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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

arme Frankreich und das schöne Paris wehklagen. Napoleon und Eugenie aber
wußten, wohin sie gehörten, als sie in die Verbannung gingen und England
zum Aufenthalte wählten. Es war das Reich ihrer besten Freundin. Die
Salonpolitik aber, die wir kennzeichneten, wurde fortgetrieben, die Vorteile einer
Trabantenstellung zu England wurden in immer neuen Formen begreiflich zu
machen versucht und namentlich der Wachdienst an Rußlands Thür als Pflicht
der Selbsterhaltung nach Möglichkeit empfohlen. Diese Tendenz der englischen
Einflüsse wurde durch die letzten Ereignisse in Bulgarien, Konstantinopel und
Zeutralasien täglich zu stärkeren Werben und Drängen veranlaßt, sie bildet eine
große Gefahr für das Wohl und den Frieden Deutschlands, und es ist hohe
Zeit, daß die Nation sie kennen lernt und sich ebenso einmütig gegen sie erhebt
oder sagen wir ausspricht, wie vor dreißig Jahren gegen die russischen Einflüsse
an den deutschen Höfen. Unsre Lage verträgt eben kein Zusammengehen mit
einer Macht, die uns wenig nutzen könnte, auch wenn sie wollte, und die uns
nur dann ein freundliches Gesicht zeigt, wenn sie uns zu benutzen vorhat.

Hiermit ist der Standpunkt angegeben, von dem wir den neuesten Ver¬
such Englands, uns für sein Interesse zu gewinnen und dauernd daran zu
fesseln, zu beurteilen haben. Die Verheiratung des Vattenbergers mit der
Tochter unsers Kaisers ist von dessen Schwiegermutter angeregt worden und
wird von dessen Gemahlin lebhaft gewünscht und mit Eifer betrieben. Der Plan
war schon bei Lebzeiten Kaiser Wilhelms, schon vor etwa drei Jahren, auf
der Tagesordnung, und schon damals machte Fürst Bismarck, als er davon
erfuhr, mündlich und schriftlich Vorstellungen dagegen. Diese überzeugten
den Kaiser, und er weigerte sich, seine Einwilligung zu erteilen, obwohl man
ihm sagte, die Prinzessin liebe den Fürsten. Die Königin Viktoria gefällt sich
im Stiften von Ehen wie alle ältern Frauen, der Prinz mag ihr als stattlicher
Mann gefallen, und sie mag ihn auch aus dem Grunde zum Gemahl für ihre
Enkelin ausersehen haben, weil er ein Bruder des Mannes ihrer Lieblings¬
tochter Beatrice ist. Sie hat aber offenbar vorzüglich politische Zwecke mit
der Sache im Auge, eine dauernde Entfremdung zwischen uns und Rußland,
und sie hat Eile, sie erblickt Gefahr im Verzüge. Sie war schon im Begriffe,
zum Geburtstage der Prinzessin nach Charlottenburg zu kommen, und wäre
dies geschehen, so wäre, da sie in Familienangelegenheiten keinen Widerspruch
gewohnt ist, die Trauung wohl schon vollzogen. Sie hätte gleichsam den Pastor
in der Reisetasche mitgebracht und den Bräutigam im Koffer. Die Kaiserin
fühlt sich als ihre Tochter, sie ist bis heute Engländerin in der Fremde ge¬
blieben, und es kann zweifelhaft erscheinen, ob sie mehr Wert auf die Würde einer
deutschen Kaiserin legt als auf den Titel einer?rin<W8 roM ok ^nglg-na, jeden¬
falls ist sie sich bewußt, auch Pflichten gegen ihr Geburtsland zu haben. In
ihren Adern fließt Blut der Stuarts und der Welsen, und sie weiß ihre An¬
sichten und Willensmeinungen mit ebenso viel Geschick als Energie zu verteidigen


Fremde Einflüsse im Reiche.

arme Frankreich und das schöne Paris wehklagen. Napoleon und Eugenie aber
wußten, wohin sie gehörten, als sie in die Verbannung gingen und England
zum Aufenthalte wählten. Es war das Reich ihrer besten Freundin. Die
Salonpolitik aber, die wir kennzeichneten, wurde fortgetrieben, die Vorteile einer
Trabantenstellung zu England wurden in immer neuen Formen begreiflich zu
machen versucht und namentlich der Wachdienst an Rußlands Thür als Pflicht
der Selbsterhaltung nach Möglichkeit empfohlen. Diese Tendenz der englischen
Einflüsse wurde durch die letzten Ereignisse in Bulgarien, Konstantinopel und
Zeutralasien täglich zu stärkeren Werben und Drängen veranlaßt, sie bildet eine
große Gefahr für das Wohl und den Frieden Deutschlands, und es ist hohe
Zeit, daß die Nation sie kennen lernt und sich ebenso einmütig gegen sie erhebt
oder sagen wir ausspricht, wie vor dreißig Jahren gegen die russischen Einflüsse
an den deutschen Höfen. Unsre Lage verträgt eben kein Zusammengehen mit
einer Macht, die uns wenig nutzen könnte, auch wenn sie wollte, und die uns
nur dann ein freundliches Gesicht zeigt, wenn sie uns zu benutzen vorhat.

Hiermit ist der Standpunkt angegeben, von dem wir den neuesten Ver¬
such Englands, uns für sein Interesse zu gewinnen und dauernd daran zu
fesseln, zu beurteilen haben. Die Verheiratung des Vattenbergers mit der
Tochter unsers Kaisers ist von dessen Schwiegermutter angeregt worden und
wird von dessen Gemahlin lebhaft gewünscht und mit Eifer betrieben. Der Plan
war schon bei Lebzeiten Kaiser Wilhelms, schon vor etwa drei Jahren, auf
der Tagesordnung, und schon damals machte Fürst Bismarck, als er davon
erfuhr, mündlich und schriftlich Vorstellungen dagegen. Diese überzeugten
den Kaiser, und er weigerte sich, seine Einwilligung zu erteilen, obwohl man
ihm sagte, die Prinzessin liebe den Fürsten. Die Königin Viktoria gefällt sich
im Stiften von Ehen wie alle ältern Frauen, der Prinz mag ihr als stattlicher
Mann gefallen, und sie mag ihn auch aus dem Grunde zum Gemahl für ihre
Enkelin ausersehen haben, weil er ein Bruder des Mannes ihrer Lieblings¬
tochter Beatrice ist. Sie hat aber offenbar vorzüglich politische Zwecke mit
der Sache im Auge, eine dauernde Entfremdung zwischen uns und Rußland,
und sie hat Eile, sie erblickt Gefahr im Verzüge. Sie war schon im Begriffe,
zum Geburtstage der Prinzessin nach Charlottenburg zu kommen, und wäre
dies geschehen, so wäre, da sie in Familienangelegenheiten keinen Widerspruch
gewohnt ist, die Trauung wohl schon vollzogen. Sie hätte gleichsam den Pastor
in der Reisetasche mitgebracht und den Bräutigam im Koffer. Die Kaiserin
fühlt sich als ihre Tochter, sie ist bis heute Engländerin in der Fremde ge¬
blieben, und es kann zweifelhaft erscheinen, ob sie mehr Wert auf die Würde einer
deutschen Kaiserin legt als auf den Titel einer?rin<W8 roM ok ^nglg-na, jeden¬
falls ist sie sich bewußt, auch Pflichten gegen ihr Geburtsland zu haben. In
ihren Adern fließt Blut der Stuarts und der Welsen, und sie weiß ihre An¬
sichten und Willensmeinungen mit ebenso viel Geschick als Energie zu verteidigen


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[0168] Fremde Einflüsse im Reiche. arme Frankreich und das schöne Paris wehklagen. Napoleon und Eugenie aber wußten, wohin sie gehörten, als sie in die Verbannung gingen und England zum Aufenthalte wählten. Es war das Reich ihrer besten Freundin. Die Salonpolitik aber, die wir kennzeichneten, wurde fortgetrieben, die Vorteile einer Trabantenstellung zu England wurden in immer neuen Formen begreiflich zu machen versucht und namentlich der Wachdienst an Rußlands Thür als Pflicht der Selbsterhaltung nach Möglichkeit empfohlen. Diese Tendenz der englischen Einflüsse wurde durch die letzten Ereignisse in Bulgarien, Konstantinopel und Zeutralasien täglich zu stärkeren Werben und Drängen veranlaßt, sie bildet eine große Gefahr für das Wohl und den Frieden Deutschlands, und es ist hohe Zeit, daß die Nation sie kennen lernt und sich ebenso einmütig gegen sie erhebt oder sagen wir ausspricht, wie vor dreißig Jahren gegen die russischen Einflüsse an den deutschen Höfen. Unsre Lage verträgt eben kein Zusammengehen mit einer Macht, die uns wenig nutzen könnte, auch wenn sie wollte, und die uns nur dann ein freundliches Gesicht zeigt, wenn sie uns zu benutzen vorhat. Hiermit ist der Standpunkt angegeben, von dem wir den neuesten Ver¬ such Englands, uns für sein Interesse zu gewinnen und dauernd daran zu fesseln, zu beurteilen haben. Die Verheiratung des Vattenbergers mit der Tochter unsers Kaisers ist von dessen Schwiegermutter angeregt worden und wird von dessen Gemahlin lebhaft gewünscht und mit Eifer betrieben. Der Plan war schon bei Lebzeiten Kaiser Wilhelms, schon vor etwa drei Jahren, auf der Tagesordnung, und schon damals machte Fürst Bismarck, als er davon erfuhr, mündlich und schriftlich Vorstellungen dagegen. Diese überzeugten den Kaiser, und er weigerte sich, seine Einwilligung zu erteilen, obwohl man ihm sagte, die Prinzessin liebe den Fürsten. Die Königin Viktoria gefällt sich im Stiften von Ehen wie alle ältern Frauen, der Prinz mag ihr als stattlicher Mann gefallen, und sie mag ihn auch aus dem Grunde zum Gemahl für ihre Enkelin ausersehen haben, weil er ein Bruder des Mannes ihrer Lieblings¬ tochter Beatrice ist. Sie hat aber offenbar vorzüglich politische Zwecke mit der Sache im Auge, eine dauernde Entfremdung zwischen uns und Rußland, und sie hat Eile, sie erblickt Gefahr im Verzüge. Sie war schon im Begriffe, zum Geburtstage der Prinzessin nach Charlottenburg zu kommen, und wäre dies geschehen, so wäre, da sie in Familienangelegenheiten keinen Widerspruch gewohnt ist, die Trauung wohl schon vollzogen. Sie hätte gleichsam den Pastor in der Reisetasche mitgebracht und den Bräutigam im Koffer. Die Kaiserin fühlt sich als ihre Tochter, sie ist bis heute Engländerin in der Fremde ge¬ blieben, und es kann zweifelhaft erscheinen, ob sie mehr Wert auf die Würde einer deutschen Kaiserin legt als auf den Titel einer?rin<W8 roM ok ^nglg-na, jeden¬ falls ist sie sich bewußt, auch Pflichten gegen ihr Geburtsland zu haben. In ihren Adern fließt Blut der Stuarts und der Welsen, und sie weiß ihre An¬ sichten und Willensmeinungen mit ebenso viel Geschick als Energie zu verteidigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/168>, abgerufen am 28.07.2024.