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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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herausgreifen! Die Übersetzung seines Liedes "Unter der Linde" ist Ihre beste,
Herr Combes; die alte Schutzgöttin Ihrer Nation, die Galanterie, hat Ihnen
augenscheinlich die Feder geführt.

Die neuere Zeit hat mit Recht Ihr Interesse in umfänglicherem Maße
in Anspruch genommen. Ich gebe Ihnen sofort zu, daß Luther ein guter
Manu war, wenngleich mir nicht die Thränen in die Augen wollen darüber,
"daß er die Wunden einer Kirche gezeigt hat, aus der auch wir abstammen
und die uus teuer ist, der armen alten Mutter der modernen Welt." Was
Sie von Hans Sachs sagen, ist von einem Franzosen außerordentlich anerkennens¬
wert. Leibniz und Wolf beurteilen Sie zu hart, erst Thomasius erfährt eine
richtigere Würdigung.

Ich bin überzeugt, daß Ihre Landsleute über die Maßen viel aus dieser
neuen Neformlitteratnrgcschichte lernen werden. Schon sehe ich Ihre Epigouen-
scharen, wie Sie Ihnen nachsprechen, daß die Felsen es wiederhallen und die
Wälder es zurücktragen, daß Klopstock ein doulwiriMg Ä'ruf rsu-ö mülitv ist,
daß Bürger, der liederliche Bürger, fortan als eigentlicher Vertreter des Göt¬
tinger Hains gelten muß, daß es kein alberneres Buch ans Gottes Erdboden
giebt als Vossens Luise. Und auf eins, Herr Combes, möchte ich die zu¬
künftigen Jünger Ihrer großen Schule besonders aufmerksam machen. Wie
schade, wenn sie nicht lernten, welcher Thorheit und Pflichtvergessenheit Deutsche
sähig sind! Darf ich Ihnen die Geschichte wiederhole", die Sie von den jungen
Studenten in Göttingen erzählen, welche sich im September 1772 zum Bunde
zusammenschlossen? So hört denn, ihr kommenden französischen Geschlechter:
diese Frevelhaften -- gewiß hatten sie, milde gesagt, vorher getrunken --, sie
tanzen bekränzt um einen Baum, sie schwärmen für Mondschein und Freund¬
schaft; was kümmert sie das Vaterhaus in Göttingen und ob die liebe Mutter
mit dem Abendessen warten muß, was kümmert sie Weib und Kind? Ja,
staunt nur nicht; bei euch hat der Student seine Grisette, bei uns Weib und
Kind. Und dann beträgt er sich so! Abscheulich!

Je mehr Sie sich der Blütezeit der neuern Litteratur nahen, desto um¬
fänglicher wird Ihre Darstellung, desto eindringender erweisen sich Ihre Studien.
Bei Lessing begreife ich nicht recht die Art, in welcher Sie schildern. Sie
stellen den übertreibender Stahr noch übertreibend Lessings Armut dar und
fahren dann fort: "Seine Familie, zärtliche Eltern und gute Christen, richteten
als Stärkung in seinem Elend entweder Vorwürfe oder Geldbitten an ihn.
Nachdem sie ihm mit bittern Vorwürfen verboten haben, für das Theater zu
schreiben, für diesen Ort der Ausschweifung, wo mau das Christentum vergißt,
erfahren Vater und Mutter, daß Ihres Sohnes Theaterstücke Beifall finden;
sie sind überzeugt, daß ein litterarisches Werk sich machen lasse wie ein paar
Schuhe oder wie eine schlesische Predigt, und veranlassen einen andern Sohn,
den dümmsten und bevorzugten, gleichfalls für das Theater zu arbeite"." Ist


Grenzboten U, 1888. 17
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herausgreifen! Die Übersetzung seines Liedes „Unter der Linde" ist Ihre beste,
Herr Combes; die alte Schutzgöttin Ihrer Nation, die Galanterie, hat Ihnen
augenscheinlich die Feder geführt.

Die neuere Zeit hat mit Recht Ihr Interesse in umfänglicherem Maße
in Anspruch genommen. Ich gebe Ihnen sofort zu, daß Luther ein guter
Manu war, wenngleich mir nicht die Thränen in die Augen wollen darüber,
„daß er die Wunden einer Kirche gezeigt hat, aus der auch wir abstammen
und die uus teuer ist, der armen alten Mutter der modernen Welt." Was
Sie von Hans Sachs sagen, ist von einem Franzosen außerordentlich anerkennens¬
wert. Leibniz und Wolf beurteilen Sie zu hart, erst Thomasius erfährt eine
richtigere Würdigung.

Ich bin überzeugt, daß Ihre Landsleute über die Maßen viel aus dieser
neuen Neformlitteratnrgcschichte lernen werden. Schon sehe ich Ihre Epigouen-
scharen, wie Sie Ihnen nachsprechen, daß die Felsen es wiederhallen und die
Wälder es zurücktragen, daß Klopstock ein doulwiriMg Ä'ruf rsu-ö mülitv ist,
daß Bürger, der liederliche Bürger, fortan als eigentlicher Vertreter des Göt¬
tinger Hains gelten muß, daß es kein alberneres Buch ans Gottes Erdboden
giebt als Vossens Luise. Und auf eins, Herr Combes, möchte ich die zu¬
künftigen Jünger Ihrer großen Schule besonders aufmerksam machen. Wie
schade, wenn sie nicht lernten, welcher Thorheit und Pflichtvergessenheit Deutsche
sähig sind! Darf ich Ihnen die Geschichte wiederhole«, die Sie von den jungen
Studenten in Göttingen erzählen, welche sich im September 1772 zum Bunde
zusammenschlossen? So hört denn, ihr kommenden französischen Geschlechter:
diese Frevelhaften — gewiß hatten sie, milde gesagt, vorher getrunken —, sie
tanzen bekränzt um einen Baum, sie schwärmen für Mondschein und Freund¬
schaft; was kümmert sie das Vaterhaus in Göttingen und ob die liebe Mutter
mit dem Abendessen warten muß, was kümmert sie Weib und Kind? Ja,
staunt nur nicht; bei euch hat der Student seine Grisette, bei uns Weib und
Kind. Und dann beträgt er sich so! Abscheulich!

Je mehr Sie sich der Blütezeit der neuern Litteratur nahen, desto um¬
fänglicher wird Ihre Darstellung, desto eindringender erweisen sich Ihre Studien.
Bei Lessing begreife ich nicht recht die Art, in welcher Sie schildern. Sie
stellen den übertreibender Stahr noch übertreibend Lessings Armut dar und
fahren dann fort: „Seine Familie, zärtliche Eltern und gute Christen, richteten
als Stärkung in seinem Elend entweder Vorwürfe oder Geldbitten an ihn.
Nachdem sie ihm mit bittern Vorwürfen verboten haben, für das Theater zu
schreiben, für diesen Ort der Ausschweifung, wo mau das Christentum vergißt,
erfahren Vater und Mutter, daß Ihres Sohnes Theaterstücke Beifall finden;
sie sind überzeugt, daß ein litterarisches Werk sich machen lasse wie ein paar
Schuhe oder wie eine schlesische Predigt, und veranlassen einen andern Sohn,
den dümmsten und bevorzugten, gleichfalls für das Theater zu arbeite»." Ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/137>, abgerufen am 28.07.2024.