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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

möglichst kräftige Wahrung seiner Interessen und niemals etwas andres be¬
deutet. Später, 1863, wollte England die polnische Revolution als Schwächung
Rußlands von uns begünstigt sehen, wobei wir einen Freund für die Zukunft
verloren und uns in den Polen einen sichern Feind geschaffen hätten. Hatte
Bismarck bei diesen beiden Gelegenheiten, bei der erstem privatim, als Ver¬
trauensmann Friedrich Wilhelms IV., bei der spätern als Minister, für die
Ablehnung der englischen Zumutungen gesorgt, so fand sich bald eine dritte,
bei der es sich nicht mehr bloß um Preußen, sondern um das deutsche Reich
handelte, das nun gleichfalls in den Dienst für die britische Politik gestellt
werden sollte. Wir sprechen darüber etwas ausführlicher, da hier schon die
eigentümliche Weise hervortritt, in welcher die oben charakterisirte englische
Beeinflussung in den letzten Jahren betrieben wurde. Bereits 1870 hatte ver¬
lautet, daß hochstehende englische Damen -- man nannte als erste und vor¬
nehmste die Königin Viktoria -- sich gegen die Beschießung von Paris ins
Mittel gelegt und Aufschub erwirkt hätten. Das Folgende aber ist mehr als
bloßes Gerücht. Kurz vor dem Ausbruche des letzten russisch-türkischen Krieges
richtete die Königin von England einen Brief an den deutschen Reichskanzler,
in welchem sie ihn zum Einspruch gegen die Absicht Rußlands, die Pforte
anzugreifen, aufforderte -- wenn wir uns recht erinnern, im Namen der Mensch¬
lichkeit. Die Antwort lautete ausweichend. Ein zweites Schreiben Ihrer
britischen Majestät, das dringender zu einem derartigen Einschreiten ermahnte,
begegnete einer weniger verhüllten Weigerung. Die Königin wendete sich jetzt
an den Kaiser Wilhelm, um ihn für den ausbrechenden Krieg verantwortlich
zu machen, und bat zugleich eine ihm nahestehende hohe Dame, der die Rolle
eines Friedensengcls mit dem Olivenkranze gefallen konnte, um ihre Vermitte¬
lung. Die Bitte wurde gewährt und erfüllt, aber obwohl der Kaiser bekannter¬
maßen ein durchaus friedliebender Herr war, blieben Brief und mündliches
Zureden der Vermittlerin ohne Erfolg, da die Einsicht des Monarchen seinem
viclbewährten obersten Rate Recht gehen mußte, der ihm vorstellte, daß jenes
Ansinnen, dem russischen Nachbar Ruhe zu empfehlen und nötigenfalls zu ge¬
bieten, ohne dazu in unsern Verhältnissen und Bedürfnissen Anlaß zu haben,
lediglich aus Gefälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für
seine kommerziellen und politischen Interessen in der Levante zu erhitzen und in
Kosten zu stecken brauchte, mindestens eine recht eigentümliche Zumutung sei,
und der ihn überzeugte, daß jenes Verlangen der Königin leicht zum geraden
Gegenteile dessen, was damit bezweckt wurde, also zum Kriege führen konnte,
und zwar zu einem Kriege zwischen Rußland und dem deutschen Reiche.
Gesetzt, so könnte der Kanzler bei dieser Gelegenheit ungefähr gedacht
haben, Euer Majestät ließen sich von London aus bestimmen, wir setzten uns
in Positur und riefen nach Osten hin: Vasta! Nußland aber kehrte sich nicht
an das Machtwort und ließe marschiren -- was würde geschehen? Entweder


Fremde Einflüsse im Reiche.

möglichst kräftige Wahrung seiner Interessen und niemals etwas andres be¬
deutet. Später, 1863, wollte England die polnische Revolution als Schwächung
Rußlands von uns begünstigt sehen, wobei wir einen Freund für die Zukunft
verloren und uns in den Polen einen sichern Feind geschaffen hätten. Hatte
Bismarck bei diesen beiden Gelegenheiten, bei der erstem privatim, als Ver¬
trauensmann Friedrich Wilhelms IV., bei der spätern als Minister, für die
Ablehnung der englischen Zumutungen gesorgt, so fand sich bald eine dritte,
bei der es sich nicht mehr bloß um Preußen, sondern um das deutsche Reich
handelte, das nun gleichfalls in den Dienst für die britische Politik gestellt
werden sollte. Wir sprechen darüber etwas ausführlicher, da hier schon die
eigentümliche Weise hervortritt, in welcher die oben charakterisirte englische
Beeinflussung in den letzten Jahren betrieben wurde. Bereits 1870 hatte ver¬
lautet, daß hochstehende englische Damen — man nannte als erste und vor¬
nehmste die Königin Viktoria — sich gegen die Beschießung von Paris ins
Mittel gelegt und Aufschub erwirkt hätten. Das Folgende aber ist mehr als
bloßes Gerücht. Kurz vor dem Ausbruche des letzten russisch-türkischen Krieges
richtete die Königin von England einen Brief an den deutschen Reichskanzler,
in welchem sie ihn zum Einspruch gegen die Absicht Rußlands, die Pforte
anzugreifen, aufforderte — wenn wir uns recht erinnern, im Namen der Mensch¬
lichkeit. Die Antwort lautete ausweichend. Ein zweites Schreiben Ihrer
britischen Majestät, das dringender zu einem derartigen Einschreiten ermahnte,
begegnete einer weniger verhüllten Weigerung. Die Königin wendete sich jetzt
an den Kaiser Wilhelm, um ihn für den ausbrechenden Krieg verantwortlich
zu machen, und bat zugleich eine ihm nahestehende hohe Dame, der die Rolle
eines Friedensengcls mit dem Olivenkranze gefallen konnte, um ihre Vermitte¬
lung. Die Bitte wurde gewährt und erfüllt, aber obwohl der Kaiser bekannter¬
maßen ein durchaus friedliebender Herr war, blieben Brief und mündliches
Zureden der Vermittlerin ohne Erfolg, da die Einsicht des Monarchen seinem
viclbewährten obersten Rate Recht gehen mußte, der ihm vorstellte, daß jenes
Ansinnen, dem russischen Nachbar Ruhe zu empfehlen und nötigenfalls zu ge¬
bieten, ohne dazu in unsern Verhältnissen und Bedürfnissen Anlaß zu haben,
lediglich aus Gefälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für
seine kommerziellen und politischen Interessen in der Levante zu erhitzen und in
Kosten zu stecken brauchte, mindestens eine recht eigentümliche Zumutung sei,
und der ihn überzeugte, daß jenes Verlangen der Königin leicht zum geraden
Gegenteile dessen, was damit bezweckt wurde, also zum Kriege führen konnte,
und zwar zu einem Kriege zwischen Rußland und dem deutschen Reiche.
Gesetzt, so könnte der Kanzler bei dieser Gelegenheit ungefähr gedacht
haben, Euer Majestät ließen sich von London aus bestimmen, wir setzten uns
in Positur und riefen nach Osten hin: Vasta! Nußland aber kehrte sich nicht
an das Machtwort und ließe marschiren — was würde geschehen? Entweder


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[0164] Fremde Einflüsse im Reiche. möglichst kräftige Wahrung seiner Interessen und niemals etwas andres be¬ deutet. Später, 1863, wollte England die polnische Revolution als Schwächung Rußlands von uns begünstigt sehen, wobei wir einen Freund für die Zukunft verloren und uns in den Polen einen sichern Feind geschaffen hätten. Hatte Bismarck bei diesen beiden Gelegenheiten, bei der erstem privatim, als Ver¬ trauensmann Friedrich Wilhelms IV., bei der spätern als Minister, für die Ablehnung der englischen Zumutungen gesorgt, so fand sich bald eine dritte, bei der es sich nicht mehr bloß um Preußen, sondern um das deutsche Reich handelte, das nun gleichfalls in den Dienst für die britische Politik gestellt werden sollte. Wir sprechen darüber etwas ausführlicher, da hier schon die eigentümliche Weise hervortritt, in welcher die oben charakterisirte englische Beeinflussung in den letzten Jahren betrieben wurde. Bereits 1870 hatte ver¬ lautet, daß hochstehende englische Damen — man nannte als erste und vor¬ nehmste die Königin Viktoria — sich gegen die Beschießung von Paris ins Mittel gelegt und Aufschub erwirkt hätten. Das Folgende aber ist mehr als bloßes Gerücht. Kurz vor dem Ausbruche des letzten russisch-türkischen Krieges richtete die Königin von England einen Brief an den deutschen Reichskanzler, in welchem sie ihn zum Einspruch gegen die Absicht Rußlands, die Pforte anzugreifen, aufforderte — wenn wir uns recht erinnern, im Namen der Mensch¬ lichkeit. Die Antwort lautete ausweichend. Ein zweites Schreiben Ihrer britischen Majestät, das dringender zu einem derartigen Einschreiten ermahnte, begegnete einer weniger verhüllten Weigerung. Die Königin wendete sich jetzt an den Kaiser Wilhelm, um ihn für den ausbrechenden Krieg verantwortlich zu machen, und bat zugleich eine ihm nahestehende hohe Dame, der die Rolle eines Friedensengcls mit dem Olivenkranze gefallen konnte, um ihre Vermitte¬ lung. Die Bitte wurde gewährt und erfüllt, aber obwohl der Kaiser bekannter¬ maßen ein durchaus friedliebender Herr war, blieben Brief und mündliches Zureden der Vermittlerin ohne Erfolg, da die Einsicht des Monarchen seinem viclbewährten obersten Rate Recht gehen mußte, der ihm vorstellte, daß jenes Ansinnen, dem russischen Nachbar Ruhe zu empfehlen und nötigenfalls zu ge¬ bieten, ohne dazu in unsern Verhältnissen und Bedürfnissen Anlaß zu haben, lediglich aus Gefälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für seine kommerziellen und politischen Interessen in der Levante zu erhitzen und in Kosten zu stecken brauchte, mindestens eine recht eigentümliche Zumutung sei, und der ihn überzeugte, daß jenes Verlangen der Königin leicht zum geraden Gegenteile dessen, was damit bezweckt wurde, also zum Kriege führen konnte, und zwar zu einem Kriege zwischen Rußland und dem deutschen Reiche. Gesetzt, so könnte der Kanzler bei dieser Gelegenheit ungefähr gedacht haben, Euer Majestät ließen sich von London aus bestimmen, wir setzten uns in Positur und riefen nach Osten hin: Vasta! Nußland aber kehrte sich nicht an das Machtwort und ließe marschiren — was würde geschehen? Entweder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/164>, abgerufen am 28.07.2024.