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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Aubenton Gustav Theodor Fechners,

schaft aber entwickelt sich, knüpft an Vorhergegaugncs ein. So sehen wir denn
den Begründer der Psychophysik anknüpfen um Voruntcrsnchungen, besonders
an Versuche des Physiologen E, H, Weber und eine von diesem entdeckte all¬
gemeine Gesetzmäßigkeit, Fechners großes, unvergängliches Verdienst ist es,
ans den geringen Anfängen einer systematischen Untersuchung ein geschlossenes
und umfassendes System entwickelt und die Maßmcthoden für das psychophysische
Gebiet kritisch begründet zu haben.

Nimmt man hinzu, daß Fechner in der Darlegung des Systems immer
als der weitblickende Physiker und als ein Schriftsteller von großer Begabung
erscheint, so wird es begreiflich, daß die Psychophysik schnell Geltung und An¬
erkennung erlangte. Es währte nicht lange, so waren Gelehrte aller Nationen
mit psychophysischen Untersuchungen beschäftigt, hie und da sogar in Labora¬
torien, welche eigens zu diesem Zwecke gegründet wurden.

Zu diesem glänzenden Erfolge trug nicht wenig bei, daß Fechner die auf
die Erklärung der Abhängigkeit zwischen Empfindung und Reiz abzielenden
Untersuchungen für alle Zeit von dem Joch der alten Bcgriffspsychologie be¬
freite. In hartem Ringen mit der schulmcißigcn Philosophie, von der er sich
abgewandt hatte, befestigte sich ihm mehr und mehr die Überzeugung, daß alle
Wissenschaft auf dem Boden des Thatsächlichen, Greifbaren, Aufzeigbaren stehen
müsse, daß die Wissenschaft aufhöre und das Reich des Glaubens anfange, wo
die naturwissenschaftliche Methode aufhört, sich fruchtbar zu erweisen. Wissen¬
schaftliche Psychologie ist ihm Psychophysik, das heißt die experimentale Forschung
nach den Beziehungen zwischen den äußern Vorgängen und innern Beobachtungen,
die zu einer in mathematisch-physikalischem Sinne funktionalen Beziehung
zwischen Reiz und Empfindung führt.

Durch den materialistischen Zug, der durch diese Gedanken geht, empfahl
sich die Psychophysik den auch in metaphysischen Sinne materialistisch denkende"
Naturforschern, und gleichzeitig rief sie den Widerspruch der idealistischen Philo¬
sophen hervor, wodurch die Zahl ihrer Anhänger noch schneller wuchs, als es
ohne die philosophische Gegnerschaft der Fall gewesen wäre.

Fechner selbst hat viel kämpfen müssen, nicht um die psychophysischen Unter-
suchungsmethoden zur Geltung zu bringen, sondern um Folgerungen, welche er
ans den Ergebnissen der Untersuchungen gezogen hatte, aufrecht zu halten und
um deu metaphysischen Grundlagen seiner Psychophysik Anerkennung zu ver¬
schaffen. Diesem Kampfe dienen, abgesehen von kleinern Abhandlungen, die
beiden Bücher: "In Sachen der Psychophysik" (1877) und "Revision der Haupt¬
punkte der Psychophysik" (1882), wahre Kunstwerke der Polemik. Im leichten
Fluß einer an Bildern und eigentümlichen Wortprägungen reichen Sprache ent¬
wickelt Fechner nicht uur seine, sondern auch des Gegners Ansicht, beleuchtet
beide, hält sie neben einander, erwägt das Für und Wider, wie ein verständiger
Besitzer eines Kunstwerkes mit einem Kunstfreunde über die Bedeutung des-


Zum Aubenton Gustav Theodor Fechners,

schaft aber entwickelt sich, knüpft an Vorhergegaugncs ein. So sehen wir denn
den Begründer der Psychophysik anknüpfen um Voruntcrsnchungen, besonders
an Versuche des Physiologen E, H, Weber und eine von diesem entdeckte all¬
gemeine Gesetzmäßigkeit, Fechners großes, unvergängliches Verdienst ist es,
ans den geringen Anfängen einer systematischen Untersuchung ein geschlossenes
und umfassendes System entwickelt und die Maßmcthoden für das psychophysische
Gebiet kritisch begründet zu haben.

Nimmt man hinzu, daß Fechner in der Darlegung des Systems immer
als der weitblickende Physiker und als ein Schriftsteller von großer Begabung
erscheint, so wird es begreiflich, daß die Psychophysik schnell Geltung und An¬
erkennung erlangte. Es währte nicht lange, so waren Gelehrte aller Nationen
mit psychophysischen Untersuchungen beschäftigt, hie und da sogar in Labora¬
torien, welche eigens zu diesem Zwecke gegründet wurden.

Zu diesem glänzenden Erfolge trug nicht wenig bei, daß Fechner die auf
die Erklärung der Abhängigkeit zwischen Empfindung und Reiz abzielenden
Untersuchungen für alle Zeit von dem Joch der alten Bcgriffspsychologie be¬
freite. In hartem Ringen mit der schulmcißigcn Philosophie, von der er sich
abgewandt hatte, befestigte sich ihm mehr und mehr die Überzeugung, daß alle
Wissenschaft auf dem Boden des Thatsächlichen, Greifbaren, Aufzeigbaren stehen
müsse, daß die Wissenschaft aufhöre und das Reich des Glaubens anfange, wo
die naturwissenschaftliche Methode aufhört, sich fruchtbar zu erweisen. Wissen¬
schaftliche Psychologie ist ihm Psychophysik, das heißt die experimentale Forschung
nach den Beziehungen zwischen den äußern Vorgängen und innern Beobachtungen,
die zu einer in mathematisch-physikalischem Sinne funktionalen Beziehung
zwischen Reiz und Empfindung führt.

Durch den materialistischen Zug, der durch diese Gedanken geht, empfahl
sich die Psychophysik den auch in metaphysischen Sinne materialistisch denkende»
Naturforschern, und gleichzeitig rief sie den Widerspruch der idealistischen Philo¬
sophen hervor, wodurch die Zahl ihrer Anhänger noch schneller wuchs, als es
ohne die philosophische Gegnerschaft der Fall gewesen wäre.

Fechner selbst hat viel kämpfen müssen, nicht um die psychophysischen Unter-
suchungsmethoden zur Geltung zu bringen, sondern um Folgerungen, welche er
ans den Ergebnissen der Untersuchungen gezogen hatte, aufrecht zu halten und
um deu metaphysischen Grundlagen seiner Psychophysik Anerkennung zu ver¬
schaffen. Diesem Kampfe dienen, abgesehen von kleinern Abhandlungen, die
beiden Bücher: „In Sachen der Psychophysik" (1877) und „Revision der Haupt¬
punkte der Psychophysik" (1882), wahre Kunstwerke der Polemik. Im leichten
Fluß einer an Bildern und eigentümlichen Wortprägungen reichen Sprache ent¬
wickelt Fechner nicht uur seine, sondern auch des Gegners Ansicht, beleuchtet
beide, hält sie neben einander, erwägt das Für und Wider, wie ein verständiger
Besitzer eines Kunstwerkes mit einem Kunstfreunde über die Bedeutung des-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/122>, abgerufen am 01.09.2024.