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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Ginflüsse im Reiche.

Bulgarien herbeiführte. Das wurde in Petersburg mit Recht als Falschheit
und Verrat empfunden und nie verziehen. Es kostete dem Fürsten schließlich
seinen Thron. Und diesen Intriganten, dieses Organ der englischen Politik,
soweit sie sich dem russischen Interesse entgegenstellt, sollte das deutsche Kaiser¬
haus nach dem Willen der Königin Viktoria in seine Mitte aufnehmen und
dauernd unter seinen Gliedern behalten, nachdem es den Bemühungen und der
Kunst des Reichskanzlers erst in den letzten Monaten gelungen war, schwer genug
gelungen war, den durch andre Manöver erweckten Argwohn des Zaren in Bezug
auf die deutsche Politik zu zerstreuen und ein Verhältnis zu Rußland herzustellen,
welches so gut und befriedigend war, als es unter den obwaltenden Umständen
sein konnte. Ein Werkzeug englischer Intriguen, ein Feind Rußlands, ein von
ihm entthronter und dadurch erbitterter Mann, ein Abscheu des Zaren dem
Hvhcnzollernstamme aufgepfropft und, wie es beabsichtigt sein sollte, mit einem
hohen preußischen Orden -- man weiß nicht wofür, wenn nicht für seine Ver¬
dienste um England und seinen Verrat an Rußland -- ausgezeichnet und in
eine wichtige Stellung im Reichslande versetzt -- man muß schließen, weil er
sein Geschick in Bulgarien so trefflich bekundet habe --, das war doch kaum
deutbar, das nahm sich fast wie ein Schlag ins Gesicht des Kaisers Alexander
aus. Dessen Verstimmung über die Insulte würde uns vermutlich nicht sofort
den Krieg erklärt haben, aber sein Vertrauen auf die deutsche Ehrlichkeit hätte
einen neuen Stoß erlitten durch solche Rücksichtslosigkeit, und die russische Presse
hätte sofort wieder zu hetzen und zu schüren angefangen. Es war auf alle
Fälle ein so ungeheurer Mißgriff und eine so unverantwortliche Gefälligkeit
gegen den englischen Einfluß, daß es wohl kaum der Weisheit des Fürsten
Vismarck bedürfte, die darauf hinwies. Die Sache scheint denn auch nach
den neuesten Andeutungen aus dem Stadium der Vertagung in das der Be¬
seitigung eintreten zu wollen,'") und man wird sich freuen können, wenn
sich das bestätigt, und wenn sich auch die Partei dem Interesse Deutschlands
und des Weltfriedens unterordnet, der dies ein Opfer ist. Aber England ist
zäh und dreist mit seinen Ansprüchen und Zumutungen, sein Einfluß wird fort¬
wirken und über kurz oder laug mit neuen egoistischen Projekten an unsre Regie¬
rung herantreten, deren Kern und Ziel vielleicht weniger leicht erkennbar ist, und es
ist daher ein Segen, daß dem Kaiser ein Ratgeber zur Seite bleibt, der diesen
Einfluß überall, wo er uns Gefahren zutreibt, sofort erkennt und ihm vorm-



5) Nicht infolge der letzten Besprechung des Reichskanzlers und der Kaiserin im ehe¬
mals kronprinzlichen Palais zu Berlin, wo die letztere mit tragischen Pathos erklärt haben
sollte, sie "opfere das Glück ihres Kindes auf dem Altare des Vaterlandes," während in
Wahrheit bei dieser Gelegenheit von der Battenbcrgcrei nicht mit einem Worte, destomehr aber
von Geld- und andern Besitzangclcgenheiten die Rede war, die der hohen Dame besonders
nahe am Herzen zu liegen scheinen, über die schwungvoll zu peroriren unsre hyperloyale
Judenpresse aber weniger Ursache hat.
Fremde Ginflüsse im Reiche.

Bulgarien herbeiführte. Das wurde in Petersburg mit Recht als Falschheit
und Verrat empfunden und nie verziehen. Es kostete dem Fürsten schließlich
seinen Thron. Und diesen Intriganten, dieses Organ der englischen Politik,
soweit sie sich dem russischen Interesse entgegenstellt, sollte das deutsche Kaiser¬
haus nach dem Willen der Königin Viktoria in seine Mitte aufnehmen und
dauernd unter seinen Gliedern behalten, nachdem es den Bemühungen und der
Kunst des Reichskanzlers erst in den letzten Monaten gelungen war, schwer genug
gelungen war, den durch andre Manöver erweckten Argwohn des Zaren in Bezug
auf die deutsche Politik zu zerstreuen und ein Verhältnis zu Rußland herzustellen,
welches so gut und befriedigend war, als es unter den obwaltenden Umständen
sein konnte. Ein Werkzeug englischer Intriguen, ein Feind Rußlands, ein von
ihm entthronter und dadurch erbitterter Mann, ein Abscheu des Zaren dem
Hvhcnzollernstamme aufgepfropft und, wie es beabsichtigt sein sollte, mit einem
hohen preußischen Orden — man weiß nicht wofür, wenn nicht für seine Ver¬
dienste um England und seinen Verrat an Rußland — ausgezeichnet und in
eine wichtige Stellung im Reichslande versetzt — man muß schließen, weil er
sein Geschick in Bulgarien so trefflich bekundet habe —, das war doch kaum
deutbar, das nahm sich fast wie ein Schlag ins Gesicht des Kaisers Alexander
aus. Dessen Verstimmung über die Insulte würde uns vermutlich nicht sofort
den Krieg erklärt haben, aber sein Vertrauen auf die deutsche Ehrlichkeit hätte
einen neuen Stoß erlitten durch solche Rücksichtslosigkeit, und die russische Presse
hätte sofort wieder zu hetzen und zu schüren angefangen. Es war auf alle
Fälle ein so ungeheurer Mißgriff und eine so unverantwortliche Gefälligkeit
gegen den englischen Einfluß, daß es wohl kaum der Weisheit des Fürsten
Vismarck bedürfte, die darauf hinwies. Die Sache scheint denn auch nach
den neuesten Andeutungen aus dem Stadium der Vertagung in das der Be¬
seitigung eintreten zu wollen,'") und man wird sich freuen können, wenn
sich das bestätigt, und wenn sich auch die Partei dem Interesse Deutschlands
und des Weltfriedens unterordnet, der dies ein Opfer ist. Aber England ist
zäh und dreist mit seinen Ansprüchen und Zumutungen, sein Einfluß wird fort¬
wirken und über kurz oder laug mit neuen egoistischen Projekten an unsre Regie¬
rung herantreten, deren Kern und Ziel vielleicht weniger leicht erkennbar ist, und es
ist daher ein Segen, daß dem Kaiser ein Ratgeber zur Seite bleibt, der diesen
Einfluß überall, wo er uns Gefahren zutreibt, sofort erkennt und ihm vorm-



5) Nicht infolge der letzten Besprechung des Reichskanzlers und der Kaiserin im ehe¬
mals kronprinzlichen Palais zu Berlin, wo die letztere mit tragischen Pathos erklärt haben
sollte, sie „opfere das Glück ihres Kindes auf dem Altare des Vaterlandes," während in
Wahrheit bei dieser Gelegenheit von der Battenbcrgcrei nicht mit einem Worte, destomehr aber
von Geld- und andern Besitzangclcgenheiten die Rede war, die der hohen Dame besonders
nahe am Herzen zu liegen scheinen, über die schwungvoll zu peroriren unsre hyperloyale
Judenpresse aber weniger Ursache hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/171>, abgerufen am 27.07.2024.