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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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das Litteraturgeschichte? Ich glaube eine Satire zu hören. Und ist die Satire
berechtigt? Wäre sie das, sie würde nicht einmal i"it voller Wucht treffe":
Kamentz in Schlesien ist nicht Kamenz in der Lausitz.

Mich wundert, daß Sie bei der Hamburgischen Dramaturgie so ruhig
bleiben, Herr Combes. Die Wirkung der Minna von Barnhelm suchen Sie
zu entkräften. Nach Ihnen ist Lessing kein Dichter -- er sagt es ja selbst --,
nach Ihnen ist die Minna nicht gelungen. Ich kann Ihnen versichern, es ist
eine der gelungensten Komödien, die wir haben, und das kommt zu nicht ge¬
ringem Teil mit her von der Einführung jener Person, der Sie die Anerkennung
nicht versagen, daß sie vielleicht auch in der Wirklichkeit vorhanden gewesen sei,
des braven Riceaut de la Marliniere. Wozu aber schwächen Sie ab, was
Lessing wollte und erreicht hat, wenn Sie erklären, daß die Armeen solche Indi¬
viduen natürlich im Gefolge gehabt Hütte"? Nein, mein Herr, hier giebts nichts
zu vertuschen und zu vertusche!"; solcher Bettelexistenzen gab es gar viele, auch
ohne Armee"; lesen Sie die Hausfranzösin der Frau Gottsched; die schildert
auch nicht gerade sanft dies hochfahrende Lumpenpack, das den Deutschen eine
Ehre zu erweisen glaubte, wenn es sich an deutschem Herde nährte und den
Gastgebern nur recht häufig wiederholte, welche "arme, plumpe Sprat" sie be¬
säße". Und wie können Sie behaupte", daß das Blatt sich gewandt habe, die
heutigen Niccauts seien die Deutschen in Frankreich? Sie sprechen selbst an
andrer Stelle davon, daß diese jede Arbeit, auch die niedrigste, willig verrichten;
ich hoffe, daß Sie einen ehrlichen Arbeiter von el"em Schmarotzer und Be¬
trüger werden unterscheiden können. Und ich frage Sie zum zweiten male: Ist
das Litteraturgeschichte?

Weil das eigenartig Deutsche, wie es sich auch immer zeigt, von Ihnen
verkannt wird, verlieren manche Dichter gänzlich ihren Zusammenhang. Klopstock
ist so gut eine Erscheinung gerade des deutschen Geistes wie Goethe; aber wie
kann Goethes Jugend von einem Klopstockverächter begriffen werden? Wie
Schillers Jugend ohne ein eingehendes Studium von Sturm und Drang?
Hier haben Sie schwer gefehlt, Herr Combes, und ich würde Ihnen raten, die
mnnnichfachen Lücken Ihrer Kenntnisse recht bald auszufüllen.

Sonst ist Ihre Behandlung von Schiller und Goethe durchaus würdig. Frei¬
lich vermisse ich manches, was Sie ans unsern neuern Litteraturgeschichten sehr
wohl hätten lernen können. Wo bleibt bei Schiller sein gewaltiges Empor¬
ringen, das Sichumgestalteu nach dem Bilde Goethes? Wie Kant, so hat
anch ihn jahrelang das Rätsel des Genies beschäftigt; auch er hat sich seinen
Begriff des Genies theoretisch erbaut; er ist so glücklich, das endlich auch in
der Erscheinung zu treffen, was seinem Denken im transzendenten Reiche längst
bekannt war. Ähnliche Gedankenreihen haben fort und fort wirkend die An¬
schauungen der Romantiker bestimmt. Wo bleibt das alles? Statt dessen
gebe" Sie "eben einander gereihte, innerlich zusammenhanglose Urteile über die


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das Litteraturgeschichte? Ich glaube eine Satire zu hören. Und ist die Satire
berechtigt? Wäre sie das, sie würde nicht einmal i»it voller Wucht treffe»:
Kamentz in Schlesien ist nicht Kamenz in der Lausitz.

Mich wundert, daß Sie bei der Hamburgischen Dramaturgie so ruhig
bleiben, Herr Combes. Die Wirkung der Minna von Barnhelm suchen Sie
zu entkräften. Nach Ihnen ist Lessing kein Dichter — er sagt es ja selbst —,
nach Ihnen ist die Minna nicht gelungen. Ich kann Ihnen versichern, es ist
eine der gelungensten Komödien, die wir haben, und das kommt zu nicht ge¬
ringem Teil mit her von der Einführung jener Person, der Sie die Anerkennung
nicht versagen, daß sie vielleicht auch in der Wirklichkeit vorhanden gewesen sei,
des braven Riceaut de la Marliniere. Wozu aber schwächen Sie ab, was
Lessing wollte und erreicht hat, wenn Sie erklären, daß die Armeen solche Indi¬
viduen natürlich im Gefolge gehabt Hütte»? Nein, mein Herr, hier giebts nichts
zu vertuschen und zu vertusche!»; solcher Bettelexistenzen gab es gar viele, auch
ohne Armee»; lesen Sie die Hausfranzösin der Frau Gottsched; die schildert
auch nicht gerade sanft dies hochfahrende Lumpenpack, das den Deutschen eine
Ehre zu erweisen glaubte, wenn es sich an deutschem Herde nährte und den
Gastgebern nur recht häufig wiederholte, welche „arme, plumpe Sprat" sie be¬
säße». Und wie können Sie behaupte», daß das Blatt sich gewandt habe, die
heutigen Niccauts seien die Deutschen in Frankreich? Sie sprechen selbst an
andrer Stelle davon, daß diese jede Arbeit, auch die niedrigste, willig verrichten;
ich hoffe, daß Sie einen ehrlichen Arbeiter von el»em Schmarotzer und Be¬
trüger werden unterscheiden können. Und ich frage Sie zum zweiten male: Ist
das Litteraturgeschichte?

Weil das eigenartig Deutsche, wie es sich auch immer zeigt, von Ihnen
verkannt wird, verlieren manche Dichter gänzlich ihren Zusammenhang. Klopstock
ist so gut eine Erscheinung gerade des deutschen Geistes wie Goethe; aber wie
kann Goethes Jugend von einem Klopstockverächter begriffen werden? Wie
Schillers Jugend ohne ein eingehendes Studium von Sturm und Drang?
Hier haben Sie schwer gefehlt, Herr Combes, und ich würde Ihnen raten, die
mnnnichfachen Lücken Ihrer Kenntnisse recht bald auszufüllen.

Sonst ist Ihre Behandlung von Schiller und Goethe durchaus würdig. Frei¬
lich vermisse ich manches, was Sie ans unsern neuern Litteraturgeschichten sehr
wohl hätten lernen können. Wo bleibt bei Schiller sein gewaltiges Empor¬
ringen, das Sichumgestalteu nach dem Bilde Goethes? Wie Kant, so hat
anch ihn jahrelang das Rätsel des Genies beschäftigt; auch er hat sich seinen
Begriff des Genies theoretisch erbaut; er ist so glücklich, das endlich auch in
der Erscheinung zu treffen, was seinem Denken im transzendenten Reiche längst
bekannt war. Ähnliche Gedankenreihen haben fort und fort wirkend die An¬
schauungen der Romantiker bestimmt. Wo bleibt das alles? Statt dessen
gebe» Sie »eben einander gereihte, innerlich zusammenhanglose Urteile über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/138>, abgerufen am 27.07.2024.