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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Regierungswechsel und der .^rle.de.

seine Beziehungen zum Staatsrechte sich gründe, Erinnerungen an diese Mei¬
nungsverschiedenheit und andre, die sich später zwischen dem preußischen
Thronfolger und dein Kanzler erhoben und sich lange erhielten, würden
sich jetzt wohl in der Brust eines Staatsmannes geregt habe,?, der weniger
pflichttreu und weniger großherzig empfände als Otto von Bismarck. Er aber
war gewohnt, immer ohne Zögern sein Selbst dem Rufe der Pflicht unterzu-
vrdne". Anderseits allerdings ist zu bemerken, daß schon vor Jahren eine Ver¬
ständigung stattgefunden hatte, nach welcher der Kanzler jetzt nicht mehr Gefahr
lief, beim Bleiben am Ruder in Richtungen steuern zu müssen, die er als ge¬
fährlich für das Staatsschiff anzusehen berechtigt war. Aber immerhin ist es
für den alten, kränklichen und müden Staatsmann ein Opfer, wenn er weiter
dient, und wir möchten mit diefer Bemerkung dazu beitragen, daß dies aller¬
seits anerkannt werde.

Daß Kaiser Friedrich es nicht für ein Opfer halten würde, mit dem
Kanzler weiter zu regieren, verstand sich von selbst, sein Erlaß an den
letztern aber läßt eine solche Vorstellung weit unter sich, er beginnt mit warmer,
rückhaltloser Anerkennung seiner Verdienste. Der Fürst ist ihm der "langjährige,
vielbcwührte erste Diener" seines Vaters, dessen "treuer und mutvoller Rat¬
geber," der "den Zielen seiner Politik die Form gegeben und deren erfolgreiche
Durchführung gesichert hat." Er und sein Haus ist und bleibt ihm "zu warmem
Danke verpflichtet." Der Kanzler "hat daher ein Recht, vor allem zu wissen,
welches die Gesichtspunkte sind, die für die nunmehrige Regierung maßgebend
sein sollen." Weiterhin, nach Anführung dieser Gesichtspunkte, rechnet der
Kaiser zur Verwirklichung seiner Absichten ans die "so oft bewiesene Hingebung"
des Kanzlers und auf die Unterstützung seiner "bewährten Erfahrung," wobei
wir wohl noch die Worte "seiner genialen Voraussicht" oder ähnliches zwischen
den Zeiten lesen dürfen. Die einzelnen Sätze des Regiernngsprogramms,
welches der Erlaß aufstellt, widersprechen in keinem Punkte auch nur andeutend
dem bisher befolgten. Wir entnehmen ihnen aber nur das, was davon unter
die Überschrift unsrer Betrachtung fällt. Es soll Friede im Innern herrschen,
und "es sind daher alle Erschütterungen zu vermeiden, welche häufiger Wechsel
der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Die Forderung der Aufgaben
der Reichsregierung muß die festen Grundlagen unberührt lassen, auf denen
bisher der preußische Staat sicher geruht hat." Der Kaiser will ferner den
Frieden auf religiösem und auf sozialem Gebiete, er bekennt sich zu dem Grund¬
satze der Duldung und des Schutzes aller Bekenntnisse, den sein Haus stets
heilig gehalten habe, und er wird gleich seinem Vater "warm alle Bestrebungen
unterstützen, welche geeignet sind, das wirtschaftliche Gedeihen der verschiednen
Gesellschaftsklassen zu heben, widerstreitende Interessen derselben zu versöhnen
und unvermeidliche Mißstände nach Kräften zu mildern." Der Erlaß schließt
Mit einer Hoffnung und einer Versicherung friedlichsten Inhalts: "Möge es mir


Der Regierungswechsel und der .^rle.de.

seine Beziehungen zum Staatsrechte sich gründe, Erinnerungen an diese Mei¬
nungsverschiedenheit und andre, die sich später zwischen dem preußischen
Thronfolger und dein Kanzler erhoben und sich lange erhielten, würden
sich jetzt wohl in der Brust eines Staatsmannes geregt habe,?, der weniger
pflichttreu und weniger großherzig empfände als Otto von Bismarck. Er aber
war gewohnt, immer ohne Zögern sein Selbst dem Rufe der Pflicht unterzu-
vrdne». Anderseits allerdings ist zu bemerken, daß schon vor Jahren eine Ver¬
ständigung stattgefunden hatte, nach welcher der Kanzler jetzt nicht mehr Gefahr
lief, beim Bleiben am Ruder in Richtungen steuern zu müssen, die er als ge¬
fährlich für das Staatsschiff anzusehen berechtigt war. Aber immerhin ist es
für den alten, kränklichen und müden Staatsmann ein Opfer, wenn er weiter
dient, und wir möchten mit diefer Bemerkung dazu beitragen, daß dies aller¬
seits anerkannt werde.

Daß Kaiser Friedrich es nicht für ein Opfer halten würde, mit dem
Kanzler weiter zu regieren, verstand sich von selbst, sein Erlaß an den
letztern aber läßt eine solche Vorstellung weit unter sich, er beginnt mit warmer,
rückhaltloser Anerkennung seiner Verdienste. Der Fürst ist ihm der „langjährige,
vielbcwührte erste Diener" seines Vaters, dessen „treuer und mutvoller Rat¬
geber," der „den Zielen seiner Politik die Form gegeben und deren erfolgreiche
Durchführung gesichert hat." Er und sein Haus ist und bleibt ihm „zu warmem
Danke verpflichtet." Der Kanzler „hat daher ein Recht, vor allem zu wissen,
welches die Gesichtspunkte sind, die für die nunmehrige Regierung maßgebend
sein sollen." Weiterhin, nach Anführung dieser Gesichtspunkte, rechnet der
Kaiser zur Verwirklichung seiner Absichten ans die „so oft bewiesene Hingebung"
des Kanzlers und auf die Unterstützung seiner „bewährten Erfahrung," wobei
wir wohl noch die Worte „seiner genialen Voraussicht" oder ähnliches zwischen
den Zeiten lesen dürfen. Die einzelnen Sätze des Regiernngsprogramms,
welches der Erlaß aufstellt, widersprechen in keinem Punkte auch nur andeutend
dem bisher befolgten. Wir entnehmen ihnen aber nur das, was davon unter
die Überschrift unsrer Betrachtung fällt. Es soll Friede im Innern herrschen,
und „es sind daher alle Erschütterungen zu vermeiden, welche häufiger Wechsel
der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Die Forderung der Aufgaben
der Reichsregierung muß die festen Grundlagen unberührt lassen, auf denen
bisher der preußische Staat sicher geruht hat." Der Kaiser will ferner den
Frieden auf religiösem und auf sozialem Gebiete, er bekennt sich zu dem Grund¬
satze der Duldung und des Schutzes aller Bekenntnisse, den sein Haus stets
heilig gehalten habe, und er wird gleich seinem Vater „warm alle Bestrebungen
unterstützen, welche geeignet sind, das wirtschaftliche Gedeihen der verschiednen
Gesellschaftsklassen zu heben, widerstreitende Interessen derselben zu versöhnen
und unvermeidliche Mißstände nach Kräften zu mildern." Der Erlaß schließt
Mit einer Hoffnung und einer Versicherung friedlichsten Inhalts: „Möge es mir


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[0627] Der Regierungswechsel und der .^rle.de. seine Beziehungen zum Staatsrechte sich gründe, Erinnerungen an diese Mei¬ nungsverschiedenheit und andre, die sich später zwischen dem preußischen Thronfolger und dein Kanzler erhoben und sich lange erhielten, würden sich jetzt wohl in der Brust eines Staatsmannes geregt habe,?, der weniger pflichttreu und weniger großherzig empfände als Otto von Bismarck. Er aber war gewohnt, immer ohne Zögern sein Selbst dem Rufe der Pflicht unterzu- vrdne». Anderseits allerdings ist zu bemerken, daß schon vor Jahren eine Ver¬ ständigung stattgefunden hatte, nach welcher der Kanzler jetzt nicht mehr Gefahr lief, beim Bleiben am Ruder in Richtungen steuern zu müssen, die er als ge¬ fährlich für das Staatsschiff anzusehen berechtigt war. Aber immerhin ist es für den alten, kränklichen und müden Staatsmann ein Opfer, wenn er weiter dient, und wir möchten mit diefer Bemerkung dazu beitragen, daß dies aller¬ seits anerkannt werde. Daß Kaiser Friedrich es nicht für ein Opfer halten würde, mit dem Kanzler weiter zu regieren, verstand sich von selbst, sein Erlaß an den letztern aber läßt eine solche Vorstellung weit unter sich, er beginnt mit warmer, rückhaltloser Anerkennung seiner Verdienste. Der Fürst ist ihm der „langjährige, vielbcwührte erste Diener" seines Vaters, dessen „treuer und mutvoller Rat¬ geber," der „den Zielen seiner Politik die Form gegeben und deren erfolgreiche Durchführung gesichert hat." Er und sein Haus ist und bleibt ihm „zu warmem Danke verpflichtet." Der Kanzler „hat daher ein Recht, vor allem zu wissen, welches die Gesichtspunkte sind, die für die nunmehrige Regierung maßgebend sein sollen." Weiterhin, nach Anführung dieser Gesichtspunkte, rechnet der Kaiser zur Verwirklichung seiner Absichten ans die „so oft bewiesene Hingebung" des Kanzlers und auf die Unterstützung seiner „bewährten Erfahrung," wobei wir wohl noch die Worte „seiner genialen Voraussicht" oder ähnliches zwischen den Zeiten lesen dürfen. Die einzelnen Sätze des Regiernngsprogramms, welches der Erlaß aufstellt, widersprechen in keinem Punkte auch nur andeutend dem bisher befolgten. Wir entnehmen ihnen aber nur das, was davon unter die Überschrift unsrer Betrachtung fällt. Es soll Friede im Innern herrschen, und „es sind daher alle Erschütterungen zu vermeiden, welche häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Die Forderung der Aufgaben der Reichsregierung muß die festen Grundlagen unberührt lassen, auf denen bisher der preußische Staat sicher geruht hat." Der Kaiser will ferner den Frieden auf religiösem und auf sozialem Gebiete, er bekennt sich zu dem Grund¬ satze der Duldung und des Schutzes aller Bekenntnisse, den sein Haus stets heilig gehalten habe, und er wird gleich seinem Vater „warm alle Bestrebungen unterstützen, welche geeignet sind, das wirtschaftliche Gedeihen der verschiednen Gesellschaftsklassen zu heben, widerstreitende Interessen derselben zu versöhnen und unvermeidliche Mißstände nach Kräften zu mildern." Der Erlaß schließt Mit einer Hoffnung und einer Versicherung friedlichsten Inhalts: „Möge es mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/627>, abgerufen am 21.10.2024.