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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

unter welchem Namen die Protestanten zu allererst zu verstehen sind; zufolge
dieses Rechtes wird die Parität der protestantischen und der katholischen Kirche
für die größte Beleidigung der letztern und für eine gotteslästerliche Lehre er¬
klärt, nicht bloß von Pius IX., sondern auch von dem "Friedenspapste" Leo,
und zufolge dieses Rechtes ist die Gewissensfreiheit ein Angriff auf das Vor¬
recht der Wahrheit, in deren alleinigen Besitz die katholische Kirche ist. Als In¬
haber der Wahrheit hat die Klerisei auch ein Recht auf alle andern Vorrechte,
die sie seit Konstantin zu beanspruchen nicht aufgehört hat, vor allem auf Be¬
freiung von den bürgerlichen Lasten, z. B. von den Steuern auf Gut und Blut.
Wenn die Vertreter der klerikalen Partei heutzutage die Befreiung vom Militär¬
dienste für die Kleriker verlangen, so thun sie das auf Grund des alten Rechtes
der Freiheit von bürgerlichen Lasten, die nur für die <zg.ma,Is8, die Fleischlichen,
sind; die Priester sind überhaupt nach den psendoisidorischen Dekretalen die
Augäpfel Gottes, und wer sich an einem Priester versündigt, der begeht ein
Sakrilegium.

Das ist das göttliche Recht dieser Kirche, und um es zu verwirklichen,
dazu bedarf sie der Freiheit und Selbständigkeit gegenüber dem Staate. Und
darum kämpft sie mit allen Mitteln für den aufgehobenen fünfzehnten Paragraphen
der preußischen Verfassung, der ihr nur allzu lange diese Freiheit und Selb¬
ständigkeit, nach ihrer Auslegung wenigstens, gewährte, weshalb sie auch dessen
Aufnahme in die Reichsverfassung verlangte. Mit der Ablehnung dieses Ver¬
langens begann der Klerus seinen Kampf gegen den Staat. Bei der Menge
von Doktrinären, die wir in Deutschland trotz unsrer mit Blut geschriebnen Ge¬
schichte haben, wissen die Wortführer der katholischen Kirche diese Worte von
Recht und Freiheit und Selbständigkeit so schön zu gebrauchen, daß sie alle die
damit kirren, denen die Folge ihres Systems auch dann noch über alles geht,
wenn sie sehen müssen, daß sie damit weiter nichts thun, als daß sie die Herr¬
schaftsziele eines Freiheitsfeindes fördern, der nie Erbarmen gekannt hat und
dessen Rechtsforderungen, was Deutschland angeht, nur den einen Zweck haben,
"das katholische Glaubensbekenntnis als das einzig berechtigte und das deutsche
Kaiserreich als ein Lehen des Papstes zu dekretiren." Da aber doch, wie die
Wahlen vom 21. Februar gezeigt haben, die nationalen Parteien bei uns noch
die Übermacht haben, so tröstet man sich mit der Zukunft, und wenn man auch
uicht geradezu wie Aleander einst zur Zeit des Wormser Reichstages droht,
daß Rom die dummen Deutschen, wenn sie von ihm los sein wollten, so gegen
einander Hetzen werde, daß sie im eignen Blute erstickten, so lebt man doch des
Glaubens, den das "Regensburger Morgenblatt" neulich kundgab, wenn es
sagte: "Wir Katholiken können unmöglich an die Kraft und Dauer des lutherisch¬
preußischen Kaiserreichs glauben, welches ja außerhalb der glorreichen Urgeschichte
unsers Volkes und in einem Lande ist, das von dem eigentlichen Deutschland
völlig verschieden ist, weil es ursprünglich gar kein deutsches Land gewesen und


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

unter welchem Namen die Protestanten zu allererst zu verstehen sind; zufolge
dieses Rechtes wird die Parität der protestantischen und der katholischen Kirche
für die größte Beleidigung der letztern und für eine gotteslästerliche Lehre er¬
klärt, nicht bloß von Pius IX., sondern auch von dem „Friedenspapste" Leo,
und zufolge dieses Rechtes ist die Gewissensfreiheit ein Angriff auf das Vor¬
recht der Wahrheit, in deren alleinigen Besitz die katholische Kirche ist. Als In¬
haber der Wahrheit hat die Klerisei auch ein Recht auf alle andern Vorrechte,
die sie seit Konstantin zu beanspruchen nicht aufgehört hat, vor allem auf Be¬
freiung von den bürgerlichen Lasten, z. B. von den Steuern auf Gut und Blut.
Wenn die Vertreter der klerikalen Partei heutzutage die Befreiung vom Militär¬
dienste für die Kleriker verlangen, so thun sie das auf Grund des alten Rechtes
der Freiheit von bürgerlichen Lasten, die nur für die <zg.ma,Is8, die Fleischlichen,
sind; die Priester sind überhaupt nach den psendoisidorischen Dekretalen die
Augäpfel Gottes, und wer sich an einem Priester versündigt, der begeht ein
Sakrilegium.

Das ist das göttliche Recht dieser Kirche, und um es zu verwirklichen,
dazu bedarf sie der Freiheit und Selbständigkeit gegenüber dem Staate. Und
darum kämpft sie mit allen Mitteln für den aufgehobenen fünfzehnten Paragraphen
der preußischen Verfassung, der ihr nur allzu lange diese Freiheit und Selb¬
ständigkeit, nach ihrer Auslegung wenigstens, gewährte, weshalb sie auch dessen
Aufnahme in die Reichsverfassung verlangte. Mit der Ablehnung dieses Ver¬
langens begann der Klerus seinen Kampf gegen den Staat. Bei der Menge
von Doktrinären, die wir in Deutschland trotz unsrer mit Blut geschriebnen Ge¬
schichte haben, wissen die Wortführer der katholischen Kirche diese Worte von
Recht und Freiheit und Selbständigkeit so schön zu gebrauchen, daß sie alle die
damit kirren, denen die Folge ihres Systems auch dann noch über alles geht,
wenn sie sehen müssen, daß sie damit weiter nichts thun, als daß sie die Herr¬
schaftsziele eines Freiheitsfeindes fördern, der nie Erbarmen gekannt hat und
dessen Rechtsforderungen, was Deutschland angeht, nur den einen Zweck haben,
„das katholische Glaubensbekenntnis als das einzig berechtigte und das deutsche
Kaiserreich als ein Lehen des Papstes zu dekretiren." Da aber doch, wie die
Wahlen vom 21. Februar gezeigt haben, die nationalen Parteien bei uns noch
die Übermacht haben, so tröstet man sich mit der Zukunft, und wenn man auch
uicht geradezu wie Aleander einst zur Zeit des Wormser Reichstages droht,
daß Rom die dummen Deutschen, wenn sie von ihm los sein wollten, so gegen
einander Hetzen werde, daß sie im eignen Blute erstickten, so lebt man doch des
Glaubens, den das „Regensburger Morgenblatt" neulich kundgab, wenn es
sagte: „Wir Katholiken können unmöglich an die Kraft und Dauer des lutherisch¬
preußischen Kaiserreichs glauben, welches ja außerhalb der glorreichen Urgeschichte
unsers Volkes und in einem Lande ist, das von dem eigentlichen Deutschland
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/68>, abgerufen am 27.06.2024.