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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen
vom rechtlichen und vom wirtschaftlichen Standpunkte.

on den 24608 Werst Gesamtlänge des russischen Eisenbahnnetzes
(ohne Finnland und Transkaspien) befinden sich 3410 Werst im
Eigentum" und im Betriebe des Staates, während das Übrige,
21 098 Werst, durch Privatgesellschaften ausgebeutet wird.

Das Recht zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn wird
nach der russischen Gesetzgebung einem oder mehreren persönlich verliehen, und
damit die Ermächtigung erteilt, das erforderliche Kapital durch Ausgabe von
Aktien und Obligationen zu beschaffen, d. h. eine Aktiengesellschaft zu bilden.

Die von dem Kaiser vollzogenen Konzessionsurkunden und Statuten dieser
Eisenbahngesellschaften sind nach der Form ihrer Veröffentlichung juristisch als
Spezinlgesetze der betreffenden Gesellschaften, nicht aber als ein zwischen der
Negierung und den Konzessionsinhabern abgeschlossener Vertrag zu bezeichnen.
Daraus folgt, daß solche Statuten jederzeit von der Regierung durch Erlaß
neuer Spezinlgesetze oder allgemeiner Gesetze einseitig abgeändert werden können.
Als Beispiel einer derartigen Änderung der Statuten einer Eisenbahngesellschaft
kann der Mas vom 3. November 1861 gelten, wodurch die Große Russische
Eisenbahngesellschaft von ihrer Verpflichtung, zwei Linien zu bauen, befreit und
ihr gegen eine Unterstützung der Bau einer andern Linie auferlegt wird. So
ist schou nach dem allgemeinen russischen Staatsrechte die rechtliche Grundlage
einer Eisenbahngesellschaft keine sichere.

Die große Masse der russischen Eisenbahnen ist zwischen der Mitte der
sechziger und dem Ende der siebziger Jahre mit einem Kostenaufwande von
mindestens 1^ Milliarden Rubel hergestellt worden. Um eine solche Summe
innerhalb dieser Zeit flüssig machen zu können, mußte die weiteste Beteiligung
ausländischen Kapitals erstrebt werden. Der ausländische Kapitalist, der nach
Nußland Geld geben sollte, verlangte aber vor allem Sicherheit des Zins¬
genusses und des Kapitals, sowie Unabhängigkeit beider von dem schwankenden
Kurs der russischen Valuta.

Genügende Sicherheit des Zinsgenusses und des Kapitals konnte nach Lage
der Verhältnisse dem ausländischen Kapitalisten nur der Staat bieten, und so
sah sich dieser vor die Wahl gestellt, sich entweder für das Staatsbahnsystem




Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen
vom rechtlichen und vom wirtschaftlichen Standpunkte.

on den 24608 Werst Gesamtlänge des russischen Eisenbahnnetzes
(ohne Finnland und Transkaspien) befinden sich 3410 Werst im
Eigentum« und im Betriebe des Staates, während das Übrige,
21 098 Werst, durch Privatgesellschaften ausgebeutet wird.

Das Recht zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn wird
nach der russischen Gesetzgebung einem oder mehreren persönlich verliehen, und
damit die Ermächtigung erteilt, das erforderliche Kapital durch Ausgabe von
Aktien und Obligationen zu beschaffen, d. h. eine Aktiengesellschaft zu bilden.

Die von dem Kaiser vollzogenen Konzessionsurkunden und Statuten dieser
Eisenbahngesellschaften sind nach der Form ihrer Veröffentlichung juristisch als
Spezinlgesetze der betreffenden Gesellschaften, nicht aber als ein zwischen der
Negierung und den Konzessionsinhabern abgeschlossener Vertrag zu bezeichnen.
Daraus folgt, daß solche Statuten jederzeit von der Regierung durch Erlaß
neuer Spezinlgesetze oder allgemeiner Gesetze einseitig abgeändert werden können.
Als Beispiel einer derartigen Änderung der Statuten einer Eisenbahngesellschaft
kann der Mas vom 3. November 1861 gelten, wodurch die Große Russische
Eisenbahngesellschaft von ihrer Verpflichtung, zwei Linien zu bauen, befreit und
ihr gegen eine Unterstützung der Bau einer andern Linie auferlegt wird. So
ist schou nach dem allgemeinen russischen Staatsrechte die rechtliche Grundlage
einer Eisenbahngesellschaft keine sichere.

Die große Masse der russischen Eisenbahnen ist zwischen der Mitte der
sechziger und dem Ende der siebziger Jahre mit einem Kostenaufwande von
mindestens 1^ Milliarden Rubel hergestellt worden. Um eine solche Summe
innerhalb dieser Zeit flüssig machen zu können, mußte die weiteste Beteiligung
ausländischen Kapitals erstrebt werden. Der ausländische Kapitalist, der nach
Nußland Geld geben sollte, verlangte aber vor allem Sicherheit des Zins¬
genusses und des Kapitals, sowie Unabhängigkeit beider von dem schwankenden
Kurs der russischen Valuta.

Genügende Sicherheit des Zinsgenusses und des Kapitals konnte nach Lage
der Verhältnisse dem ausländischen Kapitalisten nur der Staat bieten, und so
sah sich dieser vor die Wahl gestellt, sich entweder für das Staatsbahnsystem


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[0078] [Abbildung] Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen vom rechtlichen und vom wirtschaftlichen Standpunkte. on den 24608 Werst Gesamtlänge des russischen Eisenbahnnetzes (ohne Finnland und Transkaspien) befinden sich 3410 Werst im Eigentum« und im Betriebe des Staates, während das Übrige, 21 098 Werst, durch Privatgesellschaften ausgebeutet wird. Das Recht zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn wird nach der russischen Gesetzgebung einem oder mehreren persönlich verliehen, und damit die Ermächtigung erteilt, das erforderliche Kapital durch Ausgabe von Aktien und Obligationen zu beschaffen, d. h. eine Aktiengesellschaft zu bilden. Die von dem Kaiser vollzogenen Konzessionsurkunden und Statuten dieser Eisenbahngesellschaften sind nach der Form ihrer Veröffentlichung juristisch als Spezinlgesetze der betreffenden Gesellschaften, nicht aber als ein zwischen der Negierung und den Konzessionsinhabern abgeschlossener Vertrag zu bezeichnen. Daraus folgt, daß solche Statuten jederzeit von der Regierung durch Erlaß neuer Spezinlgesetze oder allgemeiner Gesetze einseitig abgeändert werden können. Als Beispiel einer derartigen Änderung der Statuten einer Eisenbahngesellschaft kann der Mas vom 3. November 1861 gelten, wodurch die Große Russische Eisenbahngesellschaft von ihrer Verpflichtung, zwei Linien zu bauen, befreit und ihr gegen eine Unterstützung der Bau einer andern Linie auferlegt wird. So ist schou nach dem allgemeinen russischen Staatsrechte die rechtliche Grundlage einer Eisenbahngesellschaft keine sichere. Die große Masse der russischen Eisenbahnen ist zwischen der Mitte der sechziger und dem Ende der siebziger Jahre mit einem Kostenaufwande von mindestens 1^ Milliarden Rubel hergestellt worden. Um eine solche Summe innerhalb dieser Zeit flüssig machen zu können, mußte die weiteste Beteiligung ausländischen Kapitals erstrebt werden. Der ausländische Kapitalist, der nach Nußland Geld geben sollte, verlangte aber vor allem Sicherheit des Zins¬ genusses und des Kapitals, sowie Unabhängigkeit beider von dem schwankenden Kurs der russischen Valuta. Genügende Sicherheit des Zinsgenusses und des Kapitals konnte nach Lage der Verhältnisse dem ausländischen Kapitalisten nur der Staat bieten, und so sah sich dieser vor die Wahl gestellt, sich entweder für das Staatsbahnsystem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/78>, abgerufen am 27.06.2024.