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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

lebt, aber der Seele zu dienen hat, auch im Notfalle vernichtet werden muß,
damit die Seele gerettet werde. Wo es not thut, verliert jede irdische Gewalt
gegenüber der Kirche ihr Recht, und wenn es das Heil der Seele erfordert, können
auch Fürsten entsetzt, ja selbst am Leben gestraft werden. Auch die Doktrin
der Volkssouveränität stammt im Zusammenhange mit diesem System von den
Jesuiten: "Der König kann durch das Gemeinwesen seiner Würde entkleidet
werden wegen tyrannischer Herrschaft, und wenn er seiner Pflicht nicht nach¬
kommt und irgend eine (andre) gerechte Ursache vorhanden ist; und es kann
ein andrer von der Majorität des Volkes erwählt werden" L.sx xotest
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xoxuli. Die katholische Kirche hat bis zu dieser Stunde von den Gedanken
des Mittelalters nicht gelassen, kann das auch heutzutage infolge der Unfehl¬
barkeit ihres Hauptes weniger denn je. Die eifrigsten Vertreter der katholischen
Kirche erkennen das auch an. Bischof Dnpanloup von Orleans, der anfangs
ebenso wie die sämtlichen deutschen Bischöfe und Erzbischöfe gegen das Dogma
der Unfehlbarkeit war, schrieb vor dem Zusammentreten des vatikanischen Konzils
im August 1869 in seiner Warnung: "Man ^die Regierungen^ wird sich dann
swenn der Papst für unfehlbar erklärt wird) der Behauptungen erinnern, welche
in frühern Bullen aufgestellt worden sind. Erklärt nicht z. B. Bonifacius VIII.
in der Bulle Ilug-rü 8ime,ta,in, daß es zwei Schwerter gebe, das geistliche und
das weltliche, daß auch das weltliche Petrus angehöre, und daß der Nachfolger
des Petrus das Recht habe, die weltlichen Fürsten einzusetzen und zu verurteilen
(xotssws "xiritug-lis törroug-in xotsstatsui institusrs Kabst et Mäivars). Und
in der Bulle ^.usoultg. litt fordert er den König von Frankreich auf, alle Erz¬
bischöfe, Bischöfe und Äbte :c. nach Rom zu schicken, um dort zu beraten, was
zur guten Regierung des französischen Königreiches nötig erscheinen würde. Und
selbst nachdem durch den Protestantismus der Zustand Europas so gewaltig
verändert war, hat nicht Paul IV. in der bekannten Bulle gegen Heinrich VIII.
alle Unterthanen des Königs von England ihres Eides entbunden, bot er nicht
England jedem an, der es erobern wollte, indem er dem Eroberer alle beweg¬
lichen und unbeweglichen Güter der von der Kirche abgefallenen Engländer
schenkte? . . . Schließlich werden sich die Souveräne, und zwar auch die katho¬
lischen, fragen, ob denn die päpstliche Unfehlbarkeit für die Zukunft solche Bullen
unmöglich machen wird? Wer wird einen neuen Papst hindern, das als
Glaubenssatz festzustellen, was mehrere seiner Vorgänger gelehrt haben, daß der
Statthalter Christi eine unmittelbare Gewalt auch über die weltliche Herrschaft
der Fürsten habe, daß es zu seinen Befugnissen gehöre, die Fürsten einzusetzen
und abzusetzen, und daß die bürgerlichen Rechte der Könige und der Völker
von ihm abhängig seien? Nach der Verkündigung des neuen Glaubenssatzes wird
keine Geistlichkeit, kein Bischof, kein Katholik diese den Regierungen so verhaßte


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

lebt, aber der Seele zu dienen hat, auch im Notfalle vernichtet werden muß,
damit die Seele gerettet werde. Wo es not thut, verliert jede irdische Gewalt
gegenüber der Kirche ihr Recht, und wenn es das Heil der Seele erfordert, können
auch Fürsten entsetzt, ja selbst am Leben gestraft werden. Auch die Doktrin
der Volkssouveränität stammt im Zusammenhange mit diesem System von den
Jesuiten: „Der König kann durch das Gemeinwesen seiner Würde entkleidet
werden wegen tyrannischer Herrschaft, und wenn er seiner Pflicht nicht nach¬
kommt und irgend eine (andre) gerechte Ursache vorhanden ist; und es kann
ein andrer von der Majorität des Volkes erwählt werden" L.sx xotest
xsr röiuxuolioaiu xrivari ol> t^rg.ulu'äiziu, et si non kg-eiat ollioiuru suura,
se (um, est g-liciug. ^uftg. causs,, se vu^i xotvst Mus g. in^ors xarts
xoxuli. Die katholische Kirche hat bis zu dieser Stunde von den Gedanken
des Mittelalters nicht gelassen, kann das auch heutzutage infolge der Unfehl¬
barkeit ihres Hauptes weniger denn je. Die eifrigsten Vertreter der katholischen
Kirche erkennen das auch an. Bischof Dnpanloup von Orleans, der anfangs
ebenso wie die sämtlichen deutschen Bischöfe und Erzbischöfe gegen das Dogma
der Unfehlbarkeit war, schrieb vor dem Zusammentreten des vatikanischen Konzils
im August 1869 in seiner Warnung: „Man ^die Regierungen^ wird sich dann
swenn der Papst für unfehlbar erklärt wird) der Behauptungen erinnern, welche
in frühern Bullen aufgestellt worden sind. Erklärt nicht z. B. Bonifacius VIII.
in der Bulle Ilug-rü 8ime,ta,in, daß es zwei Schwerter gebe, das geistliche und
das weltliche, daß auch das weltliche Petrus angehöre, und daß der Nachfolger
des Petrus das Recht habe, die weltlichen Fürsten einzusetzen und zu verurteilen
(xotssws «xiritug-lis törroug-in xotsstatsui institusrs Kabst et Mäivars). Und
in der Bulle ^.usoultg. litt fordert er den König von Frankreich auf, alle Erz¬
bischöfe, Bischöfe und Äbte :c. nach Rom zu schicken, um dort zu beraten, was
zur guten Regierung des französischen Königreiches nötig erscheinen würde. Und
selbst nachdem durch den Protestantismus der Zustand Europas so gewaltig
verändert war, hat nicht Paul IV. in der bekannten Bulle gegen Heinrich VIII.
alle Unterthanen des Königs von England ihres Eides entbunden, bot er nicht
England jedem an, der es erobern wollte, indem er dem Eroberer alle beweg¬
lichen und unbeweglichen Güter der von der Kirche abgefallenen Engländer
schenkte? . . . Schließlich werden sich die Souveräne, und zwar auch die katho¬
lischen, fragen, ob denn die päpstliche Unfehlbarkeit für die Zukunft solche Bullen
unmöglich machen wird? Wer wird einen neuen Papst hindern, das als
Glaubenssatz festzustellen, was mehrere seiner Vorgänger gelehrt haben, daß der
Statthalter Christi eine unmittelbare Gewalt auch über die weltliche Herrschaft
der Fürsten habe, daß es zu seinen Befugnissen gehöre, die Fürsten einzusetzen
und abzusetzen, und daß die bürgerlichen Rechte der Könige und der Völker
von ihm abhängig seien? Nach der Verkündigung des neuen Glaubenssatzes wird
keine Geistlichkeit, kein Bischof, kein Katholik diese den Regierungen so verhaßte


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[0066] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche. lebt, aber der Seele zu dienen hat, auch im Notfalle vernichtet werden muß, damit die Seele gerettet werde. Wo es not thut, verliert jede irdische Gewalt gegenüber der Kirche ihr Recht, und wenn es das Heil der Seele erfordert, können auch Fürsten entsetzt, ja selbst am Leben gestraft werden. Auch die Doktrin der Volkssouveränität stammt im Zusammenhange mit diesem System von den Jesuiten: „Der König kann durch das Gemeinwesen seiner Würde entkleidet werden wegen tyrannischer Herrschaft, und wenn er seiner Pflicht nicht nach¬ kommt und irgend eine (andre) gerechte Ursache vorhanden ist; und es kann ein andrer von der Majorität des Volkes erwählt werden" L.sx xotest xsr röiuxuolioaiu xrivari ol> t^rg.ulu'äiziu, et si non kg-eiat ollioiuru suura, se (um, est g-liciug. ^uftg. causs,, se vu^i xotvst Mus g. in^ors xarts xoxuli. Die katholische Kirche hat bis zu dieser Stunde von den Gedanken des Mittelalters nicht gelassen, kann das auch heutzutage infolge der Unfehl¬ barkeit ihres Hauptes weniger denn je. Die eifrigsten Vertreter der katholischen Kirche erkennen das auch an. Bischof Dnpanloup von Orleans, der anfangs ebenso wie die sämtlichen deutschen Bischöfe und Erzbischöfe gegen das Dogma der Unfehlbarkeit war, schrieb vor dem Zusammentreten des vatikanischen Konzils im August 1869 in seiner Warnung: „Man ^die Regierungen^ wird sich dann swenn der Papst für unfehlbar erklärt wird) der Behauptungen erinnern, welche in frühern Bullen aufgestellt worden sind. Erklärt nicht z. B. Bonifacius VIII. in der Bulle Ilug-rü 8ime,ta,in, daß es zwei Schwerter gebe, das geistliche und das weltliche, daß auch das weltliche Petrus angehöre, und daß der Nachfolger des Petrus das Recht habe, die weltlichen Fürsten einzusetzen und zu verurteilen (xotssws «xiritug-lis törroug-in xotsstatsui institusrs Kabst et Mäivars). Und in der Bulle ^.usoultg. litt fordert er den König von Frankreich auf, alle Erz¬ bischöfe, Bischöfe und Äbte :c. nach Rom zu schicken, um dort zu beraten, was zur guten Regierung des französischen Königreiches nötig erscheinen würde. Und selbst nachdem durch den Protestantismus der Zustand Europas so gewaltig verändert war, hat nicht Paul IV. in der bekannten Bulle gegen Heinrich VIII. alle Unterthanen des Königs von England ihres Eides entbunden, bot er nicht England jedem an, der es erobern wollte, indem er dem Eroberer alle beweg¬ lichen und unbeweglichen Güter der von der Kirche abgefallenen Engländer schenkte? . . . Schließlich werden sich die Souveräne, und zwar auch die katho¬ lischen, fragen, ob denn die päpstliche Unfehlbarkeit für die Zukunft solche Bullen unmöglich machen wird? Wer wird einen neuen Papst hindern, das als Glaubenssatz festzustellen, was mehrere seiner Vorgänger gelehrt haben, daß der Statthalter Christi eine unmittelbare Gewalt auch über die weltliche Herrschaft der Fürsten habe, daß es zu seinen Befugnissen gehöre, die Fürsten einzusetzen und abzusetzen, und daß die bürgerlichen Rechte der Könige und der Völker von ihm abhängig seien? Nach der Verkündigung des neuen Glaubenssatzes wird keine Geistlichkeit, kein Bischof, kein Katholik diese den Regierungen so verhaßte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/66>, abgerufen am 28.09.2024.