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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

ihm aufzusetzen vorhatte, waren nicht von der Art, daß sie jene Mängel aus¬
geglichen und ihn in Berlin empfohlen hätten, ganz zu geschmeigen, daß eine
preußische Prinzessin, die ihn heiratete, in der Zeit der ersten Werbung Gefahr
lief, in das Schicksal verwickelt zu werden, das ihn später ereilte. Aber abge¬
sehen von diesen Bedenken, die vor zwei Jahren gegen das englische Projekt
sprachen, vergegenwärtigen wir uns einmal die Gefahren, die heraufbeschworen
worden wären, wenn der Plan, als er jetzt wieder aufgenommen wurde, die
Billigung Kaiser Friedrichs gefunden hätte. Der Bcittenberger ist, wie die Welt
weiß, dem Kaiser Alexander reichlich so verhaßt, wie er der Königin Viktoria
xersons, AratissimÄ ist, er ist den: Zaren vielleicht die verhaßteste Persönlichkeit,
welche er kennt, el" Gegenstand seines bittersten Zornes und seiner tiefsten Ver¬
achtung -- Superlative, zu denen Maßregeln wie der bekannte, unter Fürsten
unerhört schroffe Brief und die Streichung des Prinzen aus der Liste der rus¬
sischen Generale allein schon berechtigen. Und diese Gefühle waren, wenn man
billig sein will, keineswegs unverdient. Rußland hatte, was auch seine letzte
Absicht gewesen sein mag, Bulgarien befreit und sich dadurch ein Recht er¬
worben, es bei seiner Politik an seiner Seite zu sehen, bei der Verwaltung des
Landes vorwiegend Einfluß zu üben, es wenigstens nicht gegen seine Interessen
gestalten und Front machen zu lassen. Dieses Recht sollte dadurch wahrge¬
nommen und gesichert werden, daß Rußland dem Fürstentume eine Verfassung,
wie sie ihm nützlich erschien, und in Alexander von Ballenberg im Einvernehmen
mit den Mächten des Berliner Friedens einen Herrscher gab, der als Neffe der da¬
maligen russischen Kaiserin eine Bürgschaft dafür zu sein schien, daß auf russische Be¬
dürfnisse und Wünsche jede irgend mögliche Rücksicht genommen werden würde.
Das geschah denn auch in den ersten Jahren. Allmählich aber sah man die Be¬
ziehungen des Fürsten zu Nußland sich verändern, sein Verhältnis zu dessen Politik
sich lockern und erkälten, und was man nicht sah, war, daß sich in der Stille eine
völlige Frontveränderung vollzog, durch welche der Fürst, von der englischen Politik
bei seinem Ehrgeize gefaßt, zum Diener der britischen Interessen am Balkan wurde.
Der Plan Englands ging dahin, Nußland in der Umbildung des Fürstentums
Bulgarien zu einem Ostrumelien einschließenden Staate neben Rumänien ein
zweites ernstes Hindernis in den Weg zu stellen und sich in Bulgarien einen
Beistand zu sichern, der aus Dankbarkeit für die Vergrößerung und aus eignem
Interesse gewährt werden würde. Nußland schöpfte endlich Verdacht, und die
Entfremdung zwischen ihm und Bulgarien nahm zu, Fürst Alexander versuchte
zu beschwichtigen, er gab Versprechungen und schöne Worte aller Art, aber ins¬
geheim gingen seine Verhandlungen mit den englischen Agenten fort, und während
er noch zuletzt in Franzensbad dem russischen Minister des Auswärtigen die be¬
stimmte Zusicherung erteilte, sich jeder Veränderung in Ostrumelien enthalten
zu wollen, wurde von Karciwelow mit seinem Vorwissen die Revolution in
Philippopel vorbereitet, welche die Vereinigung jener türkischen Provinz mit


Fremde Einflüsse im Reiche.

ihm aufzusetzen vorhatte, waren nicht von der Art, daß sie jene Mängel aus¬
geglichen und ihn in Berlin empfohlen hätten, ganz zu geschmeigen, daß eine
preußische Prinzessin, die ihn heiratete, in der Zeit der ersten Werbung Gefahr
lief, in das Schicksal verwickelt zu werden, das ihn später ereilte. Aber abge¬
sehen von diesen Bedenken, die vor zwei Jahren gegen das englische Projekt
sprachen, vergegenwärtigen wir uns einmal die Gefahren, die heraufbeschworen
worden wären, wenn der Plan, als er jetzt wieder aufgenommen wurde, die
Billigung Kaiser Friedrichs gefunden hätte. Der Bcittenberger ist, wie die Welt
weiß, dem Kaiser Alexander reichlich so verhaßt, wie er der Königin Viktoria
xersons, AratissimÄ ist, er ist den: Zaren vielleicht die verhaßteste Persönlichkeit,
welche er kennt, el» Gegenstand seines bittersten Zornes und seiner tiefsten Ver¬
achtung — Superlative, zu denen Maßregeln wie der bekannte, unter Fürsten
unerhört schroffe Brief und die Streichung des Prinzen aus der Liste der rus¬
sischen Generale allein schon berechtigen. Und diese Gefühle waren, wenn man
billig sein will, keineswegs unverdient. Rußland hatte, was auch seine letzte
Absicht gewesen sein mag, Bulgarien befreit und sich dadurch ein Recht er¬
worben, es bei seiner Politik an seiner Seite zu sehen, bei der Verwaltung des
Landes vorwiegend Einfluß zu üben, es wenigstens nicht gegen seine Interessen
gestalten und Front machen zu lassen. Dieses Recht sollte dadurch wahrge¬
nommen und gesichert werden, daß Rußland dem Fürstentume eine Verfassung,
wie sie ihm nützlich erschien, und in Alexander von Ballenberg im Einvernehmen
mit den Mächten des Berliner Friedens einen Herrscher gab, der als Neffe der da¬
maligen russischen Kaiserin eine Bürgschaft dafür zu sein schien, daß auf russische Be¬
dürfnisse und Wünsche jede irgend mögliche Rücksicht genommen werden würde.
Das geschah denn auch in den ersten Jahren. Allmählich aber sah man die Be¬
ziehungen des Fürsten zu Nußland sich verändern, sein Verhältnis zu dessen Politik
sich lockern und erkälten, und was man nicht sah, war, daß sich in der Stille eine
völlige Frontveränderung vollzog, durch welche der Fürst, von der englischen Politik
bei seinem Ehrgeize gefaßt, zum Diener der britischen Interessen am Balkan wurde.
Der Plan Englands ging dahin, Nußland in der Umbildung des Fürstentums
Bulgarien zu einem Ostrumelien einschließenden Staate neben Rumänien ein
zweites ernstes Hindernis in den Weg zu stellen und sich in Bulgarien einen
Beistand zu sichern, der aus Dankbarkeit für die Vergrößerung und aus eignem
Interesse gewährt werden würde. Nußland schöpfte endlich Verdacht, und die
Entfremdung zwischen ihm und Bulgarien nahm zu, Fürst Alexander versuchte
zu beschwichtigen, er gab Versprechungen und schöne Worte aller Art, aber ins¬
geheim gingen seine Verhandlungen mit den englischen Agenten fort, und während
er noch zuletzt in Franzensbad dem russischen Minister des Auswärtigen die be¬
stimmte Zusicherung erteilte, sich jeder Veränderung in Ostrumelien enthalten
zu wollen, wurde von Karciwelow mit seinem Vorwissen die Revolution in
Philippopel vorbereitet, welche die Vereinigung jener türkischen Provinz mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/170>, abgerufen am 27.07.2024.