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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Ideen von ^789.

andre giebt ihm dafür sein Geld. Hierin liegt keine Unterordnung, sondern ein
beständiger Tausch. Die wahre Rangordnung ist die zwischen den Abstufungen
der Regierenden; die Rangordnung der Regierten unter einander ist unwahr,
unnütz, hassenswert und ein abscheulicher Überrest aus den Zeiten des Lehns¬
wesens. Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleich, alle sind abhängig, nicht
einer von dem andern (das wäre eine unnütze Sklaverei), sondern von der
Macht, die sie beschützt, richtet, verteidigt. Die Bevorrechteten, als Anhänger
der falschen Rangordnung, möchten diese gern auf den Trümmern der wahren
erbauen. Man höre einmal, in welchem Tone sie von den bürgerlichen Be¬
amten sprechen! Giebt es einen einzigen Bevorrechteten, der sich der Aussicht
der Polizei untergeordnet glaubt? Der Kampf gegen alles Vorrecht und
Sonderrecht ist die eigentliche Leidenschaft der Revolution. Alle Sonder¬
rechte der Stände, Provinzen, Gemeinden stehen im Widerspruche mit der
Gleichheit im einheitlichen Staate; sie müssen verschwinden. Besondern Haß
aber widmet das bürgerliche Selbstgefühl, das, weil es nur nach oben blickt,
als Gleichheitsgefühl auftritt, alleu Vorrechte", vermöge deren ein Mensch
etwas vor dem andern voraus hat dnrch Rechte, deren Erweiterung nicht jedem
gleichmäßig freisteht. Wenn das an sich Widersinnige eine Abstufung zuläßt,
so sind die widersinnigsten unter den Vorrechten die erblichen. Die Vernunft
erniedrigt sich nicht zum Beweis einer so einleuchtenden Wahrheit, setzt Sieyes
hinzu. Um die Energie des Kampfes zu steigern, wurde überdies noch be¬
hauptet und nachzuweisen gesucht, daß dem Genuß der Vorrechte in Frankreich
nirgends Verpflichtungen und Leistungen entsprächen. "Die Stellen in der
Kirche, in den Gerichtshöfen, in der Armee scheinen den Bevorrechteten nicht
um deswillen da zu sein, um mit Talent und Thätigkeit verwaltet zu werden,
sondern nur um den bevorrechteten Familien ein anständiges Auskommen zu
sichern." Beim Militär, bei der Rechtspflege und Verwaltung wird der dritte
Stand mit allem belastet, was wirklich beschwerlich ist, mit allen Diensten,
welche zu versehen der bevorrechtete Stand sich weigert; die einträglichen und
ehrenvollen Stellen sind ausschließlich von Gliedern des bevorrechteten Standes
besetzt. Diese Ausschließung ist eine Feindseligkeit gegen den dritten Stand und
zugleich ein gesellschaftliches Verbrechen. Sie ist gemeinschädlich. Weiß man
nicht, daß jede Arbeit, von welcher man den freien Wettbewerb entfernt, viel
teurer und schlechter gemacht wird? Sobald die Negierung das Erbteil einer
besondern Klasse wird, dehnt sie sich bald über alle Maßen aus, und die Stellen
werden vermehrt, nicht für das Bedürfnis der Regierten, sondern der Regie¬
renden. Es soll künftig keine Geburtsstände mehr geben, sondern nur noch Be-
rufsklassen. Der Adel als Geburtsstand gehört gar nicht in die gesellschaftliche
Organisation. Wenn man den bevorrechteten Stand wegnähme, so würde die
Nation nicht weniger, sondern mehr sein. Denn was ist der dritte Stand?
Alles, aber ein gehindertes, unterdrücktes Alles. Was würde er ohne den be-


Die Ideen von ^789.

andre giebt ihm dafür sein Geld. Hierin liegt keine Unterordnung, sondern ein
beständiger Tausch. Die wahre Rangordnung ist die zwischen den Abstufungen
der Regierenden; die Rangordnung der Regierten unter einander ist unwahr,
unnütz, hassenswert und ein abscheulicher Überrest aus den Zeiten des Lehns¬
wesens. Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleich, alle sind abhängig, nicht
einer von dem andern (das wäre eine unnütze Sklaverei), sondern von der
Macht, die sie beschützt, richtet, verteidigt. Die Bevorrechteten, als Anhänger
der falschen Rangordnung, möchten diese gern auf den Trümmern der wahren
erbauen. Man höre einmal, in welchem Tone sie von den bürgerlichen Be¬
amten sprechen! Giebt es einen einzigen Bevorrechteten, der sich der Aussicht
der Polizei untergeordnet glaubt? Der Kampf gegen alles Vorrecht und
Sonderrecht ist die eigentliche Leidenschaft der Revolution. Alle Sonder¬
rechte der Stände, Provinzen, Gemeinden stehen im Widerspruche mit der
Gleichheit im einheitlichen Staate; sie müssen verschwinden. Besondern Haß
aber widmet das bürgerliche Selbstgefühl, das, weil es nur nach oben blickt,
als Gleichheitsgefühl auftritt, alleu Vorrechte», vermöge deren ein Mensch
etwas vor dem andern voraus hat dnrch Rechte, deren Erweiterung nicht jedem
gleichmäßig freisteht. Wenn das an sich Widersinnige eine Abstufung zuläßt,
so sind die widersinnigsten unter den Vorrechten die erblichen. Die Vernunft
erniedrigt sich nicht zum Beweis einer so einleuchtenden Wahrheit, setzt Sieyes
hinzu. Um die Energie des Kampfes zu steigern, wurde überdies noch be¬
hauptet und nachzuweisen gesucht, daß dem Genuß der Vorrechte in Frankreich
nirgends Verpflichtungen und Leistungen entsprächen. „Die Stellen in der
Kirche, in den Gerichtshöfen, in der Armee scheinen den Bevorrechteten nicht
um deswillen da zu sein, um mit Talent und Thätigkeit verwaltet zu werden,
sondern nur um den bevorrechteten Familien ein anständiges Auskommen zu
sichern." Beim Militär, bei der Rechtspflege und Verwaltung wird der dritte
Stand mit allem belastet, was wirklich beschwerlich ist, mit allen Diensten,
welche zu versehen der bevorrechtete Stand sich weigert; die einträglichen und
ehrenvollen Stellen sind ausschließlich von Gliedern des bevorrechteten Standes
besetzt. Diese Ausschließung ist eine Feindseligkeit gegen den dritten Stand und
zugleich ein gesellschaftliches Verbrechen. Sie ist gemeinschädlich. Weiß man
nicht, daß jede Arbeit, von welcher man den freien Wettbewerb entfernt, viel
teurer und schlechter gemacht wird? Sobald die Negierung das Erbteil einer
besondern Klasse wird, dehnt sie sich bald über alle Maßen aus, und die Stellen
werden vermehrt, nicht für das Bedürfnis der Regierten, sondern der Regie¬
renden. Es soll künftig keine Geburtsstände mehr geben, sondern nur noch Be-
rufsklassen. Der Adel als Geburtsstand gehört gar nicht in die gesellschaftliche
Organisation. Wenn man den bevorrechteten Stand wegnähme, so würde die
Nation nicht weniger, sondern mehr sein. Denn was ist der dritte Stand?
Alles, aber ein gehindertes, unterdrücktes Alles. Was würde er ohne den be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/636>, abgerufen am 28.09.2024.