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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

eines Verwandten des deutschen Kaiserhauses auf den bulgarischen Thron haben
würde, verschiedner Ansicht sein. Die Theorie freilich, an welcher Vismarck
vielleicht zu hartnäckig festhalte, das; Deutschland kein Interesse an Bulgarien
habe, würde damit vernichtet sein. Aber Thatsache sei es doch, daß das deutsche
Reich ein wesentliches Interesse an der Wohlfahrt des Staates habe, für den
Bulgarien von hoher Bedeutung sei. Eine offenere Übernahme der Verantwort¬
lichkeiten des Bündnisses mit Osterreich würde Rumänien ermutigen, Bulgarien
neue Zuversicht einflößen und Rußland die Überzeugung beibringen, daß es
durch einen Angriff auf die Valkanstaaten nichts gewinnen könne.

Hierzu ist zunächst kurz zu sagen, daß Kaiser Friedrich in der Sache
wesentlich dasselbe denkt und will wie sein Kanzler, daß unser Verbündeter in
Österreich-Ungarn an Bulgarien kein so wichtiges Interesse nimmt, wie das
Londoner Blatt vorgiebt, und daß letzteres das Bedürfnis des Doppelstaates
an der Donau nur vorschiebt, um das englische zu verhüllen, den Wunsch und
die Hoffnung, das, deutsche Reich werde im Falle einer Verbindung des Prinzen
Alexander von Ballenberg mit der Tochter des Kaisers Friedrich die Wiederkehr
des Prinzen, des Organs der britischen Politik am Balkan, auf den Thron Bul¬
gariens ermöglichen und ihm diese Stellung gegen Rußland sichern, oder wenn das
zu viel wäre, die Heirat werde wenigstens die Beziehungen des Berliner Hofes zu
dem in Petersburg trüben und erschüttern, womit dem englischen Interesse zwar
nicht in gleichem Maße, aber zunächst indirekt und für die Zukunft direkt ebenfalls
gedient sein würde. Kurz, wir sollen wieder einmal an den englischen Wagen
gespannt, wieder einmal bewogen werden, den Engländern die Kastanien, die sie
zu heiß finden, um sie mit eigner Hand anzufassen, aus dem Feuer zu holen.
Wir sagen: wieder einmal; denn der Versuch ist nicht der erste, er ist vielmehr
schon oft angestellt worden, er gehört zu dem Systeme der englischen Politik ini
Auslande, das darin besteht, die natürlichen Gegner derselben womöglich in
erster Reihe durch festländische Mächte in Schach halten und bekämpfen zu
lassen und letztere überhaupt unter dem Vorwande, sie dienten damit sich selbst,
zur Förderung der britischen Interessen zu gewinnen. Diese Politik, deren Ziel
man einst hinter dem Ausdrucke vgl-ovo cet xovsr verbarg, wurde zuerst deutlich
in einer Rede ausgesprochen, mit welcher Georg II. im Juli 1727 das Parla¬
ment vertagte, und in welcher der König seine Befriedigung darüber kundgab,
sein Volk in gedeihlichem Zustande zu sehen, IwIclinZ eilf valMLö ok Huroxe-,
d. h. die Wage in der Hand haltend und im englischen Interesse den Ausschlag
gebend.*) Vorher schon hatte man im spanischen Erbfolgekriege dieses Ziel im
Auge gehabt, wenn England auch bei dem Abschluß von Bündnissen zu dessen
Erreichung die Bedrohung der Ruhe und Freiheit ganz Europas durch Frcmk-



Vergl. L. Bücher, "Über politische Kunstausdrücke," Deutsche Revue, September-
Heft 1887.
Fremde Einflüsse im Reiche.

eines Verwandten des deutschen Kaiserhauses auf den bulgarischen Thron haben
würde, verschiedner Ansicht sein. Die Theorie freilich, an welcher Vismarck
vielleicht zu hartnäckig festhalte, das; Deutschland kein Interesse an Bulgarien
habe, würde damit vernichtet sein. Aber Thatsache sei es doch, daß das deutsche
Reich ein wesentliches Interesse an der Wohlfahrt des Staates habe, für den
Bulgarien von hoher Bedeutung sei. Eine offenere Übernahme der Verantwort¬
lichkeiten des Bündnisses mit Osterreich würde Rumänien ermutigen, Bulgarien
neue Zuversicht einflößen und Rußland die Überzeugung beibringen, daß es
durch einen Angriff auf die Valkanstaaten nichts gewinnen könne.

Hierzu ist zunächst kurz zu sagen, daß Kaiser Friedrich in der Sache
wesentlich dasselbe denkt und will wie sein Kanzler, daß unser Verbündeter in
Österreich-Ungarn an Bulgarien kein so wichtiges Interesse nimmt, wie das
Londoner Blatt vorgiebt, und daß letzteres das Bedürfnis des Doppelstaates
an der Donau nur vorschiebt, um das englische zu verhüllen, den Wunsch und
die Hoffnung, das, deutsche Reich werde im Falle einer Verbindung des Prinzen
Alexander von Ballenberg mit der Tochter des Kaisers Friedrich die Wiederkehr
des Prinzen, des Organs der britischen Politik am Balkan, auf den Thron Bul¬
gariens ermöglichen und ihm diese Stellung gegen Rußland sichern, oder wenn das
zu viel wäre, die Heirat werde wenigstens die Beziehungen des Berliner Hofes zu
dem in Petersburg trüben und erschüttern, womit dem englischen Interesse zwar
nicht in gleichem Maße, aber zunächst indirekt und für die Zukunft direkt ebenfalls
gedient sein würde. Kurz, wir sollen wieder einmal an den englischen Wagen
gespannt, wieder einmal bewogen werden, den Engländern die Kastanien, die sie
zu heiß finden, um sie mit eigner Hand anzufassen, aus dem Feuer zu holen.
Wir sagen: wieder einmal; denn der Versuch ist nicht der erste, er ist vielmehr
schon oft angestellt worden, er gehört zu dem Systeme der englischen Politik ini
Auslande, das darin besteht, die natürlichen Gegner derselben womöglich in
erster Reihe durch festländische Mächte in Schach halten und bekämpfen zu
lassen und letztere überhaupt unter dem Vorwande, sie dienten damit sich selbst,
zur Förderung der britischen Interessen zu gewinnen. Diese Politik, deren Ziel
man einst hinter dem Ausdrucke vgl-ovo cet xovsr verbarg, wurde zuerst deutlich
in einer Rede ausgesprochen, mit welcher Georg II. im Juli 1727 das Parla¬
ment vertagte, und in welcher der König seine Befriedigung darüber kundgab,
sein Volk in gedeihlichem Zustande zu sehen, IwIclinZ eilf valMLö ok Huroxe-,
d. h. die Wage in der Hand haltend und im englischen Interesse den Ausschlag
gebend.*) Vorher schon hatte man im spanischen Erbfolgekriege dieses Ziel im
Auge gehabt, wenn England auch bei dem Abschluß von Bündnissen zu dessen
Erreichung die Bedrohung der Ruhe und Freiheit ganz Europas durch Frcmk-



Vergl. L. Bücher, „Über politische Kunstausdrücke," Deutsche Revue, September-
Heft 1887.
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[0162] Fremde Einflüsse im Reiche. eines Verwandten des deutschen Kaiserhauses auf den bulgarischen Thron haben würde, verschiedner Ansicht sein. Die Theorie freilich, an welcher Vismarck vielleicht zu hartnäckig festhalte, das; Deutschland kein Interesse an Bulgarien habe, würde damit vernichtet sein. Aber Thatsache sei es doch, daß das deutsche Reich ein wesentliches Interesse an der Wohlfahrt des Staates habe, für den Bulgarien von hoher Bedeutung sei. Eine offenere Übernahme der Verantwort¬ lichkeiten des Bündnisses mit Osterreich würde Rumänien ermutigen, Bulgarien neue Zuversicht einflößen und Rußland die Überzeugung beibringen, daß es durch einen Angriff auf die Valkanstaaten nichts gewinnen könne. Hierzu ist zunächst kurz zu sagen, daß Kaiser Friedrich in der Sache wesentlich dasselbe denkt und will wie sein Kanzler, daß unser Verbündeter in Österreich-Ungarn an Bulgarien kein so wichtiges Interesse nimmt, wie das Londoner Blatt vorgiebt, und daß letzteres das Bedürfnis des Doppelstaates an der Donau nur vorschiebt, um das englische zu verhüllen, den Wunsch und die Hoffnung, das, deutsche Reich werde im Falle einer Verbindung des Prinzen Alexander von Ballenberg mit der Tochter des Kaisers Friedrich die Wiederkehr des Prinzen, des Organs der britischen Politik am Balkan, auf den Thron Bul¬ gariens ermöglichen und ihm diese Stellung gegen Rußland sichern, oder wenn das zu viel wäre, die Heirat werde wenigstens die Beziehungen des Berliner Hofes zu dem in Petersburg trüben und erschüttern, womit dem englischen Interesse zwar nicht in gleichem Maße, aber zunächst indirekt und für die Zukunft direkt ebenfalls gedient sein würde. Kurz, wir sollen wieder einmal an den englischen Wagen gespannt, wieder einmal bewogen werden, den Engländern die Kastanien, die sie zu heiß finden, um sie mit eigner Hand anzufassen, aus dem Feuer zu holen. Wir sagen: wieder einmal; denn der Versuch ist nicht der erste, er ist vielmehr schon oft angestellt worden, er gehört zu dem Systeme der englischen Politik ini Auslande, das darin besteht, die natürlichen Gegner derselben womöglich in erster Reihe durch festländische Mächte in Schach halten und bekämpfen zu lassen und letztere überhaupt unter dem Vorwande, sie dienten damit sich selbst, zur Förderung der britischen Interessen zu gewinnen. Diese Politik, deren Ziel man einst hinter dem Ausdrucke vgl-ovo cet xovsr verbarg, wurde zuerst deutlich in einer Rede ausgesprochen, mit welcher Georg II. im Juli 1727 das Parla¬ ment vertagte, und in welcher der König seine Befriedigung darüber kundgab, sein Volk in gedeihlichem Zustande zu sehen, IwIclinZ eilf valMLö ok Huroxe-, d. h. die Wage in der Hand haltend und im englischen Interesse den Ausschlag gebend.*) Vorher schon hatte man im spanischen Erbfolgekriege dieses Ziel im Auge gehabt, wenn England auch bei dem Abschluß von Bündnissen zu dessen Erreichung die Bedrohung der Ruhe und Freiheit ganz Europas durch Frcmk- Vergl. L. Bücher, „Über politische Kunstausdrücke," Deutsche Revue, September- Heft 1887.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/162>, abgerufen am 28.07.2024.