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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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einzelnen Werke, bei denen freilich im allgemeinen wenig unrichtig ist und
manches recht nett übersetzt wird. Ich freue mich von Herzen der Worte, die
Sie über Iphigenie äußern, und nicht minder darüber, daß Sie gewagt haben,
in den Zauberkreis des zweite" Faust einzutreten. Mag auch nicht alles so
in Ordnung sein, wie Sie es den deutschen Kommentatoren nachsprechen, nur
Mütz aller Anfang ist schwer, und die Mühe lohnt sich reichlich. Bei der Be¬
sprechung von Hermann und Dorothea greife ich nur die thörichte Ansicht
heraus, als sei Goethe jemals ein Anhänger der französischen Revolution
gewesen.

Was Sie beim Mittelalter zu viel tadeln, haben Sie hier mit reichlichem
Lobe wieder eingebracht. Oder wollten Sie dem Leser nnr einen schönen Traum
bereiten, um ihn jetzt umso jäher zu erwecken? Sie scheinen ganz wild ge¬
worden zu sein. Mit zweispünniger Katze -- bitte, Herr Combes, schlage" Sie
"Katze" recht sorgfältig nach -- sehe ich Sie die Nachkommenden geißeln; wen
die eine Strehne trifft, der ist verrückt; wen die andre, moralisch gebrandmarkt.
Diese geistreiche Zweiteilung beherrscht eine Zeit lang die Darstellung. Und krank
sind sie alle. Welch tiefe literarhistorische Weisheit birgt sich oft in wenige
Zeilen: "Hölderlin stirbt wahnsinnig. Lenau stirbt wahnsinnig. Sonnenberg
stürzt sich aus dem Fenster. Gutzkow wird nach einem versuchten Selbstmord
in einem b.öpitg.1 Stich Irrenhaus^ untergebracht. Kleist tötet seine Frau swas
war es doch für eine geborenes und sich an ihrer Seite." Das ist die eine
Reihe, alles Romantiker. Für die andre mag ein "Schüler dieser Meister"
das Beispiel sein: "Kinkel, ein Pastorssohn, ist begeistert für die Theologie, dann
spottet er ihrer; liebt und hört auf zu lieben; ist sechsunddreißigmal verlobt,
heiratet eine geschiedne Frau, bekehrt sie vom Katholizismus zum Protestantis¬
mus und wird dann Freidenker."

Gemach, gemach, mein Lieber; im Zorn begegnen einem die größten Mensch¬
lichkeiten. Sie meinen nicht? Schlagen Sie einmal die Stelle ans, wo Zacharias
Werner von Aspasia und Helios spricht. Sie beziehen beides auf Frau vou
Stael, finden es seltsam, daß er sie mit einer Hetäre, viel besser, daß er sie
mit der Sonne vergleicht. Lieber Herr, mit Helios ist Goethe gemeint. Und
Sie können mir getrost glauben, daß ich eine tollere Reihenfolge von Schrift¬
stellern noch nirgends gesehen habe. Aber nicht wahr, was scheren einen geist¬
reichen Mann die plumpen Jahreszahlen?

Sie überschützen Lenau, Freiligrath und Heine; bei letzterm -- er war kein
Katholik! -- geben Sie freilich zu, daß er seiue Meinung nicht öfter gewechselt
habe als sein Hemd. Zum Schluß will ich die vielen Widersprüche Ihres
Buches an einem Beispiel ausweisen. Erinnern Sie sich der bösen Worte über
deutsche Universitäten und Professoren gleich im Anfang? Und hier am Ende
rühmen Sie, wie viele tüchtige Dozenten es in Deutschland gebe und was auf
dem Gebiet der Germanistik die deutsche Wissenschaft alles schon geleistet habe.


'I'^pas ein 1^ littüi^eure ^Neinmulo.

einzelnen Werke, bei denen freilich im allgemeinen wenig unrichtig ist und
manches recht nett übersetzt wird. Ich freue mich von Herzen der Worte, die
Sie über Iphigenie äußern, und nicht minder darüber, daß Sie gewagt haben,
in den Zauberkreis des zweite» Faust einzutreten. Mag auch nicht alles so
in Ordnung sein, wie Sie es den deutschen Kommentatoren nachsprechen, nur
Mütz aller Anfang ist schwer, und die Mühe lohnt sich reichlich. Bei der Be¬
sprechung von Hermann und Dorothea greife ich nur die thörichte Ansicht
heraus, als sei Goethe jemals ein Anhänger der französischen Revolution
gewesen.

Was Sie beim Mittelalter zu viel tadeln, haben Sie hier mit reichlichem
Lobe wieder eingebracht. Oder wollten Sie dem Leser nnr einen schönen Traum
bereiten, um ihn jetzt umso jäher zu erwecken? Sie scheinen ganz wild ge¬
worden zu sein. Mit zweispünniger Katze — bitte, Herr Combes, schlage» Sie
„Katze" recht sorgfältig nach — sehe ich Sie die Nachkommenden geißeln; wen
die eine Strehne trifft, der ist verrückt; wen die andre, moralisch gebrandmarkt.
Diese geistreiche Zweiteilung beherrscht eine Zeit lang die Darstellung. Und krank
sind sie alle. Welch tiefe literarhistorische Weisheit birgt sich oft in wenige
Zeilen: „Hölderlin stirbt wahnsinnig. Lenau stirbt wahnsinnig. Sonnenberg
stürzt sich aus dem Fenster. Gutzkow wird nach einem versuchten Selbstmord
in einem b.öpitg.1 Stich Irrenhaus^ untergebracht. Kleist tötet seine Frau swas
war es doch für eine geborenes und sich an ihrer Seite." Das ist die eine
Reihe, alles Romantiker. Für die andre mag ein „Schüler dieser Meister"
das Beispiel sein: „Kinkel, ein Pastorssohn, ist begeistert für die Theologie, dann
spottet er ihrer; liebt und hört auf zu lieben; ist sechsunddreißigmal verlobt,
heiratet eine geschiedne Frau, bekehrt sie vom Katholizismus zum Protestantis¬
mus und wird dann Freidenker."

Gemach, gemach, mein Lieber; im Zorn begegnen einem die größten Mensch¬
lichkeiten. Sie meinen nicht? Schlagen Sie einmal die Stelle ans, wo Zacharias
Werner von Aspasia und Helios spricht. Sie beziehen beides auf Frau vou
Stael, finden es seltsam, daß er sie mit einer Hetäre, viel besser, daß er sie
mit der Sonne vergleicht. Lieber Herr, mit Helios ist Goethe gemeint. Und
Sie können mir getrost glauben, daß ich eine tollere Reihenfolge von Schrift¬
stellern noch nirgends gesehen habe. Aber nicht wahr, was scheren einen geist¬
reichen Mann die plumpen Jahreszahlen?

Sie überschützen Lenau, Freiligrath und Heine; bei letzterm — er war kein
Katholik! — geben Sie freilich zu, daß er seiue Meinung nicht öfter gewechselt
habe als sein Hemd. Zum Schluß will ich die vielen Widersprüche Ihres
Buches an einem Beispiel ausweisen. Erinnern Sie sich der bösen Worte über
deutsche Universitäten und Professoren gleich im Anfang? Und hier am Ende
rühmen Sie, wie viele tüchtige Dozenten es in Deutschland gebe und was auf
dem Gebiet der Germanistik die deutsche Wissenschaft alles schon geleistet habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/139>, abgerufen am 27.07.2024.