Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gewiß nicht dem Gedanken entsprungen, sich Friedrich dein Großen an die Seite zu
stellen, und vielleicht nicht bloß dem Willen, ein friedlicher Herrscher zu sein, sondern
auch der Vorahnung, es sein zu können, und zwar sowohl im Innern Preußens
und des Reiches, als in Beziehung zu den Nachbarn. Die beiden Kundgebungen
des Kaisers Friedrich vom 12. März zerstreuen Befürchtungen von Freunden des
bisher befolgten Systems, die den maßgebenden Kreisen fernstehen, und bestätigen
Erwartungen besser unterrichteter in erfreulichster Weise. Es wird kein Bruch
mit diesem Systeme, keine Trennung von dem Hauptträger desselben stattfinden.

Fürst von Bismarck vollendet in einigen Tagen sein dreiundsiebzigstes
Lebensjahr, und man kann sagen, er habe in dem letzten Vierteljahrhundert
soviel gelebt, als vier Durchschnittsmenschen seines Alters, so viel hat er in
dieser Zeit geleistet nud gelitten. Seit 1862 trägt er vie Verantwortlich¬
keit für die Regierung, erst in seinem engern, dann in seinem weitern Vater¬
lande. Preußen dankt ihm vor allem seine Vergrößerung, Deutschland seiue
Einheit, vielleicht die Fortdauer seiner Existenz gegenüber bösen Nachbarn.
Wiederholt wurde ihm das Leben und die Arbeit an seinem Werke durch hö¬
fische Ränke und durch Angriffe von selten der Parteien, der Konservativen
nicht minder wie der Liberalen, arg verbittert. Häufig suchte ihn Krankheit
heim, und dabei lasteten Arbeiten auf ihm, zu deren Bewältigung Riesenkraft
erforderlich war. Er besaß zuletzt Gut und Ehre genug, um sich befriedigt zu
fühlen. Er hatte seine Pflicht mehr als reichlich erfüllt. Er war müde vom
Schaffen und Kämpfen und durfte sich Muße gönnen. Sein hoher Sinn aber,
sein Patriotismus und sein heroisches Pflichtgefühl gestatteten ihm nicht, die
Gelegenheit, die sich ihm mit dem Ableben Kaiser Wilhelms bot, zum Auf¬
geben seiner schweren und oft wenig dankbaren Amtsthätigkeit zu benutzen und
fortan der Entwicklung der Dinge nur aus der Ferne zuzusehen. Sobald der
Sohn seines verewigten Herrn lind Freundes zur Herrschaft gelangte, beeilte er
sich, ihm dieselben selbstlosen Dienste zu leisten, die er dem Vater mehr als
drittehalb Jahrzehnte geleistet hatte. Hätte er sich statt dessen, seinem lange
gehegten Wunsche folgend, in die Ruhe des Landlebens zurückgezogen, um da
für den Rest seiner Tage zu verbleiben, so würden wenige es ihm verdacht
haben, zumal da er jetzt Diener eines Fürsten wurde, der in frühern Tagen
bei mehr als einer Gelegenheit offen seine Politik gemißbilligt hatte. Er durfte
sich erinnern, daß der Kronprinz Friedrich Wilhelm in der ersten Zeit seiner
Verwaltung der Staatsgeschäfte, als er mit Energie die Reaktion gegen die revo¬
lutionäre Demokratie leitete, in aller Form Verwahrung gegen seine Ma߬
regelung der frechen Presse einlegte und ihm mit dem Ersuchen, den Brief seinen
ministeriellen Kollegen mitzuteilen, schrieb, er betrachte das Verfahren des Ka-
binets als ungesetzlich und schädlich für den Staat und die Dynastie, er er¬
kläre, daß die Maßregel gegen seinen Wunsch und selbst ohne fein Wissen er¬
griffen worden sei, und Protestire gegen jeden Schluß, der möglicherweise auf


gewiß nicht dem Gedanken entsprungen, sich Friedrich dein Großen an die Seite zu
stellen, und vielleicht nicht bloß dem Willen, ein friedlicher Herrscher zu sein, sondern
auch der Vorahnung, es sein zu können, und zwar sowohl im Innern Preußens
und des Reiches, als in Beziehung zu den Nachbarn. Die beiden Kundgebungen
des Kaisers Friedrich vom 12. März zerstreuen Befürchtungen von Freunden des
bisher befolgten Systems, die den maßgebenden Kreisen fernstehen, und bestätigen
Erwartungen besser unterrichteter in erfreulichster Weise. Es wird kein Bruch
mit diesem Systeme, keine Trennung von dem Hauptträger desselben stattfinden.

Fürst von Bismarck vollendet in einigen Tagen sein dreiundsiebzigstes
Lebensjahr, und man kann sagen, er habe in dem letzten Vierteljahrhundert
soviel gelebt, als vier Durchschnittsmenschen seines Alters, so viel hat er in
dieser Zeit geleistet nud gelitten. Seit 1862 trägt er vie Verantwortlich¬
keit für die Regierung, erst in seinem engern, dann in seinem weitern Vater¬
lande. Preußen dankt ihm vor allem seine Vergrößerung, Deutschland seiue
Einheit, vielleicht die Fortdauer seiner Existenz gegenüber bösen Nachbarn.
Wiederholt wurde ihm das Leben und die Arbeit an seinem Werke durch hö¬
fische Ränke und durch Angriffe von selten der Parteien, der Konservativen
nicht minder wie der Liberalen, arg verbittert. Häufig suchte ihn Krankheit
heim, und dabei lasteten Arbeiten auf ihm, zu deren Bewältigung Riesenkraft
erforderlich war. Er besaß zuletzt Gut und Ehre genug, um sich befriedigt zu
fühlen. Er hatte seine Pflicht mehr als reichlich erfüllt. Er war müde vom
Schaffen und Kämpfen und durfte sich Muße gönnen. Sein hoher Sinn aber,
sein Patriotismus und sein heroisches Pflichtgefühl gestatteten ihm nicht, die
Gelegenheit, die sich ihm mit dem Ableben Kaiser Wilhelms bot, zum Auf¬
geben seiner schweren und oft wenig dankbaren Amtsthätigkeit zu benutzen und
fortan der Entwicklung der Dinge nur aus der Ferne zuzusehen. Sobald der
Sohn seines verewigten Herrn lind Freundes zur Herrschaft gelangte, beeilte er
sich, ihm dieselben selbstlosen Dienste zu leisten, die er dem Vater mehr als
drittehalb Jahrzehnte geleistet hatte. Hätte er sich statt dessen, seinem lange
gehegten Wunsche folgend, in die Ruhe des Landlebens zurückgezogen, um da
für den Rest seiner Tage zu verbleiben, so würden wenige es ihm verdacht
haben, zumal da er jetzt Diener eines Fürsten wurde, der in frühern Tagen
bei mehr als einer Gelegenheit offen seine Politik gemißbilligt hatte. Er durfte
sich erinnern, daß der Kronprinz Friedrich Wilhelm in der ersten Zeit seiner
Verwaltung der Staatsgeschäfte, als er mit Energie die Reaktion gegen die revo¬
lutionäre Demokratie leitete, in aller Form Verwahrung gegen seine Ma߬
regelung der frechen Presse einlegte und ihm mit dem Ersuchen, den Brief seinen
ministeriellen Kollegen mitzuteilen, schrieb, er betrachte das Verfahren des Ka-
binets als ungesetzlich und schädlich für den Staat und die Dynastie, er er¬
kläre, daß die Maßregel gegen seinen Wunsch und selbst ohne fein Wissen er¬
griffen worden sei, und Protestire gegen jeden Schluß, der möglicherweise auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0626" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202725"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2232" prev="#ID_2231"> gewiß nicht dem Gedanken entsprungen, sich Friedrich dein Großen an die Seite zu<lb/>
stellen, und vielleicht nicht bloß dem Willen, ein friedlicher Herrscher zu sein, sondern<lb/>
auch der Vorahnung, es sein zu können, und zwar sowohl im Innern Preußens<lb/>
und des Reiches, als in Beziehung zu den Nachbarn. Die beiden Kundgebungen<lb/>
des Kaisers Friedrich vom 12. März zerstreuen Befürchtungen von Freunden des<lb/>
bisher befolgten Systems, die den maßgebenden Kreisen fernstehen, und bestätigen<lb/>
Erwartungen besser unterrichteter in erfreulichster Weise. Es wird kein Bruch<lb/>
mit diesem Systeme, keine Trennung von dem Hauptträger desselben stattfinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2233" next="#ID_2234"> Fürst von Bismarck vollendet in einigen Tagen sein dreiundsiebzigstes<lb/>
Lebensjahr, und man kann sagen, er habe in dem letzten Vierteljahrhundert<lb/>
soviel gelebt, als vier Durchschnittsmenschen seines Alters, so viel hat er in<lb/>
dieser Zeit geleistet nud gelitten. Seit 1862 trägt er vie Verantwortlich¬<lb/>
keit für die Regierung, erst in seinem engern, dann in seinem weitern Vater¬<lb/>
lande. Preußen dankt ihm vor allem seine Vergrößerung, Deutschland seiue<lb/>
Einheit, vielleicht die Fortdauer seiner Existenz gegenüber bösen Nachbarn.<lb/>
Wiederholt wurde ihm das Leben und die Arbeit an seinem Werke durch hö¬<lb/>
fische Ränke und durch Angriffe von selten der Parteien, der Konservativen<lb/>
nicht minder wie der Liberalen, arg verbittert. Häufig suchte ihn Krankheit<lb/>
heim, und dabei lasteten Arbeiten auf ihm, zu deren Bewältigung Riesenkraft<lb/>
erforderlich war. Er besaß zuletzt Gut und Ehre genug, um sich befriedigt zu<lb/>
fühlen. Er hatte seine Pflicht mehr als reichlich erfüllt. Er war müde vom<lb/>
Schaffen und Kämpfen und durfte sich Muße gönnen. Sein hoher Sinn aber,<lb/>
sein Patriotismus und sein heroisches Pflichtgefühl gestatteten ihm nicht, die<lb/>
Gelegenheit, die sich ihm mit dem Ableben Kaiser Wilhelms bot, zum Auf¬<lb/>
geben seiner schweren und oft wenig dankbaren Amtsthätigkeit zu benutzen und<lb/>
fortan der Entwicklung der Dinge nur aus der Ferne zuzusehen. Sobald der<lb/>
Sohn seines verewigten Herrn lind Freundes zur Herrschaft gelangte, beeilte er<lb/>
sich, ihm dieselben selbstlosen Dienste zu leisten, die er dem Vater mehr als<lb/>
drittehalb Jahrzehnte geleistet hatte. Hätte er sich statt dessen, seinem lange<lb/>
gehegten Wunsche folgend, in die Ruhe des Landlebens zurückgezogen, um da<lb/>
für den Rest seiner Tage zu verbleiben, so würden wenige es ihm verdacht<lb/>
haben, zumal da er jetzt Diener eines Fürsten wurde, der in frühern Tagen<lb/>
bei mehr als einer Gelegenheit offen seine Politik gemißbilligt hatte. Er durfte<lb/>
sich erinnern, daß der Kronprinz Friedrich Wilhelm in der ersten Zeit seiner<lb/>
Verwaltung der Staatsgeschäfte, als er mit Energie die Reaktion gegen die revo¬<lb/>
lutionäre Demokratie leitete, in aller Form Verwahrung gegen seine Ma߬<lb/>
regelung der frechen Presse einlegte und ihm mit dem Ersuchen, den Brief seinen<lb/>
ministeriellen Kollegen mitzuteilen, schrieb, er betrachte das Verfahren des Ka-<lb/>
binets als ungesetzlich und schädlich für den Staat und die Dynastie, er er¬<lb/>
kläre, daß die Maßregel gegen seinen Wunsch und selbst ohne fein Wissen er¬<lb/>
griffen worden sei, und Protestire gegen jeden Schluß, der möglicherweise auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0626] gewiß nicht dem Gedanken entsprungen, sich Friedrich dein Großen an die Seite zu stellen, und vielleicht nicht bloß dem Willen, ein friedlicher Herrscher zu sein, sondern auch der Vorahnung, es sein zu können, und zwar sowohl im Innern Preußens und des Reiches, als in Beziehung zu den Nachbarn. Die beiden Kundgebungen des Kaisers Friedrich vom 12. März zerstreuen Befürchtungen von Freunden des bisher befolgten Systems, die den maßgebenden Kreisen fernstehen, und bestätigen Erwartungen besser unterrichteter in erfreulichster Weise. Es wird kein Bruch mit diesem Systeme, keine Trennung von dem Hauptträger desselben stattfinden. Fürst von Bismarck vollendet in einigen Tagen sein dreiundsiebzigstes Lebensjahr, und man kann sagen, er habe in dem letzten Vierteljahrhundert soviel gelebt, als vier Durchschnittsmenschen seines Alters, so viel hat er in dieser Zeit geleistet nud gelitten. Seit 1862 trägt er vie Verantwortlich¬ keit für die Regierung, erst in seinem engern, dann in seinem weitern Vater¬ lande. Preußen dankt ihm vor allem seine Vergrößerung, Deutschland seiue Einheit, vielleicht die Fortdauer seiner Existenz gegenüber bösen Nachbarn. Wiederholt wurde ihm das Leben und die Arbeit an seinem Werke durch hö¬ fische Ränke und durch Angriffe von selten der Parteien, der Konservativen nicht minder wie der Liberalen, arg verbittert. Häufig suchte ihn Krankheit heim, und dabei lasteten Arbeiten auf ihm, zu deren Bewältigung Riesenkraft erforderlich war. Er besaß zuletzt Gut und Ehre genug, um sich befriedigt zu fühlen. Er hatte seine Pflicht mehr als reichlich erfüllt. Er war müde vom Schaffen und Kämpfen und durfte sich Muße gönnen. Sein hoher Sinn aber, sein Patriotismus und sein heroisches Pflichtgefühl gestatteten ihm nicht, die Gelegenheit, die sich ihm mit dem Ableben Kaiser Wilhelms bot, zum Auf¬ geben seiner schweren und oft wenig dankbaren Amtsthätigkeit zu benutzen und fortan der Entwicklung der Dinge nur aus der Ferne zuzusehen. Sobald der Sohn seines verewigten Herrn lind Freundes zur Herrschaft gelangte, beeilte er sich, ihm dieselben selbstlosen Dienste zu leisten, die er dem Vater mehr als drittehalb Jahrzehnte geleistet hatte. Hätte er sich statt dessen, seinem lange gehegten Wunsche folgend, in die Ruhe des Landlebens zurückgezogen, um da für den Rest seiner Tage zu verbleiben, so würden wenige es ihm verdacht haben, zumal da er jetzt Diener eines Fürsten wurde, der in frühern Tagen bei mehr als einer Gelegenheit offen seine Politik gemißbilligt hatte. Er durfte sich erinnern, daß der Kronprinz Friedrich Wilhelm in der ersten Zeit seiner Verwaltung der Staatsgeschäfte, als er mit Energie die Reaktion gegen die revo¬ lutionäre Demokratie leitete, in aller Form Verwahrung gegen seine Ma߬ regelung der frechen Presse einlegte und ihm mit dem Ersuchen, den Brief seinen ministeriellen Kollegen mitzuteilen, schrieb, er betrachte das Verfahren des Ka- binets als ungesetzlich und schädlich für den Staat und die Dynastie, er er¬ kläre, daß die Maßregel gegen seinen Wunsch und selbst ohne fein Wissen er¬ griffen worden sei, und Protestire gegen jeden Schluß, der möglicherweise auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/626
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/626>, abgerufen am 28.09.2024.