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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen,

zu entscheiden, oder auf eine rasche Förderung des Eisenbahnbaues zu verzichte",
oder aber mit seinem eignen Kredit und seinen eignen Mitteln für die von ihm
zu konzessionirenden Privatbahngesellschaften einzutreten. Die Regierung ent¬
schied sich für das letztere und verbürgte den meisten Eisenbahnen die Verzinsung
und Tilgung der zum Bau erforderlichen Kapitalien, ohne auf irgend einen
Anteil am Gewinne Anspruch zu macheu. Die Aktien und Obligationen wurden
anfangs von den einzelnen Eisenbahngesellschaften selbst ausgegeben; später fand
es der Staat vorteilhafter, die Obligationen der Eisenbahngesellschcifteu aus
eigne Rechnung zu übernehme" und an deren Stelle die sogenannten konsvli-
dirten Eisenbahnanleihen auszugeben. Von diesen giebt es gegenwärtig sieben
Emissionen mit zusammen 639143233 Rubel Gold.

Die konsolidirte russische Eisenbahnanleihe ist ein reines Staatspapier und
fällt demnach ebenso wenig in den Rahmen dieses Aufsatzes, wie andre vom
Staate späterhin zu Eisenbahnzwccken aufgenommene Anleihen, nämlich die 1883
ausgegebene sechsprozentige Goldrente und die 1886 ausgegebene fünfprozeutige
immerwährende Staatseisenbahnrente.

Was die von den russischen Privateisenbahngesellschaften auf den Markt
gebrachten Wertpapiere betrifft -- und es kommen hierbei mehr als vierzig Ge¬
sellschaften in Betracht --, so werden bei Beurteilung des Grades von Sicher¬
heit, welche jedes dieser Papiere dem Inhaber bietet, folgende Punkte haupt¬
sächlich ins Auge zu fassen sein: 1. Die Art der Bürgschaft (Garantie), falls
eine solche besteht; 2. die Haftung des beweglichen und unbeweglichen Ver¬
mögens der Ballgesellschaft für die Obligationen; 3. die finanzielle Lage und
die Betriebsergebnisse jeder Gesellschaft und endlich 4. die Qualifikation des be¬
treffende!, Wertpapieres als Aktie oder als Obligation.

1. Die Bürgschaft. Darunter hat mau das vom Staate, von einzelnen
Provinzen oder sonstigen öffentlichen Körperschaften gegebene Versprechen zu ver¬
stehen, dafür Sorge zu tragen, daß ein von Privaten ausgegebenes Wertpapier
in der bedungenen Weise verzinst und wieder eingelöst werde.

Diesem Versprechen ist, wo es der russische Staat deu Privateisenbahnen
gegeben hat, stets nachgekommen worden, und es ist kein Fall bekannt, daß
russische Gerichte darüber erkannt hätten, nach welchen Rechtsgrundsätzen die
Staatsbürgschaft zu beurteilen sei und welche Rechtsansprüche aus dem Bllrg-
schaftsversprechcn dem Gläubiger an den Staat vorkommenden Falls zustehen.
Ebensowenig ist aber aus der Fassung der auf die Staatsbürgschaft bezüglichen
Bestimmungen der Konzessionsurkunden, Statuten, Ausgabebediugungen :c. die
rechtliche Natur dieser Bürgschaft mit Sicherheit zu erkennen. Sollte also der
russische Fiskus einmal sich weigern, seinem Versprechen nachzukommen, oder die
Lage seiner Finanzen ihm verbieten, dafür vollständig einzutreten, so würde
ihm die zweifelhaft juristische Natur der Bürgschaft genügende Handhaben bieten,
lästig gewordene Verbindlichkeiten von sich abzuwälzen.


Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen,

zu entscheiden, oder auf eine rasche Förderung des Eisenbahnbaues zu verzichte»,
oder aber mit seinem eignen Kredit und seinen eignen Mitteln für die von ihm
zu konzessionirenden Privatbahngesellschaften einzutreten. Die Regierung ent¬
schied sich für das letztere und verbürgte den meisten Eisenbahnen die Verzinsung
und Tilgung der zum Bau erforderlichen Kapitalien, ohne auf irgend einen
Anteil am Gewinne Anspruch zu macheu. Die Aktien und Obligationen wurden
anfangs von den einzelnen Eisenbahngesellschaften selbst ausgegeben; später fand
es der Staat vorteilhafter, die Obligationen der Eisenbahngesellschcifteu aus
eigne Rechnung zu übernehme» und an deren Stelle die sogenannten konsvli-
dirten Eisenbahnanleihen auszugeben. Von diesen giebt es gegenwärtig sieben
Emissionen mit zusammen 639143233 Rubel Gold.

Die konsolidirte russische Eisenbahnanleihe ist ein reines Staatspapier und
fällt demnach ebenso wenig in den Rahmen dieses Aufsatzes, wie andre vom
Staate späterhin zu Eisenbahnzwccken aufgenommene Anleihen, nämlich die 1883
ausgegebene sechsprozentige Goldrente und die 1886 ausgegebene fünfprozeutige
immerwährende Staatseisenbahnrente.

Was die von den russischen Privateisenbahngesellschaften auf den Markt
gebrachten Wertpapiere betrifft — und es kommen hierbei mehr als vierzig Ge¬
sellschaften in Betracht —, so werden bei Beurteilung des Grades von Sicher¬
heit, welche jedes dieser Papiere dem Inhaber bietet, folgende Punkte haupt¬
sächlich ins Auge zu fassen sein: 1. Die Art der Bürgschaft (Garantie), falls
eine solche besteht; 2. die Haftung des beweglichen und unbeweglichen Ver¬
mögens der Ballgesellschaft für die Obligationen; 3. die finanzielle Lage und
die Betriebsergebnisse jeder Gesellschaft und endlich 4. die Qualifikation des be¬
treffende!, Wertpapieres als Aktie oder als Obligation.

1. Die Bürgschaft. Darunter hat mau das vom Staate, von einzelnen
Provinzen oder sonstigen öffentlichen Körperschaften gegebene Versprechen zu ver¬
stehen, dafür Sorge zu tragen, daß ein von Privaten ausgegebenes Wertpapier
in der bedungenen Weise verzinst und wieder eingelöst werde.

Diesem Versprechen ist, wo es der russische Staat deu Privateisenbahnen
gegeben hat, stets nachgekommen worden, und es ist kein Fall bekannt, daß
russische Gerichte darüber erkannt hätten, nach welchen Rechtsgrundsätzen die
Staatsbürgschaft zu beurteilen sei und welche Rechtsansprüche aus dem Bllrg-
schaftsversprechcn dem Gläubiger an den Staat vorkommenden Falls zustehen.
Ebensowenig ist aber aus der Fassung der auf die Staatsbürgschaft bezüglichen
Bestimmungen der Konzessionsurkunden, Statuten, Ausgabebediugungen :c. die
rechtliche Natur dieser Bürgschaft mit Sicherheit zu erkennen. Sollte also der
russische Fiskus einmal sich weigern, seinem Versprechen nachzukommen, oder die
Lage seiner Finanzen ihm verbieten, dafür vollständig einzutreten, so würde
ihm die zweifelhaft juristische Natur der Bürgschaft genügende Handhaben bieten,
lästig gewordene Verbindlichkeiten von sich abzuwälzen.


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[0079] Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen, zu entscheiden, oder auf eine rasche Förderung des Eisenbahnbaues zu verzichte», oder aber mit seinem eignen Kredit und seinen eignen Mitteln für die von ihm zu konzessionirenden Privatbahngesellschaften einzutreten. Die Regierung ent¬ schied sich für das letztere und verbürgte den meisten Eisenbahnen die Verzinsung und Tilgung der zum Bau erforderlichen Kapitalien, ohne auf irgend einen Anteil am Gewinne Anspruch zu macheu. Die Aktien und Obligationen wurden anfangs von den einzelnen Eisenbahngesellschaften selbst ausgegeben; später fand es der Staat vorteilhafter, die Obligationen der Eisenbahngesellschcifteu aus eigne Rechnung zu übernehme» und an deren Stelle die sogenannten konsvli- dirten Eisenbahnanleihen auszugeben. Von diesen giebt es gegenwärtig sieben Emissionen mit zusammen 639143233 Rubel Gold. Die konsolidirte russische Eisenbahnanleihe ist ein reines Staatspapier und fällt demnach ebenso wenig in den Rahmen dieses Aufsatzes, wie andre vom Staate späterhin zu Eisenbahnzwccken aufgenommene Anleihen, nämlich die 1883 ausgegebene sechsprozentige Goldrente und die 1886 ausgegebene fünfprozeutige immerwährende Staatseisenbahnrente. Was die von den russischen Privateisenbahngesellschaften auf den Markt gebrachten Wertpapiere betrifft — und es kommen hierbei mehr als vierzig Ge¬ sellschaften in Betracht —, so werden bei Beurteilung des Grades von Sicher¬ heit, welche jedes dieser Papiere dem Inhaber bietet, folgende Punkte haupt¬ sächlich ins Auge zu fassen sein: 1. Die Art der Bürgschaft (Garantie), falls eine solche besteht; 2. die Haftung des beweglichen und unbeweglichen Ver¬ mögens der Ballgesellschaft für die Obligationen; 3. die finanzielle Lage und die Betriebsergebnisse jeder Gesellschaft und endlich 4. die Qualifikation des be¬ treffende!, Wertpapieres als Aktie oder als Obligation. 1. Die Bürgschaft. Darunter hat mau das vom Staate, von einzelnen Provinzen oder sonstigen öffentlichen Körperschaften gegebene Versprechen zu ver¬ stehen, dafür Sorge zu tragen, daß ein von Privaten ausgegebenes Wertpapier in der bedungenen Weise verzinst und wieder eingelöst werde. Diesem Versprechen ist, wo es der russische Staat deu Privateisenbahnen gegeben hat, stets nachgekommen worden, und es ist kein Fall bekannt, daß russische Gerichte darüber erkannt hätten, nach welchen Rechtsgrundsätzen die Staatsbürgschaft zu beurteilen sei und welche Rechtsansprüche aus dem Bllrg- schaftsversprechcn dem Gläubiger an den Staat vorkommenden Falls zustehen. Ebensowenig ist aber aus der Fassung der auf die Staatsbürgschaft bezüglichen Bestimmungen der Konzessionsurkunden, Statuten, Ausgabebediugungen :c. die rechtliche Natur dieser Bürgschaft mit Sicherheit zu erkennen. Sollte also der russische Fiskus einmal sich weigern, seinem Versprechen nachzukommen, oder die Lage seiner Finanzen ihm verbieten, dafür vollständig einzutreten, so würde ihm die zweifelhaft juristische Natur der Bürgschaft genügende Handhaben bieten, lästig gewordene Verbindlichkeiten von sich abzuwälzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/79>, abgerufen am 27.06.2024.