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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heerosreform in Preußen ^307 und ^303.

fangen war, daß nur diese das dazu erforderliche persönliche Ehrgefühl besäßen;
"der bürgerliche Offizier, dahin ging seine Meinung, könne, wenn er Schiffbruch
leide, noch einen andern Stand ergreifen, stehe also nicht unter einem so ge¬
waltigen moralischen Zwange wie der Edelmann, dessen Existenz mit der Aus¬
stoßung aus dem Heere vernichtet sei." Bei dieser Bevorzugung war natürlich
bei den Adlichen Hochmut und Dünkel, bei den Bürgerlichen Haß und Neid
hervorgerufen worden, überhaupt eine gewaltige Spannung zwischen beiden
Klassen eingetreten. Wenn auch Friedrich Wilhelm III. im allgemeinen das
Bürgertum begünstigte, so wagte er doch selbst nach den Niederlagen von 1806
nicht, die Zulassung der Bürgerlichen zum Offizierstande ohne weiteres zu ver¬
fügen. In der Reorganisationskommission trat besonders Lottum für das mili¬
tärische Vorrecht des Adels ein. Dagegen wiesen die Reformer darauf hin,
daß die Armee, welche doch die Vereinigung aller moralischen und physischen
Kräfte sämtlicher Staatsbürger sein sollte, von den Bürgerlichen als ein Staat
im Staate betrachtet, daß durch die Bevorzugung des Adels alle Talente und
Kenntnisse des übrigen höchst ansehnlichen Teiles der Nation der Armee ent¬
zogen würden, und stellten den bedeutsamen Grundsatz auf: "Einen Anspruch
auf Offizierftellcn können in Friedenszeiten nur Kenntnisse und Bildung ge¬
währen, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit, Thätigkeit und Überblick. Aus
der ganzen Nation müssen daher alle Individuen, die diese Eigenschaften besitzen,
auf die höchsten militärischen Ehrenstellen Anspruch machen können."

Demgemäß erschien es nicht mehr geraten, den Chefs der Regimenter, wie
bisher, in der Annahme von Junkern (Freikorporalcn), die dann Fähnriche
und Leutnants wurden, völlig freie Hand zu lassen. Die Kommission einigte
sich dahin, daß der Eintritt in die Offizierlaufbahn fortan von gewissen Be¬
dingungen abhängig sein sollte; die Offiziersaspiranten, die früher häufig Knaben
und ohne jede Kenntnisse gewesen waren, sollten mindestens siebzehn Jahre alt
sein und ein gewisses, nicht allzuhoch bemessenes Maß von Kenntnissen besitzen,
über das sie sich vor einer Prüfungskommission auszuweisen hätten. Die Aristo¬
kratie des Standes sollte also einer Aristokratie der Bildung Platz machen. Wie
aber sollte sich die Beförderung der Fähnriche zu Leutnants vollziehen? Die
Neorganisationskommission beantragte auf Veranlassung Scharnhorsts, daß aus
der Zahl der Portepeefähnriche von den Leutnants des betreffenden Regi¬
ments drei vorgeschlagen werden sollten, von denen, nachdem sie vor einer in
der Hauptstadt lagerten Prüfungskommission sich über ihre praktische und theo¬
retische Ausbildung ausgewiesen hätten, einer durch die Stabsoffiziere und den
Kommandeur dem Könige zum Offizier empfohlen werden sollte.

Ein volles Jahr dauerte es, ehe der König sich dazu verstand, seine Zu¬
stimmung zu diesen von der bisherigen Praxis so abweichenden Vorschlägen,
freilich nicht ohne kleine Abänderungen, zu geben. Von diesen war die wich¬
tigste, daß er es sich vorbehielt, den Regimentern "von Zeit zu Zeit fähige


Die Anfänge der Heerosreform in Preußen ^307 und ^303.

fangen war, daß nur diese das dazu erforderliche persönliche Ehrgefühl besäßen;
„der bürgerliche Offizier, dahin ging seine Meinung, könne, wenn er Schiffbruch
leide, noch einen andern Stand ergreifen, stehe also nicht unter einem so ge¬
waltigen moralischen Zwange wie der Edelmann, dessen Existenz mit der Aus¬
stoßung aus dem Heere vernichtet sei." Bei dieser Bevorzugung war natürlich
bei den Adlichen Hochmut und Dünkel, bei den Bürgerlichen Haß und Neid
hervorgerufen worden, überhaupt eine gewaltige Spannung zwischen beiden
Klassen eingetreten. Wenn auch Friedrich Wilhelm III. im allgemeinen das
Bürgertum begünstigte, so wagte er doch selbst nach den Niederlagen von 1806
nicht, die Zulassung der Bürgerlichen zum Offizierstande ohne weiteres zu ver¬
fügen. In der Reorganisationskommission trat besonders Lottum für das mili¬
tärische Vorrecht des Adels ein. Dagegen wiesen die Reformer darauf hin,
daß die Armee, welche doch die Vereinigung aller moralischen und physischen
Kräfte sämtlicher Staatsbürger sein sollte, von den Bürgerlichen als ein Staat
im Staate betrachtet, daß durch die Bevorzugung des Adels alle Talente und
Kenntnisse des übrigen höchst ansehnlichen Teiles der Nation der Armee ent¬
zogen würden, und stellten den bedeutsamen Grundsatz auf: „Einen Anspruch
auf Offizierftellcn können in Friedenszeiten nur Kenntnisse und Bildung ge¬
währen, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit, Thätigkeit und Überblick. Aus
der ganzen Nation müssen daher alle Individuen, die diese Eigenschaften besitzen,
auf die höchsten militärischen Ehrenstellen Anspruch machen können."

Demgemäß erschien es nicht mehr geraten, den Chefs der Regimenter, wie
bisher, in der Annahme von Junkern (Freikorporalcn), die dann Fähnriche
und Leutnants wurden, völlig freie Hand zu lassen. Die Kommission einigte
sich dahin, daß der Eintritt in die Offizierlaufbahn fortan von gewissen Be¬
dingungen abhängig sein sollte; die Offiziersaspiranten, die früher häufig Knaben
und ohne jede Kenntnisse gewesen waren, sollten mindestens siebzehn Jahre alt
sein und ein gewisses, nicht allzuhoch bemessenes Maß von Kenntnissen besitzen,
über das sie sich vor einer Prüfungskommission auszuweisen hätten. Die Aristo¬
kratie des Standes sollte also einer Aristokratie der Bildung Platz machen. Wie
aber sollte sich die Beförderung der Fähnriche zu Leutnants vollziehen? Die
Neorganisationskommission beantragte auf Veranlassung Scharnhorsts, daß aus
der Zahl der Portepeefähnriche von den Leutnants des betreffenden Regi¬
ments drei vorgeschlagen werden sollten, von denen, nachdem sie vor einer in
der Hauptstadt lagerten Prüfungskommission sich über ihre praktische und theo¬
retische Ausbildung ausgewiesen hätten, einer durch die Stabsoffiziere und den
Kommandeur dem Könige zum Offizier empfohlen werden sollte.

Ein volles Jahr dauerte es, ehe der König sich dazu verstand, seine Zu¬
stimmung zu diesen von der bisherigen Praxis so abweichenden Vorschlägen,
freilich nicht ohne kleine Abänderungen, zu geben. Von diesen war die wich¬
tigste, daß er es sich vorbehielt, den Regimentern „von Zeit zu Zeit fähige


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[0115] Die Anfänge der Heerosreform in Preußen ^307 und ^303. fangen war, daß nur diese das dazu erforderliche persönliche Ehrgefühl besäßen; „der bürgerliche Offizier, dahin ging seine Meinung, könne, wenn er Schiffbruch leide, noch einen andern Stand ergreifen, stehe also nicht unter einem so ge¬ waltigen moralischen Zwange wie der Edelmann, dessen Existenz mit der Aus¬ stoßung aus dem Heere vernichtet sei." Bei dieser Bevorzugung war natürlich bei den Adlichen Hochmut und Dünkel, bei den Bürgerlichen Haß und Neid hervorgerufen worden, überhaupt eine gewaltige Spannung zwischen beiden Klassen eingetreten. Wenn auch Friedrich Wilhelm III. im allgemeinen das Bürgertum begünstigte, so wagte er doch selbst nach den Niederlagen von 1806 nicht, die Zulassung der Bürgerlichen zum Offizierstande ohne weiteres zu ver¬ fügen. In der Reorganisationskommission trat besonders Lottum für das mili¬ tärische Vorrecht des Adels ein. Dagegen wiesen die Reformer darauf hin, daß die Armee, welche doch die Vereinigung aller moralischen und physischen Kräfte sämtlicher Staatsbürger sein sollte, von den Bürgerlichen als ein Staat im Staate betrachtet, daß durch die Bevorzugung des Adels alle Talente und Kenntnisse des übrigen höchst ansehnlichen Teiles der Nation der Armee ent¬ zogen würden, und stellten den bedeutsamen Grundsatz auf: „Einen Anspruch auf Offizierftellcn können in Friedenszeiten nur Kenntnisse und Bildung ge¬ währen, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit, Thätigkeit und Überblick. Aus der ganzen Nation müssen daher alle Individuen, die diese Eigenschaften besitzen, auf die höchsten militärischen Ehrenstellen Anspruch machen können." Demgemäß erschien es nicht mehr geraten, den Chefs der Regimenter, wie bisher, in der Annahme von Junkern (Freikorporalcn), die dann Fähnriche und Leutnants wurden, völlig freie Hand zu lassen. Die Kommission einigte sich dahin, daß der Eintritt in die Offizierlaufbahn fortan von gewissen Be¬ dingungen abhängig sein sollte; die Offiziersaspiranten, die früher häufig Knaben und ohne jede Kenntnisse gewesen waren, sollten mindestens siebzehn Jahre alt sein und ein gewisses, nicht allzuhoch bemessenes Maß von Kenntnissen besitzen, über das sie sich vor einer Prüfungskommission auszuweisen hätten. Die Aristo¬ kratie des Standes sollte also einer Aristokratie der Bildung Platz machen. Wie aber sollte sich die Beförderung der Fähnriche zu Leutnants vollziehen? Die Neorganisationskommission beantragte auf Veranlassung Scharnhorsts, daß aus der Zahl der Portepeefähnriche von den Leutnants des betreffenden Regi¬ ments drei vorgeschlagen werden sollten, von denen, nachdem sie vor einer in der Hauptstadt lagerten Prüfungskommission sich über ihre praktische und theo¬ retische Ausbildung ausgewiesen hätten, einer durch die Stabsoffiziere und den Kommandeur dem Könige zum Offizier empfohlen werden sollte. Ein volles Jahr dauerte es, ehe der König sich dazu verstand, seine Zu¬ stimmung zu diesen von der bisherigen Praxis so abweichenden Vorschlägen, freilich nicht ohne kleine Abänderungen, zu geben. Von diesen war die wich¬ tigste, daß er es sich vorbehielt, den Regimentern „von Zeit zu Zeit fähige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/115>, abgerufen am 01.09.2024.