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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen.

obcngcnmmten mittelbar verbürgten Obligationen in der Regel um zehn bis
zwölf Prozent niedriger notirt, als die mit ihnen gleich verzinslichen unmittelbar
verbürgten.

2. Haftung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens der
Eisenbahngesellschaften für die Obligationen. In den Statuten ein¬
zelner Ballgesellschaften und in den Bekanntmachungen über die Ausgabe von
Eisenbahuobligationen findet sich der Satz: "Die neue vierprozeutige Anleihe
wird in ihrer Verzinsung und Tilgung gesichert durch die Eisenbahnlinie von
Kursk nach Kiew mit allen dazu gehörigen Zweigbahnen und dem sonstigen
Eigentums der Gesellschaft an Vetriebsmaterial n. s. w." Diese Ausdrucks¬
weise erscheint geeignet, bei den Inhabern der betreffenden Obligationen den
Glauben zu erwecken, als sei ihnen unabhängig von der Staatsbürgschaft auch
eine gewisse dingliche Sicherheit an dem Bahnkörper und dem sonstigen Gesell¬
schaftsvermögen geleistet. Eine solche Aunahme ist jedoch im Hinblick auf die
Bestimmungen des allgemeinen Statuts für die russische" Eisenbahnen, Art. 138
bis 144, nicht haltbar. Nach diesem unterm 12. Februar 1885 erlassenen
kaiserlichen Statut, welches für sämtliche bereits eröffneten und in Zukunft zu
eröffnenden Eisenbahnen das geltende Gesetz bildet, ist das gesamte bewegliche
und unbewegliche Vermögen einer russischen Eisenbahn, gleichviel ob sie Staats¬
oder Privalbcchn ist, und ob die Privatbcchn vom Staate verbürgt ist oder
uicht, jeder gerichtlichen Beschlagnahme entzogen. Die Zuständigkeit der Ge¬
richte hinsichtlich der gegen eine Eisenbahugcsellschaft gerichteten Forderungen
endet mit der Konkurserklärung, und von da an verfügt der Staat aus dem
Verwaltungswege über die Bahn, ohne den Gläubigern auch uur den geringsten
Einfluß auf die Verwaltung oder auf die Art der Auflösung zu gestatten.
Falls es der Staat für zweckmäßig erachtet, die zahlungsunfähige Bahn anzu¬
kaufen, haftet er den Gläubigern nur mit der Ankaufssumme. Angesichts dieser
Bestimmungen des Eisenbahnstatuts ist der obenerwähnte Satz betreffend die
Haftung des Gescllschaftsvermögens kaum für etwas andres zu halten als für
eine bloße Ausschmückung; denn diese Zusicherung begründet für den Obligationeu-
inhciber kein Recht, welches ihm nicht ohne sie aus dem einfachen Darlehns-
vertrage zusteht. Da, wo in den Statuten der Bahugesellschaften die Haftung
des Gesellschafisvcrmögens für die Obligationsschuld ausdrücklich ausgesprochen
ist, wie z. B. in deu Statuten der Baltischen Bahn, wo in Z 26 in wörtlicher
Übersetzung steht: "Die Obligationen werden durch das ganze Vermögen der
Gesellschaft sicher gestellt," ist diese Bestimmung, welche nur Sinn hat. wenn
durch sie eine Art Pfandrecht begründet wird, durch das allgemeine Eisenbahn¬
statut vom 12. Juni 188Ü thatsächlich und zwar von der Regierung einseitig
außer Kraft gesetzt, sodaß in diesem Vorgehen ein neuer Beweis liegt, wie
wenig der in jeder andern Gesetzgebung anerkannte Schutz wohlerworbener Rechte
in Nußland geachtet wird.


Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen.

obcngcnmmten mittelbar verbürgten Obligationen in der Regel um zehn bis
zwölf Prozent niedriger notirt, als die mit ihnen gleich verzinslichen unmittelbar
verbürgten.

2. Haftung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens der
Eisenbahngesellschaften für die Obligationen. In den Statuten ein¬
zelner Ballgesellschaften und in den Bekanntmachungen über die Ausgabe von
Eisenbahuobligationen findet sich der Satz: „Die neue vierprozeutige Anleihe
wird in ihrer Verzinsung und Tilgung gesichert durch die Eisenbahnlinie von
Kursk nach Kiew mit allen dazu gehörigen Zweigbahnen und dem sonstigen
Eigentums der Gesellschaft an Vetriebsmaterial n. s. w." Diese Ausdrucks¬
weise erscheint geeignet, bei den Inhabern der betreffenden Obligationen den
Glauben zu erwecken, als sei ihnen unabhängig von der Staatsbürgschaft auch
eine gewisse dingliche Sicherheit an dem Bahnkörper und dem sonstigen Gesell¬
schaftsvermögen geleistet. Eine solche Aunahme ist jedoch im Hinblick auf die
Bestimmungen des allgemeinen Statuts für die russische» Eisenbahnen, Art. 138
bis 144, nicht haltbar. Nach diesem unterm 12. Februar 1885 erlassenen
kaiserlichen Statut, welches für sämtliche bereits eröffneten und in Zukunft zu
eröffnenden Eisenbahnen das geltende Gesetz bildet, ist das gesamte bewegliche
und unbewegliche Vermögen einer russischen Eisenbahn, gleichviel ob sie Staats¬
oder Privalbcchn ist, und ob die Privatbcchn vom Staate verbürgt ist oder
uicht, jeder gerichtlichen Beschlagnahme entzogen. Die Zuständigkeit der Ge¬
richte hinsichtlich der gegen eine Eisenbahugcsellschaft gerichteten Forderungen
endet mit der Konkurserklärung, und von da an verfügt der Staat aus dem
Verwaltungswege über die Bahn, ohne den Gläubigern auch uur den geringsten
Einfluß auf die Verwaltung oder auf die Art der Auflösung zu gestatten.
Falls es der Staat für zweckmäßig erachtet, die zahlungsunfähige Bahn anzu¬
kaufen, haftet er den Gläubigern nur mit der Ankaufssumme. Angesichts dieser
Bestimmungen des Eisenbahnstatuts ist der obenerwähnte Satz betreffend die
Haftung des Gescllschaftsvermögens kaum für etwas andres zu halten als für
eine bloße Ausschmückung; denn diese Zusicherung begründet für den Obligationeu-
inhciber kein Recht, welches ihm nicht ohne sie aus dem einfachen Darlehns-
vertrage zusteht. Da, wo in den Statuten der Bahugesellschaften die Haftung
des Gesellschafisvcrmögens für die Obligationsschuld ausdrücklich ausgesprochen
ist, wie z. B. in deu Statuten der Baltischen Bahn, wo in Z 26 in wörtlicher
Übersetzung steht: „Die Obligationen werden durch das ganze Vermögen der
Gesellschaft sicher gestellt," ist diese Bestimmung, welche nur Sinn hat. wenn
durch sie eine Art Pfandrecht begründet wird, durch das allgemeine Eisenbahn¬
statut vom 12. Juni 188Ü thatsächlich und zwar von der Regierung einseitig
außer Kraft gesetzt, sodaß in diesem Vorgehen ein neuer Beweis liegt, wie
wenig der in jeder andern Gesetzgebung anerkannte Schutz wohlerworbener Rechte
in Nußland geachtet wird.


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[0085] Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen. obcngcnmmten mittelbar verbürgten Obligationen in der Regel um zehn bis zwölf Prozent niedriger notirt, als die mit ihnen gleich verzinslichen unmittelbar verbürgten. 2. Haftung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens der Eisenbahngesellschaften für die Obligationen. In den Statuten ein¬ zelner Ballgesellschaften und in den Bekanntmachungen über die Ausgabe von Eisenbahuobligationen findet sich der Satz: „Die neue vierprozeutige Anleihe wird in ihrer Verzinsung und Tilgung gesichert durch die Eisenbahnlinie von Kursk nach Kiew mit allen dazu gehörigen Zweigbahnen und dem sonstigen Eigentums der Gesellschaft an Vetriebsmaterial n. s. w." Diese Ausdrucks¬ weise erscheint geeignet, bei den Inhabern der betreffenden Obligationen den Glauben zu erwecken, als sei ihnen unabhängig von der Staatsbürgschaft auch eine gewisse dingliche Sicherheit an dem Bahnkörper und dem sonstigen Gesell¬ schaftsvermögen geleistet. Eine solche Aunahme ist jedoch im Hinblick auf die Bestimmungen des allgemeinen Statuts für die russische» Eisenbahnen, Art. 138 bis 144, nicht haltbar. Nach diesem unterm 12. Februar 1885 erlassenen kaiserlichen Statut, welches für sämtliche bereits eröffneten und in Zukunft zu eröffnenden Eisenbahnen das geltende Gesetz bildet, ist das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen einer russischen Eisenbahn, gleichviel ob sie Staats¬ oder Privalbcchn ist, und ob die Privatbcchn vom Staate verbürgt ist oder uicht, jeder gerichtlichen Beschlagnahme entzogen. Die Zuständigkeit der Ge¬ richte hinsichtlich der gegen eine Eisenbahugcsellschaft gerichteten Forderungen endet mit der Konkurserklärung, und von da an verfügt der Staat aus dem Verwaltungswege über die Bahn, ohne den Gläubigern auch uur den geringsten Einfluß auf die Verwaltung oder auf die Art der Auflösung zu gestatten. Falls es der Staat für zweckmäßig erachtet, die zahlungsunfähige Bahn anzu¬ kaufen, haftet er den Gläubigern nur mit der Ankaufssumme. Angesichts dieser Bestimmungen des Eisenbahnstatuts ist der obenerwähnte Satz betreffend die Haftung des Gescllschaftsvermögens kaum für etwas andres zu halten als für eine bloße Ausschmückung; denn diese Zusicherung begründet für den Obligationeu- inhciber kein Recht, welches ihm nicht ohne sie aus dem einfachen Darlehns- vertrage zusteht. Da, wo in den Statuten der Bahugesellschaften die Haftung des Gesellschafisvcrmögens für die Obligationsschuld ausdrücklich ausgesprochen ist, wie z. B. in deu Statuten der Baltischen Bahn, wo in Z 26 in wörtlicher Übersetzung steht: „Die Obligationen werden durch das ganze Vermögen der Gesellschaft sicher gestellt," ist diese Bestimmung, welche nur Sinn hat. wenn durch sie eine Art Pfandrecht begründet wird, durch das allgemeine Eisenbahn¬ statut vom 12. Juni 188Ü thatsächlich und zwar von der Regierung einseitig außer Kraft gesetzt, sodaß in diesem Vorgehen ein neuer Beweis liegt, wie wenig der in jeder andern Gesetzgebung anerkannte Schutz wohlerworbener Rechte in Nußland geachtet wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/85>, abgerufen am 27.06.2024.