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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^303.

stehende Heer eingereiht und nach Ablauf einer gewissen Dienstzeit wieder ent¬
lassen werden, bis es geboten erschien, sie einzuberufen? Dies ging schon des¬
wegen nicht an, weil die Mittel zur Erhaltung eines so großen stehenden
Heeres nicht da waren, ganz abgesehen davon, daß auch der noch im Lande
stehende Feind dies schwerlich zugegeben hätte. Eine Trennung des stehenden
Heeres und der Miliz erschien daher Scharnhorst als notwendig, zumal da er
nicht mit Unrecht fürchtete, daß gar manche Bürger nur höchst unwillig in das
bei ihnen so verrufene Heer treten würden. Und zwar sollte in jedem Gemein¬
wesen das mit dem neunzehnten Jahre erreichte wehrpflichtige Alter teils zur Er¬
gänzung des stehenden Heeres, teils zur Miliz bestimmt sein. Zur letztern
sollten alle die gehören, welche die Mittel hätten, sich selbst zu bewaffnen, zu
bekleiden und während der Exerzirzeit zu unterhalten. Die Ausbildung dieser
Miliz sollte acht Wochen in Anspruch nehmen und von Offizieren der Linie
geleitet werden; damit aber die Milizen in der gehörigen Übung blieben, sollten
sie bis zu ihrem einunddreißigsten Lebensjahre noch alle Jahre auf vier Wochen
eingezogen werden. Durch die Schaffung der Miliz sollte das stehende Heer
in Friedenszeiten im Garnisondienste, damit es mehr Zeit auf den Felddienst
und das Scheibenschießen verwenden könnte, erleichtert, im Kriege unterstützt
werden. Für den Fall der äußersten Not nahm Scharnhorst noch damals ein
allgemeines Aufgebot in Aussicht, für das die Jahresgrenzen der Miliz (19 und
31 Jahre) nicht maßgebend sein sollten.

Allein, mochte auch die Reorganisationskommission diese so wertvollen
Vorschläge billigen und den von Scharnhorst in jeder Hinsicht vortrefflich ver¬
faßten "Vorläufigen Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen" dem
Könige (am 15. März 1808) überreichen, dieser wollte von solchen tiefein¬
schneidender Neuerungen nichts wissen. "Als bleibende Institutionen erregten
ihm allgemeine Dienstpflicht und Landwehr selbst dann noch die schwersten
Bedenken, als sie ihm seinen Thron zurückerobert und Europa von der gallischen
Tyrannei befreit hatten; wie viel skeptischer stand er ihnen damals, als sie
noch ganz unbewährt waren, gegenüber."

Doch erreichte die Reorganisationskommission wenigstens so viel, daß mit
der ausländischen Werbung für immer gebrochen und die militärische Straf¬
ordnung einer gründlichen Prüfung unterzogen wurde. Letztere hätten die
Reformer kaum durchgesetzt, wenn sie nicht dabei die wirksamste Unterstützung
an dem berufenen Vertreter der Militärjustiz, dem Generalauditeur Komm, ge¬
funden hätten. Von diesem rührt auch die schließliche Fassung der neuen
Kriegsartikel her, welche am 26. Mai 1808 dem Könige überreicht wurden.
Ihre Tendenz läßt sich am besten daraus erkennen, daß darin "an Stelle der
entehrenden Züchtigungen des Prügelns und Gassenlaufens ein sorgfältig ab¬
gestuftes System der Freiheitsstrafen" gesetzt war.

Auch die frühere Art der Offizierstrafen, welche auf eine öffentliche Bloß-


Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^303.

stehende Heer eingereiht und nach Ablauf einer gewissen Dienstzeit wieder ent¬
lassen werden, bis es geboten erschien, sie einzuberufen? Dies ging schon des¬
wegen nicht an, weil die Mittel zur Erhaltung eines so großen stehenden
Heeres nicht da waren, ganz abgesehen davon, daß auch der noch im Lande
stehende Feind dies schwerlich zugegeben hätte. Eine Trennung des stehenden
Heeres und der Miliz erschien daher Scharnhorst als notwendig, zumal da er
nicht mit Unrecht fürchtete, daß gar manche Bürger nur höchst unwillig in das
bei ihnen so verrufene Heer treten würden. Und zwar sollte in jedem Gemein¬
wesen das mit dem neunzehnten Jahre erreichte wehrpflichtige Alter teils zur Er¬
gänzung des stehenden Heeres, teils zur Miliz bestimmt sein. Zur letztern
sollten alle die gehören, welche die Mittel hätten, sich selbst zu bewaffnen, zu
bekleiden und während der Exerzirzeit zu unterhalten. Die Ausbildung dieser
Miliz sollte acht Wochen in Anspruch nehmen und von Offizieren der Linie
geleitet werden; damit aber die Milizen in der gehörigen Übung blieben, sollten
sie bis zu ihrem einunddreißigsten Lebensjahre noch alle Jahre auf vier Wochen
eingezogen werden. Durch die Schaffung der Miliz sollte das stehende Heer
in Friedenszeiten im Garnisondienste, damit es mehr Zeit auf den Felddienst
und das Scheibenschießen verwenden könnte, erleichtert, im Kriege unterstützt
werden. Für den Fall der äußersten Not nahm Scharnhorst noch damals ein
allgemeines Aufgebot in Aussicht, für das die Jahresgrenzen der Miliz (19 und
31 Jahre) nicht maßgebend sein sollten.

Allein, mochte auch die Reorganisationskommission diese so wertvollen
Vorschläge billigen und den von Scharnhorst in jeder Hinsicht vortrefflich ver¬
faßten „Vorläufigen Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen" dem
Könige (am 15. März 1808) überreichen, dieser wollte von solchen tiefein¬
schneidender Neuerungen nichts wissen. „Als bleibende Institutionen erregten
ihm allgemeine Dienstpflicht und Landwehr selbst dann noch die schwersten
Bedenken, als sie ihm seinen Thron zurückerobert und Europa von der gallischen
Tyrannei befreit hatten; wie viel skeptischer stand er ihnen damals, als sie
noch ganz unbewährt waren, gegenüber."

Doch erreichte die Reorganisationskommission wenigstens so viel, daß mit
der ausländischen Werbung für immer gebrochen und die militärische Straf¬
ordnung einer gründlichen Prüfung unterzogen wurde. Letztere hätten die
Reformer kaum durchgesetzt, wenn sie nicht dabei die wirksamste Unterstützung
an dem berufenen Vertreter der Militärjustiz, dem Generalauditeur Komm, ge¬
funden hätten. Von diesem rührt auch die schließliche Fassung der neuen
Kriegsartikel her, welche am 26. Mai 1808 dem Könige überreicht wurden.
Ihre Tendenz läßt sich am besten daraus erkennen, daß darin „an Stelle der
entehrenden Züchtigungen des Prügelns und Gassenlaufens ein sorgfältig ab¬
gestuftes System der Freiheitsstrafen" gesetzt war.

Auch die frühere Art der Offizierstrafen, welche auf eine öffentliche Bloß-


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[0118] Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^303. stehende Heer eingereiht und nach Ablauf einer gewissen Dienstzeit wieder ent¬ lassen werden, bis es geboten erschien, sie einzuberufen? Dies ging schon des¬ wegen nicht an, weil die Mittel zur Erhaltung eines so großen stehenden Heeres nicht da waren, ganz abgesehen davon, daß auch der noch im Lande stehende Feind dies schwerlich zugegeben hätte. Eine Trennung des stehenden Heeres und der Miliz erschien daher Scharnhorst als notwendig, zumal da er nicht mit Unrecht fürchtete, daß gar manche Bürger nur höchst unwillig in das bei ihnen so verrufene Heer treten würden. Und zwar sollte in jedem Gemein¬ wesen das mit dem neunzehnten Jahre erreichte wehrpflichtige Alter teils zur Er¬ gänzung des stehenden Heeres, teils zur Miliz bestimmt sein. Zur letztern sollten alle die gehören, welche die Mittel hätten, sich selbst zu bewaffnen, zu bekleiden und während der Exerzirzeit zu unterhalten. Die Ausbildung dieser Miliz sollte acht Wochen in Anspruch nehmen und von Offizieren der Linie geleitet werden; damit aber die Milizen in der gehörigen Übung blieben, sollten sie bis zu ihrem einunddreißigsten Lebensjahre noch alle Jahre auf vier Wochen eingezogen werden. Durch die Schaffung der Miliz sollte das stehende Heer in Friedenszeiten im Garnisondienste, damit es mehr Zeit auf den Felddienst und das Scheibenschießen verwenden könnte, erleichtert, im Kriege unterstützt werden. Für den Fall der äußersten Not nahm Scharnhorst noch damals ein allgemeines Aufgebot in Aussicht, für das die Jahresgrenzen der Miliz (19 und 31 Jahre) nicht maßgebend sein sollten. Allein, mochte auch die Reorganisationskommission diese so wertvollen Vorschläge billigen und den von Scharnhorst in jeder Hinsicht vortrefflich ver¬ faßten „Vorläufigen Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen" dem Könige (am 15. März 1808) überreichen, dieser wollte von solchen tiefein¬ schneidender Neuerungen nichts wissen. „Als bleibende Institutionen erregten ihm allgemeine Dienstpflicht und Landwehr selbst dann noch die schwersten Bedenken, als sie ihm seinen Thron zurückerobert und Europa von der gallischen Tyrannei befreit hatten; wie viel skeptischer stand er ihnen damals, als sie noch ganz unbewährt waren, gegenüber." Doch erreichte die Reorganisationskommission wenigstens so viel, daß mit der ausländischen Werbung für immer gebrochen und die militärische Straf¬ ordnung einer gründlichen Prüfung unterzogen wurde. Letztere hätten die Reformer kaum durchgesetzt, wenn sie nicht dabei die wirksamste Unterstützung an dem berufenen Vertreter der Militärjustiz, dem Generalauditeur Komm, ge¬ funden hätten. Von diesem rührt auch die schließliche Fassung der neuen Kriegsartikel her, welche am 26. Mai 1808 dem Könige überreicht wurden. Ihre Tendenz läßt sich am besten daraus erkennen, daß darin „an Stelle der entehrenden Züchtigungen des Prügelns und Gassenlaufens ein sorgfältig ab¬ gestuftes System der Freiheitsstrafen" gesetzt war. Auch die frühere Art der Offizierstrafen, welche auf eine öffentliche Bloß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/118>, abgerufen am 01.09.2024.