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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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den eine nicht geringe Anzahl irre geleiteter deutscher Literarhistoriker für einen
große" hält, er konnte weder lesen noch schreiben, verstand auch nicht genügend
Französisch, hieß Wolfram von Eschenbach. Der diktirte (natürlich!) ein Opus
von 24 00N Versen, und als das Opus fertig war, nannte ers Parcival. Darin
kommt das Unglaubliche vor, daß ein Kind vier jagende Ritter ihres strahlenden
Aussehens wegen für Gott hält. Welchen von den vieren? fragen Sie treffend,
Herr Combes, mit echt französischem Esprit. Darin findet sich eine Reihe der
langweiligsten mystische" Erörterungen. . . . ?0ng,1U o'<Z8t, lMi8k pure. Ist doch
die Mystik unsrer gesunden Philosophie eine der beklagenswertesten und ge¬
fährlichsten Verirrungen. In unsern Tagen hat man ihr endlich ihren wahren
Namen "männliche Hysterie" gegeben.

Welche großen und weiten Gesichtspunkte Sie da aufstellen, lieber Herr!
Das alles ist für mich nen, ist Belehrung! Und wie froh bin ich, daß Sie
endlich die hochdeutsche Herkunft des Wortes Gral, das man sonst für ein
romanisches hielt, gefunden haben!

Im Vorbeigehen muß ich Ihnen gestehen, daß ich erst mit der Anordnung
Ihres Buches wenig zufrieden war. Ich konnte nicht begreifen, warum Wolfram
vor Hnrtmcmn von der Ane, Schiller vor Goethe steht. Ja ich muß die kleine
Ketzerei zugeben, daß ichs eigentlich auch jetzt noch nicht begreife. Allein ich
hoffe, daß bei näherer Betrachtung Ihres Werkes mir der Grund dieser gewiß
künstlerischen Gruppirung klar werden wird.

Über Hartmann erlauben Sie mir andrer Meinung zu sein als Sie. Sie
finden, indem Sie sich der Meinung Scherrs anschließen -- seit wann ist
Scherr ein großer Literarhistoriker? --, daß der Arme Heinrich von einem
Ende bis zum andern eine Mtiwäs sei. Sie fragen, weswegen er also berühmt
sei, weswegen er auf den Universitäten beinahe wie ein Klassiker kommentirt
werde. Gewiß lassen sich noch andre Gründe dafür aufweisen, aber dürfte nicht
der wichtigste in unsern schlechten Einrichtungen liegen? Sie schildern selbst,
wie gründlich unsre Professoren, wie langweilig unsre Vorlesungen oder wissen¬
schaftlichen Seminare sind; nun, damit man in einem Semester auskomme,
braucht man ein kleines Buch. Die andern mittelhochdeutschen Gedichte haben
mindestens 24 000 Verse. Begreifen Sie? Und da Sie bei Hartmann soviel
Fragen aufwerfen, so lassen Sie mich eine hinzufügen, deren Beantwortung ich
mir von Ihrer Gelehrsamkeit nächstens erbitte: Der Mann ist so berühmt;
sollte er in seinem Leben wohl noch etwas andres geschrieben haben als den
armen Armen Heinrich?

Über Reinhard (Reineke Fuchs) kommen Sie, wieder in künstlerischer An¬
ordnung, zu den Minnesingern. Wie freute es mich, das kühne Wort zu hören,
daß sie mit ihrer Eintönigkeit allesamt keinen Pfifferling wert sind! Und wieder
welch feiner Takt, welch selbständige Behandlung der Litteratur, daß Sie aus
diesem großen und wüsten Haufen den einzigen Walther von der Vogelweide


l^pes cle litt^VÄture kNoma,ne?o.

den eine nicht geringe Anzahl irre geleiteter deutscher Literarhistoriker für einen
große» hält, er konnte weder lesen noch schreiben, verstand auch nicht genügend
Französisch, hieß Wolfram von Eschenbach. Der diktirte (natürlich!) ein Opus
von 24 00N Versen, und als das Opus fertig war, nannte ers Parcival. Darin
kommt das Unglaubliche vor, daß ein Kind vier jagende Ritter ihres strahlenden
Aussehens wegen für Gott hält. Welchen von den vieren? fragen Sie treffend,
Herr Combes, mit echt französischem Esprit. Darin findet sich eine Reihe der
langweiligsten mystische» Erörterungen. . . . ?0ng,1U o'<Z8t, lMi8k pure. Ist doch
die Mystik unsrer gesunden Philosophie eine der beklagenswertesten und ge¬
fährlichsten Verirrungen. In unsern Tagen hat man ihr endlich ihren wahren
Namen „männliche Hysterie" gegeben.

Welche großen und weiten Gesichtspunkte Sie da aufstellen, lieber Herr!
Das alles ist für mich nen, ist Belehrung! Und wie froh bin ich, daß Sie
endlich die hochdeutsche Herkunft des Wortes Gral, das man sonst für ein
romanisches hielt, gefunden haben!

Im Vorbeigehen muß ich Ihnen gestehen, daß ich erst mit der Anordnung
Ihres Buches wenig zufrieden war. Ich konnte nicht begreifen, warum Wolfram
vor Hnrtmcmn von der Ane, Schiller vor Goethe steht. Ja ich muß die kleine
Ketzerei zugeben, daß ichs eigentlich auch jetzt noch nicht begreife. Allein ich
hoffe, daß bei näherer Betrachtung Ihres Werkes mir der Grund dieser gewiß
künstlerischen Gruppirung klar werden wird.

Über Hartmann erlauben Sie mir andrer Meinung zu sein als Sie. Sie
finden, indem Sie sich der Meinung Scherrs anschließen — seit wann ist
Scherr ein großer Literarhistoriker? —, daß der Arme Heinrich von einem
Ende bis zum andern eine Mtiwäs sei. Sie fragen, weswegen er also berühmt
sei, weswegen er auf den Universitäten beinahe wie ein Klassiker kommentirt
werde. Gewiß lassen sich noch andre Gründe dafür aufweisen, aber dürfte nicht
der wichtigste in unsern schlechten Einrichtungen liegen? Sie schildern selbst,
wie gründlich unsre Professoren, wie langweilig unsre Vorlesungen oder wissen¬
schaftlichen Seminare sind; nun, damit man in einem Semester auskomme,
braucht man ein kleines Buch. Die andern mittelhochdeutschen Gedichte haben
mindestens 24 000 Verse. Begreifen Sie? Und da Sie bei Hartmann soviel
Fragen aufwerfen, so lassen Sie mich eine hinzufügen, deren Beantwortung ich
mir von Ihrer Gelehrsamkeit nächstens erbitte: Der Mann ist so berühmt;
sollte er in seinem Leben wohl noch etwas andres geschrieben haben als den
armen Armen Heinrich?

Über Reinhard (Reineke Fuchs) kommen Sie, wieder in künstlerischer An¬
ordnung, zu den Minnesingern. Wie freute es mich, das kühne Wort zu hören,
daß sie mit ihrer Eintönigkeit allesamt keinen Pfifferling wert sind! Und wieder
welch feiner Takt, welch selbständige Behandlung der Litteratur, daß Sie aus
diesem großen und wüsten Haufen den einzigen Walther von der Vogelweide


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/136>, abgerufen am 27.07.2024.