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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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der Verfasser des OvntiÄt sovig,! sich mit der Wendung hinweggesetzt, die (reine)
Demokratie sei ein vielleicht nur den Göttern angemessener Zustand. Die
Männer der Konstituante blieben sich bewußt, daß sie für Menschen eine Ver¬
fassung und Gesetze zu geben hatte", sie änderten also von den Folgerungen der
Rousseauschen Grundsätze diejenigen ab, welche mit der Macht der Thatsachen in
allzu grellem Widerspruche standen. Diese Art von Umgestaltung der naturrecht-
lichen, von Rousseau ergänzten und mit einer Art von logischem Fanatismus
auf die Spitze getriebenen Lehren ergiebt die "Ideen von 1789," wie sie in
den Sieyesschen Schriften und parlamentarischen Auslassungen ihren klassischen
Ausdruck gefunden haben. Das Verdienst klassischer Formulirung wurde von
Mirabeau anerkannt, indem er den Abbe Sieyes mit dem unter Parlamentariern
besonders köstlichen Komplimente begrüßte: I/llomins aoud Is Silsileh est uns
(Allunits xuollque. Wer aber immer die Form liefern mochte, die Grund¬
voraussetzung der Denkweise von 1789 ist immer der Glaube an die Möglich¬
keit, ja an die logische Notwendigkeit, aus reinen Verstandesgründen eine dauer¬
hafte Staatsverfassung zu konstruiren.

Sehen wir näher zu, wie sich im einzelnen das Unternehmen gestaltete.
Vergessen wir nicht, daß der eigentliche Beweggrund aller dieser staatsrechtlichen
Konstruktionen in der Aufgabe lag, die Herrschaft des dritten Standes zu be¬
gründen. Da waren denn Rousseau gegenüber gleich von vornherein einige
Vorbehalte geboten. "Als Rousseau schrieb, sagte man, war es sehr richtig und
verdienstvoll, die Volkssouveränität zu verlangen. Er hat es mit vielem Er¬
folge gethan. Indes, um den Zweck zu erreichen, mußte er etwas über das
Ziel hinausgehen; daher kommt es denn, daß der große Haufe sich überspannte
Begriffe von seiner Souveränität macht." Es hat, wie man sieht, von vorn¬
herein nicht an dem deutlichen Gefühle gemangelt, daß das Interesse der Bour¬
geoisie eine Ermäßigung erheischte für die äußersten Folgerungen des vvlks-
souveränen Demokratismus. Die vornehmste Ermäßigung lag in der Ausübung
der verfassunggebenden Gewalt durch erwählte Vertreter. Zugleich wies aber
die, in der Sprache einer spätern Zeit zu reden, liberale Theorie ganz energisch
die demokratische Lehre Rousseaus zurück, daß das Volk als Masse und als
Ganzes der Souverän, das einzelne Mitglied der Staatsgemeinschaft nur dessen
Werkzeug sei. Die Meinung der Bourgeoisie ging dahin, Staat und Gesellschaft
sei um des Menschen willen da, der Endzweck des Gesellschaftsvertrages liege im
Individuum. Die Individuen sind zusammengetreten, um eine Staatsgemein¬
schaft zu bilden. Was wird zur Erhaltung und Wohlfahrt derselben erfordert?
Private Arbeit und öffentliche Dienstgeschäfte. Volkswirtschaft und die öffent¬
lichen Pflichtleistungen des Richters, Kriegers und Verwaltungsbeamten, das ist
alles, was eine staatlich verbundene Gesellschaft braucht, was zusammen das
Leben der Gesellschaft ausmacht. Alle Beziehungen von Bürger zu Bürger,
sagt Sieyes, sind frei. Der eine giebt seine Zeit und seine Waare hin, der


der Verfasser des OvntiÄt sovig,! sich mit der Wendung hinweggesetzt, die (reine)
Demokratie sei ein vielleicht nur den Göttern angemessener Zustand. Die
Männer der Konstituante blieben sich bewußt, daß sie für Menschen eine Ver¬
fassung und Gesetze zu geben hatte», sie änderten also von den Folgerungen der
Rousseauschen Grundsätze diejenigen ab, welche mit der Macht der Thatsachen in
allzu grellem Widerspruche standen. Diese Art von Umgestaltung der naturrecht-
lichen, von Rousseau ergänzten und mit einer Art von logischem Fanatismus
auf die Spitze getriebenen Lehren ergiebt die „Ideen von 1789," wie sie in
den Sieyesschen Schriften und parlamentarischen Auslassungen ihren klassischen
Ausdruck gefunden haben. Das Verdienst klassischer Formulirung wurde von
Mirabeau anerkannt, indem er den Abbe Sieyes mit dem unter Parlamentariern
besonders köstlichen Komplimente begrüßte: I/llomins aoud Is Silsileh est uns
(Allunits xuollque. Wer aber immer die Form liefern mochte, die Grund¬
voraussetzung der Denkweise von 1789 ist immer der Glaube an die Möglich¬
keit, ja an die logische Notwendigkeit, aus reinen Verstandesgründen eine dauer¬
hafte Staatsverfassung zu konstruiren.

Sehen wir näher zu, wie sich im einzelnen das Unternehmen gestaltete.
Vergessen wir nicht, daß der eigentliche Beweggrund aller dieser staatsrechtlichen
Konstruktionen in der Aufgabe lag, die Herrschaft des dritten Standes zu be¬
gründen. Da waren denn Rousseau gegenüber gleich von vornherein einige
Vorbehalte geboten. „Als Rousseau schrieb, sagte man, war es sehr richtig und
verdienstvoll, die Volkssouveränität zu verlangen. Er hat es mit vielem Er¬
folge gethan. Indes, um den Zweck zu erreichen, mußte er etwas über das
Ziel hinausgehen; daher kommt es denn, daß der große Haufe sich überspannte
Begriffe von seiner Souveränität macht." Es hat, wie man sieht, von vorn¬
herein nicht an dem deutlichen Gefühle gemangelt, daß das Interesse der Bour¬
geoisie eine Ermäßigung erheischte für die äußersten Folgerungen des vvlks-
souveränen Demokratismus. Die vornehmste Ermäßigung lag in der Ausübung
der verfassunggebenden Gewalt durch erwählte Vertreter. Zugleich wies aber
die, in der Sprache einer spätern Zeit zu reden, liberale Theorie ganz energisch
die demokratische Lehre Rousseaus zurück, daß das Volk als Masse und als
Ganzes der Souverän, das einzelne Mitglied der Staatsgemeinschaft nur dessen
Werkzeug sei. Die Meinung der Bourgeoisie ging dahin, Staat und Gesellschaft
sei um des Menschen willen da, der Endzweck des Gesellschaftsvertrages liege im
Individuum. Die Individuen sind zusammengetreten, um eine Staatsgemein¬
schaft zu bilden. Was wird zur Erhaltung und Wohlfahrt derselben erfordert?
Private Arbeit und öffentliche Dienstgeschäfte. Volkswirtschaft und die öffent¬
lichen Pflichtleistungen des Richters, Kriegers und Verwaltungsbeamten, das ist
alles, was eine staatlich verbundene Gesellschaft braucht, was zusammen das
Leben der Gesellschaft ausmacht. Alle Beziehungen von Bürger zu Bürger,
sagt Sieyes, sind frei. Der eine giebt seine Zeit und seine Waare hin, der


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[0635] der Verfasser des OvntiÄt sovig,! sich mit der Wendung hinweggesetzt, die (reine) Demokratie sei ein vielleicht nur den Göttern angemessener Zustand. Die Männer der Konstituante blieben sich bewußt, daß sie für Menschen eine Ver¬ fassung und Gesetze zu geben hatte», sie änderten also von den Folgerungen der Rousseauschen Grundsätze diejenigen ab, welche mit der Macht der Thatsachen in allzu grellem Widerspruche standen. Diese Art von Umgestaltung der naturrecht- lichen, von Rousseau ergänzten und mit einer Art von logischem Fanatismus auf die Spitze getriebenen Lehren ergiebt die „Ideen von 1789," wie sie in den Sieyesschen Schriften und parlamentarischen Auslassungen ihren klassischen Ausdruck gefunden haben. Das Verdienst klassischer Formulirung wurde von Mirabeau anerkannt, indem er den Abbe Sieyes mit dem unter Parlamentariern besonders köstlichen Komplimente begrüßte: I/llomins aoud Is Silsileh est uns (Allunits xuollque. Wer aber immer die Form liefern mochte, die Grund¬ voraussetzung der Denkweise von 1789 ist immer der Glaube an die Möglich¬ keit, ja an die logische Notwendigkeit, aus reinen Verstandesgründen eine dauer¬ hafte Staatsverfassung zu konstruiren. Sehen wir näher zu, wie sich im einzelnen das Unternehmen gestaltete. Vergessen wir nicht, daß der eigentliche Beweggrund aller dieser staatsrechtlichen Konstruktionen in der Aufgabe lag, die Herrschaft des dritten Standes zu be¬ gründen. Da waren denn Rousseau gegenüber gleich von vornherein einige Vorbehalte geboten. „Als Rousseau schrieb, sagte man, war es sehr richtig und verdienstvoll, die Volkssouveränität zu verlangen. Er hat es mit vielem Er¬ folge gethan. Indes, um den Zweck zu erreichen, mußte er etwas über das Ziel hinausgehen; daher kommt es denn, daß der große Haufe sich überspannte Begriffe von seiner Souveränität macht." Es hat, wie man sieht, von vorn¬ herein nicht an dem deutlichen Gefühle gemangelt, daß das Interesse der Bour¬ geoisie eine Ermäßigung erheischte für die äußersten Folgerungen des vvlks- souveränen Demokratismus. Die vornehmste Ermäßigung lag in der Ausübung der verfassunggebenden Gewalt durch erwählte Vertreter. Zugleich wies aber die, in der Sprache einer spätern Zeit zu reden, liberale Theorie ganz energisch die demokratische Lehre Rousseaus zurück, daß das Volk als Masse und als Ganzes der Souverän, das einzelne Mitglied der Staatsgemeinschaft nur dessen Werkzeug sei. Die Meinung der Bourgeoisie ging dahin, Staat und Gesellschaft sei um des Menschen willen da, der Endzweck des Gesellschaftsvertrages liege im Individuum. Die Individuen sind zusammengetreten, um eine Staatsgemein¬ schaft zu bilden. Was wird zur Erhaltung und Wohlfahrt derselben erfordert? Private Arbeit und öffentliche Dienstgeschäfte. Volkswirtschaft und die öffent¬ lichen Pflichtleistungen des Richters, Kriegers und Verwaltungsbeamten, das ist alles, was eine staatlich verbundene Gesellschaft braucht, was zusammen das Leben der Gesellschaft ausmacht. Alle Beziehungen von Bürger zu Bürger, sagt Sieyes, sind frei. Der eine giebt seine Zeit und seine Waare hin, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/635>, abgerufen am 28.09.2024.