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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^808,

Gar bald machte sich nun ein rascheres Fortschreiten des Reformwerkes
bemerkbar. Zunächst wurde eine Säuberung des stehenden Heeres von allen
den Elementen, welche im letzten Kriege ihre Schuldigkeit nicht gethan hatten,
ins Auge gefaßt. Die allgemeine Stimmung der Nation ging dahin, daß die
Strafwürdigen bestraft, die Unbrauchbaren entfernt werden müßten. Hierfür
hatte sich auch der König schon in dem Ortelsbnrgcr Publikandmn vom 1. De¬
zember 1806 erklärt. Nichts war natürlicher, als daß die Reorganisations¬
kommission an diesen seinen Erlaß nun anknüpfte.

Den größten Unwillen hatten die zahlreichen Kapitulationen im Volke
erregt. Die Neorganisatiouskvmmission glaubte daher verlangen zu müssen,
daß über sämtliche Gcfaugcnnehmungen und Kapitulationen Verhöre angestellt
würden. Das auf diese Weise gesammelte Material sollte dann einer besondern
Untersuchungskommission übergeben werden, welche zu bestimmen hätte, ob ein
Kriegsgericht stattfinden sollte oder nicht.

Die Einsetzung einer derartigen Untersuchungskommission hatte der König
bereits zu der Zeit genehmigt, als Lottum noch vortragender Generaladjutant
war, doch auf dessen Betreiben, mit Ausnahme des Gencralcmditeurs Kömer,
nnr solche Männer dazu berufen, welche die strengen Anschauungen Scharn-
horsts nicht teilten. So kam es, daß diese Untersuchungskommission zunächst
nur sehr wenig leistete. Erst als Scharnhorst nach dem Ausscheiden Borstells
aus der Reorganisationskommission beim Könige, freilich mit Mühe, die Be¬
rufung Gneisenaus und Grolmanus in die Untersuchungskommission durchgesetzt
hatte, entledigte sie sich ihrer überaus schwierigen Aufgabe mit dem nötigen
Eifer und mit großer Strenge. Im Mai 1808 konnte die Frage, wie bei den
Bestrafungen vorgegangen werden sollte, erörtert werden. Nach dem gewöhn¬
lichen Gange der Kriegsgerichte hätten nun alle Angeklagten und Zeugen per¬
sönlich vernommen werden müssen. Bei der übergroßen Anzahl der zu ver¬
nehmenden aber erschien dies kaum ausführbar, jedenfalls hätte es sich sehr
lange hingezogen. Die Kommission machte daher den Vorschlag, "nur bei den
allerschwersten Vergehen das förmliche Verfahren anzuwenden; dagegen überall,
wo es sich um Festungsstrafe bis zu vier Jahren, Dienstentlassung, Kassa¬
tion, Ordensverlust handle, die Strafe ohne persönliche Vernehmung zu ver¬
hängen."

Davon aber wollte Friedrich Wilhelm III. -- ein schöner Beweis für
seine edle Gesinnung und peinliche Gerechtigkeitsliebe -- nichts wissen; er be¬
stimmte, daß das umständlichere Verfahren überall beibehalten werden sollte.
Infolge dessen sprach sich die Kommission für eine Verminderung der Zahl der
kriegsgerichtlichen Aburteilungen aus und beantragte, "nur diejenigen vor Ge¬
richt zu stellen, welche eine Festung übergeben oder im freien Felde kapitulirt,
welche als Befehlshaber eines großen oder kleinen Dctachements sich dem Ge¬
fechte entzogen, welche durch Fahrlässigkeit den Verlust ihres Postens oder


Grenzboten II. 1888. 14
Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^808,

Gar bald machte sich nun ein rascheres Fortschreiten des Reformwerkes
bemerkbar. Zunächst wurde eine Säuberung des stehenden Heeres von allen
den Elementen, welche im letzten Kriege ihre Schuldigkeit nicht gethan hatten,
ins Auge gefaßt. Die allgemeine Stimmung der Nation ging dahin, daß die
Strafwürdigen bestraft, die Unbrauchbaren entfernt werden müßten. Hierfür
hatte sich auch der König schon in dem Ortelsbnrgcr Publikandmn vom 1. De¬
zember 1806 erklärt. Nichts war natürlicher, als daß die Reorganisations¬
kommission an diesen seinen Erlaß nun anknüpfte.

Den größten Unwillen hatten die zahlreichen Kapitulationen im Volke
erregt. Die Neorganisatiouskvmmission glaubte daher verlangen zu müssen,
daß über sämtliche Gcfaugcnnehmungen und Kapitulationen Verhöre angestellt
würden. Das auf diese Weise gesammelte Material sollte dann einer besondern
Untersuchungskommission übergeben werden, welche zu bestimmen hätte, ob ein
Kriegsgericht stattfinden sollte oder nicht.

Die Einsetzung einer derartigen Untersuchungskommission hatte der König
bereits zu der Zeit genehmigt, als Lottum noch vortragender Generaladjutant
war, doch auf dessen Betreiben, mit Ausnahme des Gencralcmditeurs Kömer,
nnr solche Männer dazu berufen, welche die strengen Anschauungen Scharn-
horsts nicht teilten. So kam es, daß diese Untersuchungskommission zunächst
nur sehr wenig leistete. Erst als Scharnhorst nach dem Ausscheiden Borstells
aus der Reorganisationskommission beim Könige, freilich mit Mühe, die Be¬
rufung Gneisenaus und Grolmanus in die Untersuchungskommission durchgesetzt
hatte, entledigte sie sich ihrer überaus schwierigen Aufgabe mit dem nötigen
Eifer und mit großer Strenge. Im Mai 1808 konnte die Frage, wie bei den
Bestrafungen vorgegangen werden sollte, erörtert werden. Nach dem gewöhn¬
lichen Gange der Kriegsgerichte hätten nun alle Angeklagten und Zeugen per¬
sönlich vernommen werden müssen. Bei der übergroßen Anzahl der zu ver¬
nehmenden aber erschien dies kaum ausführbar, jedenfalls hätte es sich sehr
lange hingezogen. Die Kommission machte daher den Vorschlag, „nur bei den
allerschwersten Vergehen das förmliche Verfahren anzuwenden; dagegen überall,
wo es sich um Festungsstrafe bis zu vier Jahren, Dienstentlassung, Kassa¬
tion, Ordensverlust handle, die Strafe ohne persönliche Vernehmung zu ver¬
hängen."

Davon aber wollte Friedrich Wilhelm III. — ein schöner Beweis für
seine edle Gesinnung und peinliche Gerechtigkeitsliebe — nichts wissen; er be¬
stimmte, daß das umständlichere Verfahren überall beibehalten werden sollte.
Infolge dessen sprach sich die Kommission für eine Verminderung der Zahl der
kriegsgerichtlichen Aburteilungen aus und beantragte, „nur diejenigen vor Ge¬
richt zu stellen, welche eine Festung übergeben oder im freien Felde kapitulirt,
welche als Befehlshaber eines großen oder kleinen Dctachements sich dem Ge¬
fechte entzogen, welche durch Fahrlässigkeit den Verlust ihres Postens oder


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[0113] Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^807 und ^808, Gar bald machte sich nun ein rascheres Fortschreiten des Reformwerkes bemerkbar. Zunächst wurde eine Säuberung des stehenden Heeres von allen den Elementen, welche im letzten Kriege ihre Schuldigkeit nicht gethan hatten, ins Auge gefaßt. Die allgemeine Stimmung der Nation ging dahin, daß die Strafwürdigen bestraft, die Unbrauchbaren entfernt werden müßten. Hierfür hatte sich auch der König schon in dem Ortelsbnrgcr Publikandmn vom 1. De¬ zember 1806 erklärt. Nichts war natürlicher, als daß die Reorganisations¬ kommission an diesen seinen Erlaß nun anknüpfte. Den größten Unwillen hatten die zahlreichen Kapitulationen im Volke erregt. Die Neorganisatiouskvmmission glaubte daher verlangen zu müssen, daß über sämtliche Gcfaugcnnehmungen und Kapitulationen Verhöre angestellt würden. Das auf diese Weise gesammelte Material sollte dann einer besondern Untersuchungskommission übergeben werden, welche zu bestimmen hätte, ob ein Kriegsgericht stattfinden sollte oder nicht. Die Einsetzung einer derartigen Untersuchungskommission hatte der König bereits zu der Zeit genehmigt, als Lottum noch vortragender Generaladjutant war, doch auf dessen Betreiben, mit Ausnahme des Gencralcmditeurs Kömer, nnr solche Männer dazu berufen, welche die strengen Anschauungen Scharn- horsts nicht teilten. So kam es, daß diese Untersuchungskommission zunächst nur sehr wenig leistete. Erst als Scharnhorst nach dem Ausscheiden Borstells aus der Reorganisationskommission beim Könige, freilich mit Mühe, die Be¬ rufung Gneisenaus und Grolmanus in die Untersuchungskommission durchgesetzt hatte, entledigte sie sich ihrer überaus schwierigen Aufgabe mit dem nötigen Eifer und mit großer Strenge. Im Mai 1808 konnte die Frage, wie bei den Bestrafungen vorgegangen werden sollte, erörtert werden. Nach dem gewöhn¬ lichen Gange der Kriegsgerichte hätten nun alle Angeklagten und Zeugen per¬ sönlich vernommen werden müssen. Bei der übergroßen Anzahl der zu ver¬ nehmenden aber erschien dies kaum ausführbar, jedenfalls hätte es sich sehr lange hingezogen. Die Kommission machte daher den Vorschlag, „nur bei den allerschwersten Vergehen das förmliche Verfahren anzuwenden; dagegen überall, wo es sich um Festungsstrafe bis zu vier Jahren, Dienstentlassung, Kassa¬ tion, Ordensverlust handle, die Strafe ohne persönliche Vernehmung zu ver¬ hängen." Davon aber wollte Friedrich Wilhelm III. — ein schöner Beweis für seine edle Gesinnung und peinliche Gerechtigkeitsliebe — nichts wissen; er be¬ stimmte, daß das umständlichere Verfahren überall beibehalten werden sollte. Infolge dessen sprach sich die Kommission für eine Verminderung der Zahl der kriegsgerichtlichen Aburteilungen aus und beantragte, „nur diejenigen vor Ge¬ richt zu stellen, welche eine Festung übergeben oder im freien Felde kapitulirt, welche als Befehlshaber eines großen oder kleinen Dctachements sich dem Ge¬ fechte entzogen, welche durch Fahrlässigkeit den Verlust ihres Postens oder Grenzboten II. 1888. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/113>, abgerufen am 01.09.2024.