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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Anfänge der L^eeresreform in Preußen ^807 und ^303.

großem Widerspruche zu den Anschauungen, in denen er groß geworden war,
und wurden auch von Männern seiner nächsten Umgebung nicht gebilligt; er
unterzog sogar das Verhalten der Kommission einer gereizten Kritik und erklärte
sich in einem entscheidenden Punkte offen gegen die Reformer. Erst als
Gneisenau infolge dessen um seine Entlassung bat, lenkte Friedrich Wilhelm III.
ein und berief an Stelle Borstells und Bronikowskys -- dem letztem behagte
es auf die Dauer nicht in der Kommission -- zwei der eifrigsten Gesinnungs¬
genossen Scharnhorsts, Graf Götzen und Boyen.

Götzen, dessen hohe Verdienste um die Wiedergeburt Preußens Gustav
Freytag im letzten Bande der "Ahnen" "mit dem Zauber der Dichtung umgössen
hat," hatte in Schlesien manche der großen Gedanken, welche Scharnhorst für
ganz Preußen anstrebte, bereits verwirklicht; er hatte die allgemeine Wehrpflicht
eingeführt und die Vorrechte des Adels bei der Besetzung der Offizierstellen in
seinem kleinen Heere aufgehoben. Boyen, der später Scharnhorsts Nachfolger im
Kriegsministerium wurde und das große Werk desselben vollendete, damals el"
noch wenig bekannter, aber hochgebildeter, von den Lehren Kants und den Ideen
Adam Smiths erfüllter Jnfantcriemajor, hatte kurz vorher den Mut gehabt,
offen für eine völlige Abänderung des im preußischen Heere geltenden Straf¬
rechts einzutreten; u. a. hatte er in einem Aufsatze gesagt: "Mißhandlungen,
sowohl körperliche als auch mit Worten, ersticken alle Ehrbegierde. Dasjenige
Heer wird die beste Disziplin haben, welches die vollständigste und menschlichste
Gesetzgebung hat. Ein Bataillon guter Menschen nutzt mehr als ein Regiment
Falstaffscher Rekruten!" Boyen wurde bald eines der thätigsten Mitglieder der
Reorganisationskommission.

Wenn anch somit die Reformer das Übergewicht erlangt hatten, so war doch
an einen vollständigen Sieg ihrer Ideen nicht zu denken, so lange die Kommissions¬
beschlüsse, welche nichts andres als Gutachten waren, dem Könige, der sich ohne¬
dies schon schwer zu Neuerungen verstand, von seinem Generaladjutanteu Lottum
vorgetragen wurden; natürlich fand dieser dabei reichlich Gelegenheit, seine
Meinung, die in der Kommission natürlich unterlegen war, zur Geltung zu bringen.

Kein Wunder, daß unter diesen Umstünden das Neorganisationswerk nur
langsam fortschritt, daß Scharnhorst beinahe verzweifelte. In einem Briefe an
Hardenberg vom 2. Februar 1808 sprach er es offen aus, daß der König nie
die wahren Verhältnisse erfahre und fast immer hintergangen werde, daß eine
Veränderung der Lage nur von dem Eingreifen Steins erwartet werden dürfe.
Und letzterm, den Friedrich Wilhelm III. trotz seines innern Widerstrebens
zurückberufen hatte, ist es in der That gelungen, die Opposition, welche die
Vereitelung der militärischen Reform im Schilde führte, zu beseitigen: ans seinen
Wunsch wurde Lottum, der sich zwischen die Person des Königs und die Reform-
Partei gestellt hatte, entfernt, und Scharnhorst übernahm Anfang Juni 1808
die Geschäfte des vortragenden Generaladjntanten.


Anfänge der L^eeresreform in Preußen ^807 und ^303.

großem Widerspruche zu den Anschauungen, in denen er groß geworden war,
und wurden auch von Männern seiner nächsten Umgebung nicht gebilligt; er
unterzog sogar das Verhalten der Kommission einer gereizten Kritik und erklärte
sich in einem entscheidenden Punkte offen gegen die Reformer. Erst als
Gneisenau infolge dessen um seine Entlassung bat, lenkte Friedrich Wilhelm III.
ein und berief an Stelle Borstells und Bronikowskys — dem letztem behagte
es auf die Dauer nicht in der Kommission — zwei der eifrigsten Gesinnungs¬
genossen Scharnhorsts, Graf Götzen und Boyen.

Götzen, dessen hohe Verdienste um die Wiedergeburt Preußens Gustav
Freytag im letzten Bande der „Ahnen" „mit dem Zauber der Dichtung umgössen
hat," hatte in Schlesien manche der großen Gedanken, welche Scharnhorst für
ganz Preußen anstrebte, bereits verwirklicht; er hatte die allgemeine Wehrpflicht
eingeführt und die Vorrechte des Adels bei der Besetzung der Offizierstellen in
seinem kleinen Heere aufgehoben. Boyen, der später Scharnhorsts Nachfolger im
Kriegsministerium wurde und das große Werk desselben vollendete, damals el»
noch wenig bekannter, aber hochgebildeter, von den Lehren Kants und den Ideen
Adam Smiths erfüllter Jnfantcriemajor, hatte kurz vorher den Mut gehabt,
offen für eine völlige Abänderung des im preußischen Heere geltenden Straf¬
rechts einzutreten; u. a. hatte er in einem Aufsatze gesagt: „Mißhandlungen,
sowohl körperliche als auch mit Worten, ersticken alle Ehrbegierde. Dasjenige
Heer wird die beste Disziplin haben, welches die vollständigste und menschlichste
Gesetzgebung hat. Ein Bataillon guter Menschen nutzt mehr als ein Regiment
Falstaffscher Rekruten!" Boyen wurde bald eines der thätigsten Mitglieder der
Reorganisationskommission.

Wenn anch somit die Reformer das Übergewicht erlangt hatten, so war doch
an einen vollständigen Sieg ihrer Ideen nicht zu denken, so lange die Kommissions¬
beschlüsse, welche nichts andres als Gutachten waren, dem Könige, der sich ohne¬
dies schon schwer zu Neuerungen verstand, von seinem Generaladjutanteu Lottum
vorgetragen wurden; natürlich fand dieser dabei reichlich Gelegenheit, seine
Meinung, die in der Kommission natürlich unterlegen war, zur Geltung zu bringen.

Kein Wunder, daß unter diesen Umstünden das Neorganisationswerk nur
langsam fortschritt, daß Scharnhorst beinahe verzweifelte. In einem Briefe an
Hardenberg vom 2. Februar 1808 sprach er es offen aus, daß der König nie
die wahren Verhältnisse erfahre und fast immer hintergangen werde, daß eine
Veränderung der Lage nur von dem Eingreifen Steins erwartet werden dürfe.
Und letzterm, den Friedrich Wilhelm III. trotz seines innern Widerstrebens
zurückberufen hatte, ist es in der That gelungen, die Opposition, welche die
Vereitelung der militärischen Reform im Schilde führte, zu beseitigen: ans seinen
Wunsch wurde Lottum, der sich zwischen die Person des Königs und die Reform-
Partei gestellt hatte, entfernt, und Scharnhorst übernahm Anfang Juni 1808
die Geschäfte des vortragenden Generaladjntanten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/112>, abgerufen am 01.09.2024.