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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^308.

Wohl aber war dies in dem 1792 von seinem Nachfolger erlassenen
Kcmtonreglemcnt ausgesprochen, aber eben nur ausgesprochen. Wenn dieses
auch mit den vielversprechenden Worten begann: "Die Verbindlichkeit zu Kriegs¬
diensten ist eine Obliegenheit unsrer getreuen Unterthanen," so ließ es doch
wieder so viele Ausnahmen zu, daß von einer allgemeinen Wehrpflicht gar
nicht die Rede sein kann. Nach wie vor wurde der Soldatenstand allgemein
als eine Strafanstalt für Taugenichtse und Dummköpfe augesehen; nach wie vor
waren die gewordenen Ausländer in dem preußischen Heere überwiegend, und
dabei waren diese fast samt und sonders, wie Scharnhorst einmal bemerkt, "Vaga¬
bunden, Trunkenbolde, Diebe, Taugenichtse und andre Verbrecher." Den wenigen
guten Elementen, welche sich in einzelnen Regimentern befanden, hatten sicherlich,
wie auch vielen der übrigen, schlaue Werber durch List und Betrug oder Ge¬
walt den bunten Rock angezogen. War es daher nicht ganz natürlich, daß die
auf diese Weise eingefangenen ihrerseits den Werbeherrn zu betrügen, d. h. bei
jeder sich ihnen darbietenden Gelegenheit fortzulaufen suchten? Hieraus er¬
klären sich die vielen Vorsichtsmaßregeln, die gegen das Ausreißen getroffen
wurden, die zahlreichen und umfassenden Erlasse gegen die Deserteure und
deren grausame Bestrafung. Solche Truppen, deren man nicht ganz sicher
war, waren auch nur in der altmodischen Lineartaktik zu verwenden; sie zerstreut
fechten lassen, worauf die neuere, besonders von den Franzosen angewandte
Taktik den größten Nachdruck legte, hieß nichts andres, als ihnen das Weg¬
laufen erleichtern.

Für die Heeresreform bot sich Scharnhorst an den Milizaufgeboten eine
treffliche Anknüpfung; noch war die mit ihren Anfängen bis in die germanische
Urzeit zurückreichende Vewehrnng aller waffenfähigen Männer nicht vergessen,
wie sie sich denn auch in manchen Gegenden noch erhalten hatte. "Der Ge¬
danke der Dienstpflicht und das eng damit zusammenhängende Postulat der
Nationalität sind von der Miliz auf das stehende Heer übergegangen. Ein
weiteres Merkmal der Miliz ist die zeitliche Begrenzung der Wichtigkeit: auch
sie wurde allmählich Eigentum der Armee. Die herrlichste Mitgift aber, welche
der Idee des stehenden Heeres durch die Vermählung mit dem Milizgedanken
zufiel, war die Allgemeinheit der Wehrpflicht."

Scharnhorst, der bereits 1803 zur Rettung von Hannover den Landsturm
und Anfang 1807 das ganze nordwestliche Deutschland zum Kampfe wider
Napoleon hatte aufbieten wollen, kam nach dem Tilsiter Frieden zu der Über¬
zeugung, "daß fortan in Preußen jeder Stand und jede Landschaft durch die
Schule des Waffendienstes gehen und an der Verteidigung des Vaterlandes
teilnehmen müsse."

Wie aber sollte dieser Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht zur Aus¬
führung gebracht, in welcher Weise alle Waffenfähigen zur Vaterlandsverteidigung
herangezogen werden? Sollte die ganze waffenfähige Mannschaft in das


Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^308.

Wohl aber war dies in dem 1792 von seinem Nachfolger erlassenen
Kcmtonreglemcnt ausgesprochen, aber eben nur ausgesprochen. Wenn dieses
auch mit den vielversprechenden Worten begann: „Die Verbindlichkeit zu Kriegs¬
diensten ist eine Obliegenheit unsrer getreuen Unterthanen," so ließ es doch
wieder so viele Ausnahmen zu, daß von einer allgemeinen Wehrpflicht gar
nicht die Rede sein kann. Nach wie vor wurde der Soldatenstand allgemein
als eine Strafanstalt für Taugenichtse und Dummköpfe augesehen; nach wie vor
waren die gewordenen Ausländer in dem preußischen Heere überwiegend, und
dabei waren diese fast samt und sonders, wie Scharnhorst einmal bemerkt, „Vaga¬
bunden, Trunkenbolde, Diebe, Taugenichtse und andre Verbrecher." Den wenigen
guten Elementen, welche sich in einzelnen Regimentern befanden, hatten sicherlich,
wie auch vielen der übrigen, schlaue Werber durch List und Betrug oder Ge¬
walt den bunten Rock angezogen. War es daher nicht ganz natürlich, daß die
auf diese Weise eingefangenen ihrerseits den Werbeherrn zu betrügen, d. h. bei
jeder sich ihnen darbietenden Gelegenheit fortzulaufen suchten? Hieraus er¬
klären sich die vielen Vorsichtsmaßregeln, die gegen das Ausreißen getroffen
wurden, die zahlreichen und umfassenden Erlasse gegen die Deserteure und
deren grausame Bestrafung. Solche Truppen, deren man nicht ganz sicher
war, waren auch nur in der altmodischen Lineartaktik zu verwenden; sie zerstreut
fechten lassen, worauf die neuere, besonders von den Franzosen angewandte
Taktik den größten Nachdruck legte, hieß nichts andres, als ihnen das Weg¬
laufen erleichtern.

Für die Heeresreform bot sich Scharnhorst an den Milizaufgeboten eine
treffliche Anknüpfung; noch war die mit ihren Anfängen bis in die germanische
Urzeit zurückreichende Vewehrnng aller waffenfähigen Männer nicht vergessen,
wie sie sich denn auch in manchen Gegenden noch erhalten hatte. „Der Ge¬
danke der Dienstpflicht und das eng damit zusammenhängende Postulat der
Nationalität sind von der Miliz auf das stehende Heer übergegangen. Ein
weiteres Merkmal der Miliz ist die zeitliche Begrenzung der Wichtigkeit: auch
sie wurde allmählich Eigentum der Armee. Die herrlichste Mitgift aber, welche
der Idee des stehenden Heeres durch die Vermählung mit dem Milizgedanken
zufiel, war die Allgemeinheit der Wehrpflicht."

Scharnhorst, der bereits 1803 zur Rettung von Hannover den Landsturm
und Anfang 1807 das ganze nordwestliche Deutschland zum Kampfe wider
Napoleon hatte aufbieten wollen, kam nach dem Tilsiter Frieden zu der Über¬
zeugung, „daß fortan in Preußen jeder Stand und jede Landschaft durch die
Schule des Waffendienstes gehen und an der Verteidigung des Vaterlandes
teilnehmen müsse."

Wie aber sollte dieser Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht zur Aus¬
führung gebracht, in welcher Weise alle Waffenfähigen zur Vaterlandsverteidigung
herangezogen werden? Sollte die ganze waffenfähige Mannschaft in das


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[0117] Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^308. Wohl aber war dies in dem 1792 von seinem Nachfolger erlassenen Kcmtonreglemcnt ausgesprochen, aber eben nur ausgesprochen. Wenn dieses auch mit den vielversprechenden Worten begann: „Die Verbindlichkeit zu Kriegs¬ diensten ist eine Obliegenheit unsrer getreuen Unterthanen," so ließ es doch wieder so viele Ausnahmen zu, daß von einer allgemeinen Wehrpflicht gar nicht die Rede sein kann. Nach wie vor wurde der Soldatenstand allgemein als eine Strafanstalt für Taugenichtse und Dummköpfe augesehen; nach wie vor waren die gewordenen Ausländer in dem preußischen Heere überwiegend, und dabei waren diese fast samt und sonders, wie Scharnhorst einmal bemerkt, „Vaga¬ bunden, Trunkenbolde, Diebe, Taugenichtse und andre Verbrecher." Den wenigen guten Elementen, welche sich in einzelnen Regimentern befanden, hatten sicherlich, wie auch vielen der übrigen, schlaue Werber durch List und Betrug oder Ge¬ walt den bunten Rock angezogen. War es daher nicht ganz natürlich, daß die auf diese Weise eingefangenen ihrerseits den Werbeherrn zu betrügen, d. h. bei jeder sich ihnen darbietenden Gelegenheit fortzulaufen suchten? Hieraus er¬ klären sich die vielen Vorsichtsmaßregeln, die gegen das Ausreißen getroffen wurden, die zahlreichen und umfassenden Erlasse gegen die Deserteure und deren grausame Bestrafung. Solche Truppen, deren man nicht ganz sicher war, waren auch nur in der altmodischen Lineartaktik zu verwenden; sie zerstreut fechten lassen, worauf die neuere, besonders von den Franzosen angewandte Taktik den größten Nachdruck legte, hieß nichts andres, als ihnen das Weg¬ laufen erleichtern. Für die Heeresreform bot sich Scharnhorst an den Milizaufgeboten eine treffliche Anknüpfung; noch war die mit ihren Anfängen bis in die germanische Urzeit zurückreichende Vewehrnng aller waffenfähigen Männer nicht vergessen, wie sie sich denn auch in manchen Gegenden noch erhalten hatte. „Der Ge¬ danke der Dienstpflicht und das eng damit zusammenhängende Postulat der Nationalität sind von der Miliz auf das stehende Heer übergegangen. Ein weiteres Merkmal der Miliz ist die zeitliche Begrenzung der Wichtigkeit: auch sie wurde allmählich Eigentum der Armee. Die herrlichste Mitgift aber, welche der Idee des stehenden Heeres durch die Vermählung mit dem Milizgedanken zufiel, war die Allgemeinheit der Wehrpflicht." Scharnhorst, der bereits 1803 zur Rettung von Hannover den Landsturm und Anfang 1807 das ganze nordwestliche Deutschland zum Kampfe wider Napoleon hatte aufbieten wollen, kam nach dem Tilsiter Frieden zu der Über¬ zeugung, „daß fortan in Preußen jeder Stand und jede Landschaft durch die Schule des Waffendienstes gehen und an der Verteidigung des Vaterlandes teilnehmen müsse." Wie aber sollte dieser Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht zur Aus¬ führung gebracht, in welcher Weise alle Waffenfähigen zur Vaterlandsverteidigung herangezogen werden? Sollte die ganze waffenfähige Mannschaft in das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/117>, abgerufen am 01.09.2024.