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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

reich vorwendete. Der am 7. September zwischen England, Österreich und
Holland abgeschlossene Vertrag sagt: "Die Franzosen und Spanier würden allen
furchtbar werden und die Herrschaft über Europa leicht an sich reißen." Und
zu Eingange des am 11. November desselben Jahres zu stände gekommenen
Bündnisses zwischen England und Holland heißt es noch bestimmter: "Nachdem
der König von Frankreich sich zum Herrn der ganzen spanischen Erbschaft zu
Gunsten seines Enkels gemacht hat, ist er so furchtbar, daß nach einstimmiger
Ansicht der ganzen Welt Europa sich in dringender Gefahr befindet, seine
Freiheit zu verlieren und unter das Joch einer Universalmonarchie zu geraten."
Darin lag Wahrheit, aber zunächst der Gedanke an die Bedrohung der englischen
Freiheit und Macht und die Unzulänglichkeit der eignen Mittel, diese zu ver¬
teidigen, und in der That mußten dann die festländischen Verbündeten mit ihren
Waffen das Beste thun. Erinnern wir uns ferner des siebenjährigen Krieges,
wo England schließlich den Löwenanteil an der Siegesbeute davon trug, während
es nur schwächliches für König Friedrich geleistet hatte, wo wir ihm die fran¬
zösischen Kolonien eroberten, und wo es zuletzt im Begriffe stand, Preußen zu
verraten. Auch bei seiner Bekämpfung Napoleons stand ihm sein Vorteil, seine
Sicherheit, sein Handelsintersse und die Erweiterung seines überseeischen Besitzes
zweifellos im Vordergrunde. War es bisher Frankreich gewesen, gegen welches
die englische Politik bei der Schwäche ihrer militärischen Kräfte Bundesgenossen,
die ihre Kriege führen sollten, zu werben bemüht war, so begann sie in den
letzten Jahrzehnten ihre Augen auf Rußland zu richten, das ihr am Bosporus
und an der Grenze Indiens gefährlicher geworden war, und sich auf dem Kon¬
tinente Beistand gegen diesen Nebenbuhler oder Ablenkung der Bestrebungen
desselben von seiner Interessensphäre zu suchen, wobei ihre Blicke auch auf die
mitteleuropäischen Mächte fielen, obwohl unter diesen Preußen sowie das übrige
Deutschland gar kein oder doch nur ein sehr geringes Interesse an der Ent¬
scheidung der betreffenden Fragen hatten. Zunächst sollten wir uns während des
Krimkrieges ganz gegen unser Bedürfnis, welches uns empfahl, soweit irgend
möglich, gute Nachbarschaft mit den Russen zu pflegen, im Anschluß an
die Westmächte dem Kaiser Nikolaus entgegenstellen. War es schon nicht
weise, daß Frankreich sich von England gegen den Kaiser mehr benutzen ließ,
als England dabei ihm diente, so wäre ein Eingehen auf dieses Verlangen
von seiten Preußens offenbar Thorheit gewesen. Es grenzte an Rußland
und halte somit ein Wagnis übernommen, für das es nichts zu erwarten
hatte, als den Haß einer Macht, die sich nach dem Frieden mit Frankreich ver¬
ständigen konnte, um an uns Vergeltung zu üben. Dennoch wurde das Verlangen
englischerseits gestellt und dringend befürwortet -- auch von einem deutschen
Diplomaten --, weil angeblich die Freiheit Europas durch das Wachsen der rus¬
sischen Macht gefährdet war, die Freiheit Europas, die in englischem Munde
allezeit die möglichst weite Ausdehnung des Einflusses Großbritanniens, die


Fremde Einflüsse im Reiche.

reich vorwendete. Der am 7. September zwischen England, Österreich und
Holland abgeschlossene Vertrag sagt: „Die Franzosen und Spanier würden allen
furchtbar werden und die Herrschaft über Europa leicht an sich reißen." Und
zu Eingange des am 11. November desselben Jahres zu stände gekommenen
Bündnisses zwischen England und Holland heißt es noch bestimmter: „Nachdem
der König von Frankreich sich zum Herrn der ganzen spanischen Erbschaft zu
Gunsten seines Enkels gemacht hat, ist er so furchtbar, daß nach einstimmiger
Ansicht der ganzen Welt Europa sich in dringender Gefahr befindet, seine
Freiheit zu verlieren und unter das Joch einer Universalmonarchie zu geraten."
Darin lag Wahrheit, aber zunächst der Gedanke an die Bedrohung der englischen
Freiheit und Macht und die Unzulänglichkeit der eignen Mittel, diese zu ver¬
teidigen, und in der That mußten dann die festländischen Verbündeten mit ihren
Waffen das Beste thun. Erinnern wir uns ferner des siebenjährigen Krieges,
wo England schließlich den Löwenanteil an der Siegesbeute davon trug, während
es nur schwächliches für König Friedrich geleistet hatte, wo wir ihm die fran¬
zösischen Kolonien eroberten, und wo es zuletzt im Begriffe stand, Preußen zu
verraten. Auch bei seiner Bekämpfung Napoleons stand ihm sein Vorteil, seine
Sicherheit, sein Handelsintersse und die Erweiterung seines überseeischen Besitzes
zweifellos im Vordergrunde. War es bisher Frankreich gewesen, gegen welches
die englische Politik bei der Schwäche ihrer militärischen Kräfte Bundesgenossen,
die ihre Kriege führen sollten, zu werben bemüht war, so begann sie in den
letzten Jahrzehnten ihre Augen auf Rußland zu richten, das ihr am Bosporus
und an der Grenze Indiens gefährlicher geworden war, und sich auf dem Kon¬
tinente Beistand gegen diesen Nebenbuhler oder Ablenkung der Bestrebungen
desselben von seiner Interessensphäre zu suchen, wobei ihre Blicke auch auf die
mitteleuropäischen Mächte fielen, obwohl unter diesen Preußen sowie das übrige
Deutschland gar kein oder doch nur ein sehr geringes Interesse an der Ent¬
scheidung der betreffenden Fragen hatten. Zunächst sollten wir uns während des
Krimkrieges ganz gegen unser Bedürfnis, welches uns empfahl, soweit irgend
möglich, gute Nachbarschaft mit den Russen zu pflegen, im Anschluß an
die Westmächte dem Kaiser Nikolaus entgegenstellen. War es schon nicht
weise, daß Frankreich sich von England gegen den Kaiser mehr benutzen ließ,
als England dabei ihm diente, so wäre ein Eingehen auf dieses Verlangen
von seiten Preußens offenbar Thorheit gewesen. Es grenzte an Rußland
und halte somit ein Wagnis übernommen, für das es nichts zu erwarten
hatte, als den Haß einer Macht, die sich nach dem Frieden mit Frankreich ver¬
ständigen konnte, um an uns Vergeltung zu üben. Dennoch wurde das Verlangen
englischerseits gestellt und dringend befürwortet — auch von einem deutschen
Diplomaten —, weil angeblich die Freiheit Europas durch das Wachsen der rus¬
sischen Macht gefährdet war, die Freiheit Europas, die in englischem Munde
allezeit die möglichst weite Ausdehnung des Einflusses Großbritanniens, die


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[0163] Fremde Einflüsse im Reiche. reich vorwendete. Der am 7. September zwischen England, Österreich und Holland abgeschlossene Vertrag sagt: „Die Franzosen und Spanier würden allen furchtbar werden und die Herrschaft über Europa leicht an sich reißen." Und zu Eingange des am 11. November desselben Jahres zu stände gekommenen Bündnisses zwischen England und Holland heißt es noch bestimmter: „Nachdem der König von Frankreich sich zum Herrn der ganzen spanischen Erbschaft zu Gunsten seines Enkels gemacht hat, ist er so furchtbar, daß nach einstimmiger Ansicht der ganzen Welt Europa sich in dringender Gefahr befindet, seine Freiheit zu verlieren und unter das Joch einer Universalmonarchie zu geraten." Darin lag Wahrheit, aber zunächst der Gedanke an die Bedrohung der englischen Freiheit und Macht und die Unzulänglichkeit der eignen Mittel, diese zu ver¬ teidigen, und in der That mußten dann die festländischen Verbündeten mit ihren Waffen das Beste thun. Erinnern wir uns ferner des siebenjährigen Krieges, wo England schließlich den Löwenanteil an der Siegesbeute davon trug, während es nur schwächliches für König Friedrich geleistet hatte, wo wir ihm die fran¬ zösischen Kolonien eroberten, und wo es zuletzt im Begriffe stand, Preußen zu verraten. Auch bei seiner Bekämpfung Napoleons stand ihm sein Vorteil, seine Sicherheit, sein Handelsintersse und die Erweiterung seines überseeischen Besitzes zweifellos im Vordergrunde. War es bisher Frankreich gewesen, gegen welches die englische Politik bei der Schwäche ihrer militärischen Kräfte Bundesgenossen, die ihre Kriege führen sollten, zu werben bemüht war, so begann sie in den letzten Jahrzehnten ihre Augen auf Rußland zu richten, das ihr am Bosporus und an der Grenze Indiens gefährlicher geworden war, und sich auf dem Kon¬ tinente Beistand gegen diesen Nebenbuhler oder Ablenkung der Bestrebungen desselben von seiner Interessensphäre zu suchen, wobei ihre Blicke auch auf die mitteleuropäischen Mächte fielen, obwohl unter diesen Preußen sowie das übrige Deutschland gar kein oder doch nur ein sehr geringes Interesse an der Ent¬ scheidung der betreffenden Fragen hatten. Zunächst sollten wir uns während des Krimkrieges ganz gegen unser Bedürfnis, welches uns empfahl, soweit irgend möglich, gute Nachbarschaft mit den Russen zu pflegen, im Anschluß an die Westmächte dem Kaiser Nikolaus entgegenstellen. War es schon nicht weise, daß Frankreich sich von England gegen den Kaiser mehr benutzen ließ, als England dabei ihm diente, so wäre ein Eingehen auf dieses Verlangen von seiten Preußens offenbar Thorheit gewesen. Es grenzte an Rußland und halte somit ein Wagnis übernommen, für das es nichts zu erwarten hatte, als den Haß einer Macht, die sich nach dem Frieden mit Frankreich ver¬ ständigen konnte, um an uns Vergeltung zu üben. Dennoch wurde das Verlangen englischerseits gestellt und dringend befürwortet — auch von einem deutschen Diplomaten —, weil angeblich die Freiheit Europas durch das Wachsen der rus¬ sischen Macht gefährdet war, die Freiheit Europas, die in englischem Munde allezeit die möglichst weite Ausdehnung des Einflusses Großbritanniens, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/163>, abgerufen am 28.07.2024.