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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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In den Parlament5ferien,

ihnen zunächst stehenden zu einem Vorteil gelangen zu lassen. Wer endlich
jene Gesellschaft nach Hause schicken wird, darüber brauchen wir uns nicht den
Kopf zu zerbrechen. Aber zur Warnung sollte uns ihr Beispiel dienen.

In Deutschland giebt es ja Leute, die es als Zurücksetzung empfinden,
daß bei uns nicht, wie in den jüngsten europäischen Staaten, je zwei Advokaten¬
gruppen abwechselnd regieren oder in dem bekannten Brusttöne die tyrannische
und korrupte Regierung der allgemeinen Verachtung empfehlen. Dort im Süd¬
osten kann man sich einen solchen Luxus gestatten; ob der, welcher die Kuh
meill, Pascha, Bojar, Minister oder Senator heißt, und ob man bei einer
Wahl oder beim Streit um eine Hammelherde zu den langen Flinten greift,
das macht keinen wesentlichen Unterschied. Aber in größern Reichen und auf
andrer Kulturstufe steht etwas mehr auf dem Spiele. Wir können kein Parla¬
ments karrousel gebrauchen, aber nicht eine Vertretung entbehren, welche vom
Volke als solche anerkannt wird. Das deutsche Volk will aber von Fraktions¬
politik und Fraktionshadcr ebenso wenig wissen wie das französische. Wir
wollen keine Partei weißbrennen, begreifen jedoch, daß das unausgesetzte Geifern
und Nörgeln auch den Gemessensten aus der Ruhe bringen kann. Und von
welchen Seiten der schlechte Ton und das Gift in die Verhandlungen gebracht
wurde, das weiß jeder. Wie wenig entspricht es der Würde einer Versamm¬
lung, welche den stolzen Namen Deutscher Reichstag führt, wenn die Parteien
einander bei jedem Anlaß vorwerfen, die Parlamentsreden seien Wahlreden,
wenn die Minorität sich geberdet, als ob die Stimmen, welche die Gegner er¬
halten haben, ihr widerrechtlich entzogen seien, als ob nur ihre Wähler "das
Volk" seien! Wenn die Herren einander dergleichen Dinge recht oft sagen, so
glaubt die Menge sie gewiß und macht keinen Unterschied zwischen Links und
Rechts und Mitte. Aber der Freisinn hat alle Besonnenheit verloren. In
den parlamentarischen Kinderjahren Deutschlands sind viele Dummheiten vor¬
gekommen; doch das wäre vor vierzig Jahren keinem "Piepmeyer" eingefallen,
einem Parteiführer als Nationalbelohnung einen Fonds für Wahlumtriebe an¬
zubieten. Also das ist des Pudels Kern, dahin hat es die politische Erziehung
der Nation gebracht, daß Geld, viel Geld aufgewandt werden muß, um den
Volkswillen zum unverfälschten Ausdruck zu bringen! Wie es scheint, sollen
die rotten vorouAli8 des parlamentarischen Musterlandes bei uns akklimatisirt
werden. Einen kräftigern Beweisgrund für die Verlängerung der Legislatur¬
perioden hätten wir uns nicht wünschen können.

Natürlich haben wir nichts dagegen, wenn die demagogischen Talente, von
denen die Linksliberalen immer tiefer in den Irrgarten geführt worden sind,
sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen. Der berühmte Feldzug gegen das Sep-
tennat hatte schon manchem die Augen geöffnet. Dann kam das den patentirter
Freiheitsmäunern so wohl auslesende liebedienerische Sichherandrängen an den
damaligen Kronprinzen und das Intrigenspiel gegen den jetzigen, das lebhaft


In den Parlament5ferien,

ihnen zunächst stehenden zu einem Vorteil gelangen zu lassen. Wer endlich
jene Gesellschaft nach Hause schicken wird, darüber brauchen wir uns nicht den
Kopf zu zerbrechen. Aber zur Warnung sollte uns ihr Beispiel dienen.

In Deutschland giebt es ja Leute, die es als Zurücksetzung empfinden,
daß bei uns nicht, wie in den jüngsten europäischen Staaten, je zwei Advokaten¬
gruppen abwechselnd regieren oder in dem bekannten Brusttöne die tyrannische
und korrupte Regierung der allgemeinen Verachtung empfehlen. Dort im Süd¬
osten kann man sich einen solchen Luxus gestatten; ob der, welcher die Kuh
meill, Pascha, Bojar, Minister oder Senator heißt, und ob man bei einer
Wahl oder beim Streit um eine Hammelherde zu den langen Flinten greift,
das macht keinen wesentlichen Unterschied. Aber in größern Reichen und auf
andrer Kulturstufe steht etwas mehr auf dem Spiele. Wir können kein Parla¬
ments karrousel gebrauchen, aber nicht eine Vertretung entbehren, welche vom
Volke als solche anerkannt wird. Das deutsche Volk will aber von Fraktions¬
politik und Fraktionshadcr ebenso wenig wissen wie das französische. Wir
wollen keine Partei weißbrennen, begreifen jedoch, daß das unausgesetzte Geifern
und Nörgeln auch den Gemessensten aus der Ruhe bringen kann. Und von
welchen Seiten der schlechte Ton und das Gift in die Verhandlungen gebracht
wurde, das weiß jeder. Wie wenig entspricht es der Würde einer Versamm¬
lung, welche den stolzen Namen Deutscher Reichstag führt, wenn die Parteien
einander bei jedem Anlaß vorwerfen, die Parlamentsreden seien Wahlreden,
wenn die Minorität sich geberdet, als ob die Stimmen, welche die Gegner er¬
halten haben, ihr widerrechtlich entzogen seien, als ob nur ihre Wähler „das
Volk" seien! Wenn die Herren einander dergleichen Dinge recht oft sagen, so
glaubt die Menge sie gewiß und macht keinen Unterschied zwischen Links und
Rechts und Mitte. Aber der Freisinn hat alle Besonnenheit verloren. In
den parlamentarischen Kinderjahren Deutschlands sind viele Dummheiten vor¬
gekommen; doch das wäre vor vierzig Jahren keinem „Piepmeyer" eingefallen,
einem Parteiführer als Nationalbelohnung einen Fonds für Wahlumtriebe an¬
zubieten. Also das ist des Pudels Kern, dahin hat es die politische Erziehung
der Nation gebracht, daß Geld, viel Geld aufgewandt werden muß, um den
Volkswillen zum unverfälschten Ausdruck zu bringen! Wie es scheint, sollen
die rotten vorouAli8 des parlamentarischen Musterlandes bei uns akklimatisirt
werden. Einen kräftigern Beweisgrund für die Verlängerung der Legislatur¬
perioden hätten wir uns nicht wünschen können.

Natürlich haben wir nichts dagegen, wenn die demagogischen Talente, von
denen die Linksliberalen immer tiefer in den Irrgarten geführt worden sind,
sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen. Der berühmte Feldzug gegen das Sep-
tennat hatte schon manchem die Augen geöffnet. Dann kam das den patentirter
Freiheitsmäunern so wohl auslesende liebedienerische Sichherandrängen an den
damaligen Kronprinzen und das Intrigenspiel gegen den jetzigen, das lebhaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/107>, abgerufen am 01.09.2024.