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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

Lehre zurückweisen können, daß nämlich alle bürgerlichen und politischen Rechte,
ebenso wie die Glaubenslehren, von dem Willen eines einzigen Menschen ab¬
hängen." Und Kardinal von Rauscher sagte in der Vorstellung der Minderheit
auf dem Konzil, die er behufs Aufschub der Beratung über die Unfehlbarkeit
abgab, die Päpste des Mittelalters hätten fest daran geglaubt, auch in Dekreten
und Restripten ausgesprochen: Vou Gott sei ihnen das Recht verliehen, über
alle zeitlichen Angelegenheiten aus dem Gesichtspunkte der Sünde Vorschriften
zu geben und Urteile zu füllen; insbesondre habe Christus, der Herr, dem hei¬
ligen Petrus und den an dessen Stelle nachfolgenden zwei Schwerter übergeben,
das eine das geistliche, welches sie selbst führten, das andre das weltliche,
welches die Fürsten und Krieger nach ihrer Vorschrift führen müßten. Diese
Lehre von dem Verhältnis der päpstlichen Gewalt zur staatlichen hat Bo-
nifaz VIII. durch die Bulle vnam sanowin, verkündigt und allen Gläubigen
anzunehmen befohlen. Es entgehe nun niemandem, daß es unmöglich sei, die
staatliche Gesellschaft nach dieser Regel zu reformiren. Sie, die Bischöfe, trügen
eine andre Lehre dem christlichen Volke vor; aber wenn der Papst, wie in der
Bulle Luur sx Äxo8to1g.tu8 oMoio versichert wird, aus göttlichem Rechte über
die Völker und Reiche die Fülle der Gewalt inne hätte, dann stünde es der
Kirche nicht frei, dies den Gläubigen zu verbergen, d.h. mit andern Worten:
wenn die päpstliche Unfehlbarkeit erklärt würde, dann gelte auch das mittel¬
alterliche Recht, und wenn man diese zeitliche Gewalt des Papstes etwa nur
als eine Theorie hinstellen wollte, weil Pius IX. faktisch nicht entfernt daran
denke, die Lenker der staatlichen Angelegenheiten abzusetzen, so würden die Gegner
hohnlachend antworten: Die päpstliche Gewalt fürchten wir nicht, aber nach
langen und verschiednen Verstellungen ist es endlich evident geworden, daß
jeder Katholik, dessen Werke durch den Glauben, den er bekennt, geleitet werden
sollen, ein geborner Feind des Staates ist, da er sich im Gewissen für gebunden
erachtet, so viel er kann, dazu beizutragen, daß alle Reiche und Völker dem
römischen Papste unterworfen werden.

Daß die Gegner mit solcher Antwort, wie Rauscher sie hier geben läßt,
Recht haben, zeigt der fort und fort festgehaltene Gebrauch, daß bei der Krönung
eines Papstes der erste Kardinaldiakon demselben die Tiara mit den Worten
aufsetzt: "Empfange die mit drei Kronen geschmückte Tiara und wisse, daß du
der Vater der Fürsten und Könige, der Regierer der Welt und der Stell¬
vertreter des Erlösers bist," zeigte auch vor uicht langer Zeit Windthorst, als
er auf einer Katholikenversammlung ausrief: "Und der Papst regiert doch
die Welt!"

Es ist also klar, was die katholische Kirche will, wenn sie von ihrem
Rechte, von ihrer Freiheit und Selbständigkeit redet. Zufolge dieses Rechtes
sind noch heute die Bischöfe, und wären sie auch sanft und friedsam wie die
Tauben, durch ihren Eid verpflichtet, "die Ketzer nach Kräften zu verfolgen,"


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

Lehre zurückweisen können, daß nämlich alle bürgerlichen und politischen Rechte,
ebenso wie die Glaubenslehren, von dem Willen eines einzigen Menschen ab¬
hängen." Und Kardinal von Rauscher sagte in der Vorstellung der Minderheit
auf dem Konzil, die er behufs Aufschub der Beratung über die Unfehlbarkeit
abgab, die Päpste des Mittelalters hätten fest daran geglaubt, auch in Dekreten
und Restripten ausgesprochen: Vou Gott sei ihnen das Recht verliehen, über
alle zeitlichen Angelegenheiten aus dem Gesichtspunkte der Sünde Vorschriften
zu geben und Urteile zu füllen; insbesondre habe Christus, der Herr, dem hei¬
ligen Petrus und den an dessen Stelle nachfolgenden zwei Schwerter übergeben,
das eine das geistliche, welches sie selbst führten, das andre das weltliche,
welches die Fürsten und Krieger nach ihrer Vorschrift führen müßten. Diese
Lehre von dem Verhältnis der päpstlichen Gewalt zur staatlichen hat Bo-
nifaz VIII. durch die Bulle vnam sanowin, verkündigt und allen Gläubigen
anzunehmen befohlen. Es entgehe nun niemandem, daß es unmöglich sei, die
staatliche Gesellschaft nach dieser Regel zu reformiren. Sie, die Bischöfe, trügen
eine andre Lehre dem christlichen Volke vor; aber wenn der Papst, wie in der
Bulle Luur sx Äxo8to1g.tu8 oMoio versichert wird, aus göttlichem Rechte über
die Völker und Reiche die Fülle der Gewalt inne hätte, dann stünde es der
Kirche nicht frei, dies den Gläubigen zu verbergen, d.h. mit andern Worten:
wenn die päpstliche Unfehlbarkeit erklärt würde, dann gelte auch das mittel¬
alterliche Recht, und wenn man diese zeitliche Gewalt des Papstes etwa nur
als eine Theorie hinstellen wollte, weil Pius IX. faktisch nicht entfernt daran
denke, die Lenker der staatlichen Angelegenheiten abzusetzen, so würden die Gegner
hohnlachend antworten: Die päpstliche Gewalt fürchten wir nicht, aber nach
langen und verschiednen Verstellungen ist es endlich evident geworden, daß
jeder Katholik, dessen Werke durch den Glauben, den er bekennt, geleitet werden
sollen, ein geborner Feind des Staates ist, da er sich im Gewissen für gebunden
erachtet, so viel er kann, dazu beizutragen, daß alle Reiche und Völker dem
römischen Papste unterworfen werden.

Daß die Gegner mit solcher Antwort, wie Rauscher sie hier geben läßt,
Recht haben, zeigt der fort und fort festgehaltene Gebrauch, daß bei der Krönung
eines Papstes der erste Kardinaldiakon demselben die Tiara mit den Worten
aufsetzt: „Empfange die mit drei Kronen geschmückte Tiara und wisse, daß du
der Vater der Fürsten und Könige, der Regierer der Welt und der Stell¬
vertreter des Erlösers bist," zeigte auch vor uicht langer Zeit Windthorst, als
er auf einer Katholikenversammlung ausrief: „Und der Papst regiert doch
die Welt!"

Es ist also klar, was die katholische Kirche will, wenn sie von ihrem
Rechte, von ihrer Freiheit und Selbständigkeit redet. Zufolge dieses Rechtes
sind noch heute die Bischöfe, und wären sie auch sanft und friedsam wie die
Tauben, durch ihren Eid verpflichtet, „die Ketzer nach Kräften zu verfolgen,"


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[0067] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche. Lehre zurückweisen können, daß nämlich alle bürgerlichen und politischen Rechte, ebenso wie die Glaubenslehren, von dem Willen eines einzigen Menschen ab¬ hängen." Und Kardinal von Rauscher sagte in der Vorstellung der Minderheit auf dem Konzil, die er behufs Aufschub der Beratung über die Unfehlbarkeit abgab, die Päpste des Mittelalters hätten fest daran geglaubt, auch in Dekreten und Restripten ausgesprochen: Vou Gott sei ihnen das Recht verliehen, über alle zeitlichen Angelegenheiten aus dem Gesichtspunkte der Sünde Vorschriften zu geben und Urteile zu füllen; insbesondre habe Christus, der Herr, dem hei¬ ligen Petrus und den an dessen Stelle nachfolgenden zwei Schwerter übergeben, das eine das geistliche, welches sie selbst führten, das andre das weltliche, welches die Fürsten und Krieger nach ihrer Vorschrift führen müßten. Diese Lehre von dem Verhältnis der päpstlichen Gewalt zur staatlichen hat Bo- nifaz VIII. durch die Bulle vnam sanowin, verkündigt und allen Gläubigen anzunehmen befohlen. Es entgehe nun niemandem, daß es unmöglich sei, die staatliche Gesellschaft nach dieser Regel zu reformiren. Sie, die Bischöfe, trügen eine andre Lehre dem christlichen Volke vor; aber wenn der Papst, wie in der Bulle Luur sx Äxo8to1g.tu8 oMoio versichert wird, aus göttlichem Rechte über die Völker und Reiche die Fülle der Gewalt inne hätte, dann stünde es der Kirche nicht frei, dies den Gläubigen zu verbergen, d.h. mit andern Worten: wenn die päpstliche Unfehlbarkeit erklärt würde, dann gelte auch das mittel¬ alterliche Recht, und wenn man diese zeitliche Gewalt des Papstes etwa nur als eine Theorie hinstellen wollte, weil Pius IX. faktisch nicht entfernt daran denke, die Lenker der staatlichen Angelegenheiten abzusetzen, so würden die Gegner hohnlachend antworten: Die päpstliche Gewalt fürchten wir nicht, aber nach langen und verschiednen Verstellungen ist es endlich evident geworden, daß jeder Katholik, dessen Werke durch den Glauben, den er bekennt, geleitet werden sollen, ein geborner Feind des Staates ist, da er sich im Gewissen für gebunden erachtet, so viel er kann, dazu beizutragen, daß alle Reiche und Völker dem römischen Papste unterworfen werden. Daß die Gegner mit solcher Antwort, wie Rauscher sie hier geben läßt, Recht haben, zeigt der fort und fort festgehaltene Gebrauch, daß bei der Krönung eines Papstes der erste Kardinaldiakon demselben die Tiara mit den Worten aufsetzt: „Empfange die mit drei Kronen geschmückte Tiara und wisse, daß du der Vater der Fürsten und Könige, der Regierer der Welt und der Stell¬ vertreter des Erlösers bist," zeigte auch vor uicht langer Zeit Windthorst, als er auf einer Katholikenversammlung ausrief: „Und der Papst regiert doch die Welt!" Es ist also klar, was die katholische Kirche will, wenn sie von ihrem Rechte, von ihrer Freiheit und Selbständigkeit redet. Zufolge dieses Rechtes sind noch heute die Bischöfe, und wären sie auch sanft und friedsam wie die Tauben, durch ihren Eid verpflichtet, „die Ketzer nach Kräften zu verfolgen,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/67>, abgerufen am 27.06.2024.