimen Verhandlungen sind gerade diejenigen, welche die Neugier<lb/> am meisten reizen und den Zeitungen einen willkommenen Stoff zu Berichten<lb/> liefern. Da die Presse jetzt ein Gewerbe geworden ist, das von den Gewerb-<lb/> treibenden nach Möglichkeit ausgenutzt und verwertet wird, so ist nicht nur nach<lb/> den geheimen Verhandlungen eine förmliche Jagd entstanden, sondern Spezial-<lb/> berichterstatter, die gleichzeitig ohne Unterschied der Parteirichtung die zahlreichsten<lb/> Organe versehen, verstehen es, aus den geheimen Gerichtssitzungen ungefähr alles<lb/> zu ermitteln. Es gelingt ihnen, von den Nechtsanwälten schon vor der Ver¬<lb/> handlung die den Thatbestand enthaltende Anklageschrift zu erlangen; sie be¬<lb/> fragen die einzelnen Zeugen und wohnen der Verkündung der Gründe an, der¬<lb/> gestalt, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit zu einer Komödie herabgesunken ist<lb/> und der sonst so oft angerufenen Majestät des Gesetzes Hohn spricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_560"> Der Nachteil, den dieser Zustand der Dinge mit sich brachte, ist auch<lb/> nicht ausgeblieben; denn die staatlichen Einrichtungen darf man nicht bloß<lb/> darnach beurteilen, daß sie sich in ruhigen und regelmäßigen Zeiten bewährt<lb/> haben, vielmehr kommt es für ihren Wert oder Unwert darauf an, ob sie auch<lb/> für weniger ruhige und für kritische Verhältnisse genügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_561" next="#ID_562"> Seit einer Reihe von Jahren wird gegen das deutsche Reich von Frankreich<lb/> aus ein System von Spionage in Anwendung gebracht, welches selbst in Kriegs-<lb/> zeiten das völkerrechtlich zulässige Maß überschreiten würde. Durch öffentlich ver¬<lb/> kündete Urteile des Reichsgerichtes, welches in Landes- und Hochverratssachen<lb/> ausschließlich zuständig ist, wurde festgestellt, daß in Paris ein förmlich eingerich¬<lb/> tetes Bureau besteht, dessen Aufgabe es ist, die für die äußere Sicherheit des<lb/> Reiches notwendig und geheim zu haltenden Nachrichten über Armee, Festungen<lb/> und Marine auszukundschaften. Die viel geschmähte Staatspolizei in Deutschland<lb/> und der in der Exekutive so bewährte und deshalb so sehr verleumdete Polizei¬<lb/> direktor Krüger haben init großen Opfern in zahlreichen Fällen die Ermittelung<lb/> der in Deutschland thätigen Spione und ihre gerichtliche Verurteilung herbei¬<lb/> geführt. Aber trotz aller Vorsicht und der unter Ausschluß der Öffentlichkeit<lb/> veranstalteten Verhandlungen ist es doch dahin gekommen, daß unsre Gegner<lb/> neuen Nutzen daraus gezogen haben. Denn das Gericht mußte im wesentlichen<lb/> dieselben Thatsachen, wegen deren Übermittelung an eine fremde Negierung es<lb/> den Angeklagten verurteilte, in der Form der Gründe selbst weiter verbreiten.<lb/> Ja wenn zuweilen nur ein Versuch des Landesverrates vorlag, weil es nicht<lb/> erwiesen war, ob die in Rede stehenden Nachrichten auch zur Kenntnis der<lb/> fremden Regierung gelangt waren, so erfuhr die letztere es jedenfalls aus den<lb/> Verhandlungen, und so ereignete sich der ungeheuerliche Fall, daß das höchste<lb/> Gericht des Reiches durch seine amtliche Thätigkeit objektiv den von dem An-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.
frei über die Untersuchung reden und das, was Gesetz und Gericht als geheim
gewahrt wissen wollen, in die weitesten Kreise tragen. Diese Umstände haben
es dahin gebracht, daß die Wirkungen des Gesetzes geradezu vereitelt wurden.
Denn die geheimen Verhandlungen sind gerade diejenigen, welche die Neugier
am meisten reizen und den Zeitungen einen willkommenen Stoff zu Berichten
liefern. Da die Presse jetzt ein Gewerbe geworden ist, das von den Gewerb-
treibenden nach Möglichkeit ausgenutzt und verwertet wird, so ist nicht nur nach
den geheimen Verhandlungen eine förmliche Jagd entstanden, sondern Spezial-
berichterstatter, die gleichzeitig ohne Unterschied der Parteirichtung die zahlreichsten
Organe versehen, verstehen es, aus den geheimen Gerichtssitzungen ungefähr alles
zu ermitteln. Es gelingt ihnen, von den Nechtsanwälten schon vor der Ver¬
handlung die den Thatbestand enthaltende Anklageschrift zu erlangen; sie be¬
fragen die einzelnen Zeugen und wohnen der Verkündung der Gründe an, der¬
gestalt, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit zu einer Komödie herabgesunken ist
und der sonst so oft angerufenen Majestät des Gesetzes Hohn spricht.
Der Nachteil, den dieser Zustand der Dinge mit sich brachte, ist auch
nicht ausgeblieben; denn die staatlichen Einrichtungen darf man nicht bloß
darnach beurteilen, daß sie sich in ruhigen und regelmäßigen Zeiten bewährt
haben, vielmehr kommt es für ihren Wert oder Unwert darauf an, ob sie auch
für weniger ruhige und für kritische Verhältnisse genügen.
Seit einer Reihe von Jahren wird gegen das deutsche Reich von Frankreich
aus ein System von Spionage in Anwendung gebracht, welches selbst in Kriegs-
zeiten das völkerrechtlich zulässige Maß überschreiten würde. Durch öffentlich ver¬
kündete Urteile des Reichsgerichtes, welches in Landes- und Hochverratssachen
ausschließlich zuständig ist, wurde festgestellt, daß in Paris ein förmlich eingerich¬
tetes Bureau besteht, dessen Aufgabe es ist, die für die äußere Sicherheit des
Reiches notwendig und geheim zu haltenden Nachrichten über Armee, Festungen
und Marine auszukundschaften. Die viel geschmähte Staatspolizei in Deutschland
und der in der Exekutive so bewährte und deshalb so sehr verleumdete Polizei¬
direktor Krüger haben init großen Opfern in zahlreichen Fällen die Ermittelung
der in Deutschland thätigen Spione und ihre gerichtliche Verurteilung herbei¬
geführt. Aber trotz aller Vorsicht und der unter Ausschluß der Öffentlichkeit
veranstalteten Verhandlungen ist es doch dahin gekommen, daß unsre Gegner
neuen Nutzen daraus gezogen haben. Denn das Gericht mußte im wesentlichen
dieselben Thatsachen, wegen deren Übermittelung an eine fremde Negierung es
den Angeklagten verurteilte, in der Form der Gründe selbst weiter verbreiten.
Ja wenn zuweilen nur ein Versuch des Landesverrates vorlag, weil es nicht
erwiesen war, ob die in Rede stehenden Nachrichten auch zur Kenntnis der
fremden Regierung gelangt waren, so erfuhr die letztere es jedenfalls aus den
Verhandlungen, und so ereignete sich der ungeheuerliche Fall, daß das höchste
Gericht des Reiches durch seine amtliche Thätigkeit objektiv den von dem An-
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