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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

müßten wir zur Erzwingung des Friedens einen gefährlichen Krieg auf uns
nehmen, bei dem wir günstigenfalls Geld und Blut für England, nicht für eignen
Nutzen opfern würden, oder das deutsche Basta endigte, ohne Nachdruck mit
Thaten in Waffen bleibend, mit einer Demütigung Deutschlands vor den
Russen, es wäre ein ohnmächtiges Gebot gewesen, eine Schädigung unsers An¬
sehens im Schleppdienste einer Nation und einer Regierung, die den Deutschen
sehr selten oder nie im Ernste wohlgewollt hat, und die ihnen ihre gegenwärtige
Bedeutung in Europa sicherlich nur insofern gönnt, als sie hofft, sie möchten
vielleicht doch einmal eine schwache Stunde haben, in der sie sich zur Förderung
von Zwecken der Kaufmannspolitik John Bulls bereit finden und ausnutzen
lassen könnten.

Wir sind hiermit auf ein Gebiet gelangt, über das eine vor zwei Jahren
erschienene kleine Schrift mit dem Titel "Mitregenten und fremde Hände in
Deutschland" dankenswerte Aufschlüsse giebt, welche umso zuverlässiger erscheinen,
als wir bestimmt wissen, daß sie aus der Feder eines Fürsten stammen, der
aus naheliegenden Gründen als Eingeweihter ersten Ranges zu gelten hat. Im
folgenden daher die Quintessenz des hierher gehörigen Teiles seiner Darstellung,
wobei wir es für geraten halten, hie und da starke Ausdrücke, die der Herzog
gebraucht, abzuschwächen. Wer sie und das Ganze kennen zu lernen wünscht,
der wolle die zu Zürich im Verlagsmagazin herausgekommene Broschüre selbst
nachlesen. Der Verfasser schildert die Damenpolitik an den verschiednen Höfen
und bemerkt, nachdem er des Mißgeschickes gedacht hat, das die Kaiserin Eugenie
dabei erlitten, es habe gelehrt, daß die Damen einzeln sich auf diesem Felde
nicht leicht bewähren und deshalb einer Ergänzung durch andre Hände, schwester¬
licher oder töchterlicher Unterstützung, einer Familienvergesellschaftung, eines
Hinüber- und Herüberwebens bedürfen. Dann fährt er fort: "In dieser gün¬
stigen Lage vielfach verschlungener Bundesgcnossenschaften befindet sich heute
die Königin Viktoria mehr wie je eine Herrscherin, aber wunderbarerweise
wird nicht viel Aufhebens von ihrem Einflüsse gemacht. Sie übt denselben
auch nicht in innern Fragen Englands, desto eifriger und umfangreicher aber
in dessen auswärtiger Politik, und der Schauplatz ihrer Wirksamkeit ist vor
allem Deutschland." Durch eine eigentümliche Verkettung von persönlichen
Umständen ist sie bei allen ihren geistigen Gaben in Bezug auf die Stellung,
die sie in den deutschen regierenden Familien einzunehmen hätte, in eine Art
von Rechtsirrtum verfallen. Durch ihre intimen Beziehungen zu dem koburgischen
und dem hannöverschen Hause entwickelte sich bei ihr die Vorstellung oder das
Gefühl, daß sie im Grunde auch im Rate der deutschen Mächte Sitz und
Stimme habe, wie ja auch ihr Gemahl, Prinz Albert, die deutschen Angelegen¬
heiten keinen Augenblick ohne sein Accompagnement gelassen hatte. Es gewährte
ihr vermutlich große Befriedigung, als man ihr den Titel einer Kaiserin von
Indien beilegte, aber noch größere empfand sie, wenn sie in Hannover, Hessen-


Fremde Einflüsse im Reiche.

müßten wir zur Erzwingung des Friedens einen gefährlichen Krieg auf uns
nehmen, bei dem wir günstigenfalls Geld und Blut für England, nicht für eignen
Nutzen opfern würden, oder das deutsche Basta endigte, ohne Nachdruck mit
Thaten in Waffen bleibend, mit einer Demütigung Deutschlands vor den
Russen, es wäre ein ohnmächtiges Gebot gewesen, eine Schädigung unsers An¬
sehens im Schleppdienste einer Nation und einer Regierung, die den Deutschen
sehr selten oder nie im Ernste wohlgewollt hat, und die ihnen ihre gegenwärtige
Bedeutung in Europa sicherlich nur insofern gönnt, als sie hofft, sie möchten
vielleicht doch einmal eine schwache Stunde haben, in der sie sich zur Förderung
von Zwecken der Kaufmannspolitik John Bulls bereit finden und ausnutzen
lassen könnten.

Wir sind hiermit auf ein Gebiet gelangt, über das eine vor zwei Jahren
erschienene kleine Schrift mit dem Titel „Mitregenten und fremde Hände in
Deutschland" dankenswerte Aufschlüsse giebt, welche umso zuverlässiger erscheinen,
als wir bestimmt wissen, daß sie aus der Feder eines Fürsten stammen, der
aus naheliegenden Gründen als Eingeweihter ersten Ranges zu gelten hat. Im
folgenden daher die Quintessenz des hierher gehörigen Teiles seiner Darstellung,
wobei wir es für geraten halten, hie und da starke Ausdrücke, die der Herzog
gebraucht, abzuschwächen. Wer sie und das Ganze kennen zu lernen wünscht,
der wolle die zu Zürich im Verlagsmagazin herausgekommene Broschüre selbst
nachlesen. Der Verfasser schildert die Damenpolitik an den verschiednen Höfen
und bemerkt, nachdem er des Mißgeschickes gedacht hat, das die Kaiserin Eugenie
dabei erlitten, es habe gelehrt, daß die Damen einzeln sich auf diesem Felde
nicht leicht bewähren und deshalb einer Ergänzung durch andre Hände, schwester¬
licher oder töchterlicher Unterstützung, einer Familienvergesellschaftung, eines
Hinüber- und Herüberwebens bedürfen. Dann fährt er fort: „In dieser gün¬
stigen Lage vielfach verschlungener Bundesgcnossenschaften befindet sich heute
die Königin Viktoria mehr wie je eine Herrscherin, aber wunderbarerweise
wird nicht viel Aufhebens von ihrem Einflüsse gemacht. Sie übt denselben
auch nicht in innern Fragen Englands, desto eifriger und umfangreicher aber
in dessen auswärtiger Politik, und der Schauplatz ihrer Wirksamkeit ist vor
allem Deutschland." Durch eine eigentümliche Verkettung von persönlichen
Umständen ist sie bei allen ihren geistigen Gaben in Bezug auf die Stellung,
die sie in den deutschen regierenden Familien einzunehmen hätte, in eine Art
von Rechtsirrtum verfallen. Durch ihre intimen Beziehungen zu dem koburgischen
und dem hannöverschen Hause entwickelte sich bei ihr die Vorstellung oder das
Gefühl, daß sie im Grunde auch im Rate der deutschen Mächte Sitz und
Stimme habe, wie ja auch ihr Gemahl, Prinz Albert, die deutschen Angelegen¬
heiten keinen Augenblick ohne sein Accompagnement gelassen hatte. Es gewährte
ihr vermutlich große Befriedigung, als man ihr den Titel einer Kaiserin von
Indien beilegte, aber noch größere empfand sie, wenn sie in Hannover, Hessen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/165>, abgerufen am 28.07.2024.