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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche,

Darmstadt, Koburg, Gotha und nun vollends in Berlin beachtet wurde und
Gehorsam fand. Sie interessirt sich nicht so sehr für die Nabobs ihrer kaiser¬
lichen Länder als für die guten Deutschen, denen sie gar zu gern ein Wohl¬
ergehen nach ihrem eignen Ideal verschaffen möchte. Es war indes nicht ihre
Meinung, daß die Nation der Denker berufen wäre, sich vorzugsweise in der
großen Politik vernehmlich zu machen, und so war sie denn anch von Anfang
an bis hente eine Gegnerin Bismarcks und ertrug es schwer, daß die Deutschen
so unmoralisch waren, den Franzosen Straßburg und Metz wegzunehmen. Die
Königin von England konnte freilich nicht wie ihre Vorfahren Truppen in
Deutschland aufmarschiren lassen, aber was ein fremder Herrscher hier durch
Töchter, Enkel, Vettern, durch Spezialgesandte und Agenten männlichen und
weiblichen Geschlechts leisten kann, ist alles wenigstens versucht worden. Bisher
sorgte in der deutschen Reichshauptstadt Bismarck dafür, daß dieses Bestreben
in internationalen Angelegenheiten nicht viel erreichte. Aber anders war es
in fürstlichen Privatsachen. Hier machte sich der englische Einfluß weit stärker
geltend als einst der russische. Ein Beispiel war die Ehefrage des Großherzogs
von Hessen, in welcher dieser Einfluß gegenüber der vollkommen legalen Wieder¬
verheiratung des ehemaligen Schwiegersohns der Königin Viktoria auf juristischem
Gebiete eingriff und durch erzwungene Auflösung des neuen Ehebundes mit
einer Rechtsbeugung endigte. Als Kaiser Nikolaus einst die Vermählung einer
russischen Hofdame mit einem hessischen Prinzen zu hindern versuchte, wollte
ihm in ganz Deutschland keine einzige Stimme die Befugnis dazu einräumen.
Jetzt schien man die Sache, welche doch unverkennbar auch politischer Natur
war, wie selbstverständlich anzusehen. Besaß man aber Bürgschaften, daß dem
ersten Akte nicht bald ein zweiter und dritter folgen würde, und durfte man
warten, bis die englische Direktive auch in den allgemeinen politischen Fragen
maßgebend wurde? Am Willen Englands dazu hat es nicht gefehlt. So lange
der Prinz-Gemahl lebte, fand Deutschland in ideellen Sinne einen gewissen
Rückhalt am Londoner Hofe, und die englischen Ministerien wurden durch diesen
wenigstens von den brutalsten Schritten gegen Deutschland abgehalten. Viel
vermochte er aber nicht zu nützen. Eine Veröffentlichung der Akten in der
Sache Schleswig-Holsteins würde das deutsche Volk leidenschaftlich gegen Eng¬
land entflammen, und es ist Thatsache, daß alle jetzt hinter uns liegenden
Bestrebungen nach einer Zusammenfassung der Deutschen an englischer Eifer¬
sucht und Mißgunst die größten Schwierigkeiten gefunden haben. Allmählich
begann die Königin an dem ihr anfangs verhaßten Louis Napoleon Ge¬
fallen zu finden, und die früher als Abenteurerin zurückgestoßene Eugenie ver¬
wandelte sich in ihrer Anschauung in die charmante Schwester von Frank¬
reich. Schon konnte der Kaiser seine erste Karte gegen das legitime Europa in
Italien unter lautem Beifall der Engländer ausspielen, und die Frage, ob
dieser Krieg am Rheine fortgesetzt werden solle, wurde von ihm viel später


Fremde Einflüsse im Reiche,

Darmstadt, Koburg, Gotha und nun vollends in Berlin beachtet wurde und
Gehorsam fand. Sie interessirt sich nicht so sehr für die Nabobs ihrer kaiser¬
lichen Länder als für die guten Deutschen, denen sie gar zu gern ein Wohl¬
ergehen nach ihrem eignen Ideal verschaffen möchte. Es war indes nicht ihre
Meinung, daß die Nation der Denker berufen wäre, sich vorzugsweise in der
großen Politik vernehmlich zu machen, und so war sie denn anch von Anfang
an bis hente eine Gegnerin Bismarcks und ertrug es schwer, daß die Deutschen
so unmoralisch waren, den Franzosen Straßburg und Metz wegzunehmen. Die
Königin von England konnte freilich nicht wie ihre Vorfahren Truppen in
Deutschland aufmarschiren lassen, aber was ein fremder Herrscher hier durch
Töchter, Enkel, Vettern, durch Spezialgesandte und Agenten männlichen und
weiblichen Geschlechts leisten kann, ist alles wenigstens versucht worden. Bisher
sorgte in der deutschen Reichshauptstadt Bismarck dafür, daß dieses Bestreben
in internationalen Angelegenheiten nicht viel erreichte. Aber anders war es
in fürstlichen Privatsachen. Hier machte sich der englische Einfluß weit stärker
geltend als einst der russische. Ein Beispiel war die Ehefrage des Großherzogs
von Hessen, in welcher dieser Einfluß gegenüber der vollkommen legalen Wieder¬
verheiratung des ehemaligen Schwiegersohns der Königin Viktoria auf juristischem
Gebiete eingriff und durch erzwungene Auflösung des neuen Ehebundes mit
einer Rechtsbeugung endigte. Als Kaiser Nikolaus einst die Vermählung einer
russischen Hofdame mit einem hessischen Prinzen zu hindern versuchte, wollte
ihm in ganz Deutschland keine einzige Stimme die Befugnis dazu einräumen.
Jetzt schien man die Sache, welche doch unverkennbar auch politischer Natur
war, wie selbstverständlich anzusehen. Besaß man aber Bürgschaften, daß dem
ersten Akte nicht bald ein zweiter und dritter folgen würde, und durfte man
warten, bis die englische Direktive auch in den allgemeinen politischen Fragen
maßgebend wurde? Am Willen Englands dazu hat es nicht gefehlt. So lange
der Prinz-Gemahl lebte, fand Deutschland in ideellen Sinne einen gewissen
Rückhalt am Londoner Hofe, und die englischen Ministerien wurden durch diesen
wenigstens von den brutalsten Schritten gegen Deutschland abgehalten. Viel
vermochte er aber nicht zu nützen. Eine Veröffentlichung der Akten in der
Sache Schleswig-Holsteins würde das deutsche Volk leidenschaftlich gegen Eng¬
land entflammen, und es ist Thatsache, daß alle jetzt hinter uns liegenden
Bestrebungen nach einer Zusammenfassung der Deutschen an englischer Eifer¬
sucht und Mißgunst die größten Schwierigkeiten gefunden haben. Allmählich
begann die Königin an dem ihr anfangs verhaßten Louis Napoleon Ge¬
fallen zu finden, und die früher als Abenteurerin zurückgestoßene Eugenie ver¬
wandelte sich in ihrer Anschauung in die charmante Schwester von Frank¬
reich. Schon konnte der Kaiser seine erste Karte gegen das legitime Europa in
Italien unter lautem Beifall der Engländer ausspielen, und die Frage, ob
dieser Krieg am Rheine fortgesetzt werden solle, wurde von ihm viel später


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/166>, abgerufen am 28.07.2024.