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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

und geltend zu machen. Kaiser Friedrich hat das Pflichtgefühl und die Bereitwillig¬
keit seines Vaters, seine Wünsche dem Staatsbedürfnisfe anzupassen und, wo nötig,
unterzuordnen geerbt, und er besitzt ein starkes Selbstgefühl, gegründet auf die
Erinnerung an seine großen Ahnen und auf seine Würde als Kaiser und König.
Aber er ist leidend und starken Gemütsaufregungcn, wie sie das Eheprojekt mit
sich brachte, deshalb nicht wohl gewachsen. Wenn er ein guter, liebreicher Familien¬
vater ist, der seiner Tochter den Mann nicht versagen möchte, dem sie ihre Neigung
zugewandt haben soll -- wir betonen das "soll" --, so erinnert er sich doch
ohne Zweifel eines Falles, wo ein Prinz seines Hauses in Wirklichkeit sich in
gleicher Lage befand, wie jetzt vielleicht seine Tochter, und in schönem Gehorsam
gegen den Vater und den Brauch des Hauses entsagte. Er erinnert sich dessen Wohl
umso eher, als dieser Prinz, der ein so ruhmwürdiges Beispiel gab, der spätere
Kaiser Wilhelm war, der als junger Mann auf die Hand der von ihm heißgeliebten
Fürstin Elisabeth Nadziwill verzichtete, weil sein Vater gegen die Heirat war.*)
Und die Nadziwill sind doch etwas ganz andres als die Battenberger und nur
darin mit diesen zu vergleichen, daß letztere ungefähr derselben Nation ange¬
hören wie erstere. Der Prinz Alexander ist eigentlich ein Pole, und zwar durch
seine Mutter, ein Fräulein von Hänke, das später zur Gräfin von Ballenberg
erhoben wurde, und weder aus altem noch aus angesehenen Geschlechte. Im
Gegenteil, ein Oheim von ihm, der Bruder der Gräfin, führte 1863, nachdem
er im Kaukasus als russischer Offizier fahnenflüchtig geworden war, während
des Aufstandes der Polen die Insurgenten von Krakau und Sandomir gegen
die Truppen seines Kriegsherrn. Er lebte darauf als Mitglied des Zentral-
ausschusses eines internationalen Geheimbundes mit revolutionären Zwecken, einer
Gesellschaft für Putsche und Barrikadenbau, in Italien und der Schweiz, bis er
sich zuletzt den Freischaren anschloß, mit denen Garibaldi 1370 der französischen
Republik gegen die Deutschen zu Hilfe zog. Hierbei hatte er das Mißgeschick,
in einem Gefechte bei Dijon das Leben einzubüßen. Solche Verwandtschaft mag
den Engländern und Engländerinnen nicht anstößig sein, aber in das preußische
Königshaus, zum Eidam des deutschen Kaisers schien der aus nichtsouveräner
Familie stammende und selbst nie souverän gewesene Prinz, der ehemalige
Vasall der Pforte, der Neffe Bossaks, des Barfüßigen, des Vorkämpfers der
Revolution, des Führers von Garibaldis Notbauten gegen das deutsche Heer
sich sehr wenig zu eignen, und die eifrige Teilnahme, welche die deutsche demokra¬
tische Presse dem Hospodar des halbbarbarischen Vulgarenvolkes während seines
Aufenthaltes in Sofia zuwendete, die weit über Gebühr von ihr gerühmten
Heldenthaten desselben im Kriege mit Serbien, die Königskrone, welche England



*) Auch des Kaisers Großvater gab ein solches Beispiel. Friedrich Wilhelm III. liebte
nach dem Tode der Königin Luise eine schöne französische Dame und war im Begriff, sich
mit ihr zu vermählen, stand aber davon ab, als Gneisenau und Schön, um ihre Meinung
befragt, ihm davon abrieten.
Grenzboten II. 1838. 21
Fremde Einflüsse im Reiche.

und geltend zu machen. Kaiser Friedrich hat das Pflichtgefühl und die Bereitwillig¬
keit seines Vaters, seine Wünsche dem Staatsbedürfnisfe anzupassen und, wo nötig,
unterzuordnen geerbt, und er besitzt ein starkes Selbstgefühl, gegründet auf die
Erinnerung an seine großen Ahnen und auf seine Würde als Kaiser und König.
Aber er ist leidend und starken Gemütsaufregungcn, wie sie das Eheprojekt mit
sich brachte, deshalb nicht wohl gewachsen. Wenn er ein guter, liebreicher Familien¬
vater ist, der seiner Tochter den Mann nicht versagen möchte, dem sie ihre Neigung
zugewandt haben soll — wir betonen das „soll" —, so erinnert er sich doch
ohne Zweifel eines Falles, wo ein Prinz seines Hauses in Wirklichkeit sich in
gleicher Lage befand, wie jetzt vielleicht seine Tochter, und in schönem Gehorsam
gegen den Vater und den Brauch des Hauses entsagte. Er erinnert sich dessen Wohl
umso eher, als dieser Prinz, der ein so ruhmwürdiges Beispiel gab, der spätere
Kaiser Wilhelm war, der als junger Mann auf die Hand der von ihm heißgeliebten
Fürstin Elisabeth Nadziwill verzichtete, weil sein Vater gegen die Heirat war.*)
Und die Nadziwill sind doch etwas ganz andres als die Battenberger und nur
darin mit diesen zu vergleichen, daß letztere ungefähr derselben Nation ange¬
hören wie erstere. Der Prinz Alexander ist eigentlich ein Pole, und zwar durch
seine Mutter, ein Fräulein von Hänke, das später zur Gräfin von Ballenberg
erhoben wurde, und weder aus altem noch aus angesehenen Geschlechte. Im
Gegenteil, ein Oheim von ihm, der Bruder der Gräfin, führte 1863, nachdem
er im Kaukasus als russischer Offizier fahnenflüchtig geworden war, während
des Aufstandes der Polen die Insurgenten von Krakau und Sandomir gegen
die Truppen seines Kriegsherrn. Er lebte darauf als Mitglied des Zentral-
ausschusses eines internationalen Geheimbundes mit revolutionären Zwecken, einer
Gesellschaft für Putsche und Barrikadenbau, in Italien und der Schweiz, bis er
sich zuletzt den Freischaren anschloß, mit denen Garibaldi 1370 der französischen
Republik gegen die Deutschen zu Hilfe zog. Hierbei hatte er das Mißgeschick,
in einem Gefechte bei Dijon das Leben einzubüßen. Solche Verwandtschaft mag
den Engländern und Engländerinnen nicht anstößig sein, aber in das preußische
Königshaus, zum Eidam des deutschen Kaisers schien der aus nichtsouveräner
Familie stammende und selbst nie souverän gewesene Prinz, der ehemalige
Vasall der Pforte, der Neffe Bossaks, des Barfüßigen, des Vorkämpfers der
Revolution, des Führers von Garibaldis Notbauten gegen das deutsche Heer
sich sehr wenig zu eignen, und die eifrige Teilnahme, welche die deutsche demokra¬
tische Presse dem Hospodar des halbbarbarischen Vulgarenvolkes während seines
Aufenthaltes in Sofia zuwendete, die weit über Gebühr von ihr gerühmten
Heldenthaten desselben im Kriege mit Serbien, die Königskrone, welche England



*) Auch des Kaisers Großvater gab ein solches Beispiel. Friedrich Wilhelm III. liebte
nach dem Tode der Königin Luise eine schöne französische Dame und war im Begriff, sich
mit ihr zu vermählen, stand aber davon ab, als Gneisenau und Schön, um ihre Meinung
befragt, ihm davon abrieten.
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[0169] Fremde Einflüsse im Reiche. und geltend zu machen. Kaiser Friedrich hat das Pflichtgefühl und die Bereitwillig¬ keit seines Vaters, seine Wünsche dem Staatsbedürfnisfe anzupassen und, wo nötig, unterzuordnen geerbt, und er besitzt ein starkes Selbstgefühl, gegründet auf die Erinnerung an seine großen Ahnen und auf seine Würde als Kaiser und König. Aber er ist leidend und starken Gemütsaufregungcn, wie sie das Eheprojekt mit sich brachte, deshalb nicht wohl gewachsen. Wenn er ein guter, liebreicher Familien¬ vater ist, der seiner Tochter den Mann nicht versagen möchte, dem sie ihre Neigung zugewandt haben soll — wir betonen das „soll" —, so erinnert er sich doch ohne Zweifel eines Falles, wo ein Prinz seines Hauses in Wirklichkeit sich in gleicher Lage befand, wie jetzt vielleicht seine Tochter, und in schönem Gehorsam gegen den Vater und den Brauch des Hauses entsagte. Er erinnert sich dessen Wohl umso eher, als dieser Prinz, der ein so ruhmwürdiges Beispiel gab, der spätere Kaiser Wilhelm war, der als junger Mann auf die Hand der von ihm heißgeliebten Fürstin Elisabeth Nadziwill verzichtete, weil sein Vater gegen die Heirat war.*) Und die Nadziwill sind doch etwas ganz andres als die Battenberger und nur darin mit diesen zu vergleichen, daß letztere ungefähr derselben Nation ange¬ hören wie erstere. Der Prinz Alexander ist eigentlich ein Pole, und zwar durch seine Mutter, ein Fräulein von Hänke, das später zur Gräfin von Ballenberg erhoben wurde, und weder aus altem noch aus angesehenen Geschlechte. Im Gegenteil, ein Oheim von ihm, der Bruder der Gräfin, führte 1863, nachdem er im Kaukasus als russischer Offizier fahnenflüchtig geworden war, während des Aufstandes der Polen die Insurgenten von Krakau und Sandomir gegen die Truppen seines Kriegsherrn. Er lebte darauf als Mitglied des Zentral- ausschusses eines internationalen Geheimbundes mit revolutionären Zwecken, einer Gesellschaft für Putsche und Barrikadenbau, in Italien und der Schweiz, bis er sich zuletzt den Freischaren anschloß, mit denen Garibaldi 1370 der französischen Republik gegen die Deutschen zu Hilfe zog. Hierbei hatte er das Mißgeschick, in einem Gefechte bei Dijon das Leben einzubüßen. Solche Verwandtschaft mag den Engländern und Engländerinnen nicht anstößig sein, aber in das preußische Königshaus, zum Eidam des deutschen Kaisers schien der aus nichtsouveräner Familie stammende und selbst nie souverän gewesene Prinz, der ehemalige Vasall der Pforte, der Neffe Bossaks, des Barfüßigen, des Vorkämpfers der Revolution, des Führers von Garibaldis Notbauten gegen das deutsche Heer sich sehr wenig zu eignen, und die eifrige Teilnahme, welche die deutsche demokra¬ tische Presse dem Hospodar des halbbarbarischen Vulgarenvolkes während seines Aufenthaltes in Sofia zuwendete, die weit über Gebühr von ihr gerühmten Heldenthaten desselben im Kriege mit Serbien, die Königskrone, welche England *) Auch des Kaisers Großvater gab ein solches Beispiel. Friedrich Wilhelm III. liebte nach dem Tode der Königin Luise eine schöne französische Dame und war im Begriff, sich mit ihr zu vermählen, stand aber davon ab, als Gneisenau und Schön, um ihre Meinung befragt, ihm davon abrieten. Grenzboten II. 1838. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/169>, abgerufen am 28.07.2024.