Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

bemüht man sich, die Geduld der in Bulgarien herrschenden Partei zu ermüden
und zu entmutigen. Daraus folgt noch nicht, daß die Krisis beschleunigt und
der Katastrophe rasch entgegengeführt werden wird. Doch steht es politischen
Pessimisten frei, den Ausbruch eines Krieges zu fürchten, wo die historische
Eifersucht und Nebenbuhlerschaft zweier Großmächte in Bulgarien einen örtlichen
Punkt findet, der sie zum Zusammenstoße reizt. Wir unserseits glauben, diese
Furcht noch nicht teilen zu müssen. Jedenfalls wird der Friede noch einige
und zwar geraume Zeit erhalten bleiben und nur die diplomatische Kampagne
fortdauern, die russischerseits vor kurzem wieder eröffnet worden ist, und bei
der ihm bisher Deutschland seinen Beistand zu gewähren für billig, nützlich und
erlaubt hielt. Die maßgebenden Kreise in Rußland werden sich schwer entschließen,
zum äußersten zu schreiten, und in Wien wird man ebenfalls nicht leichtfertig das
Schwert ziehen, wo die Feder noch auszureichen scheint, um eine Lösung zu ver¬
mitteln, die beiden Parteien wenigstens in den Hauptpunkten Befriedigung gewährt.
Jene Kreise in Rußland werden sich ohne Zweifel die Gefahren vergegenwärtigt
haben, vor denen sie stehen würden, wenn sie wirkliche österreichische Interessen
verletzen wollten, und sich klar sein über die Aussichten eines Angriffs auf eine
Macht, welche sich im Besitz einer fast wunderbaren Elastizität und Ausdauer
in den schwersten politischen Prüfungen gezeigt hat. Vor uns liegt eine kürzlich
erschienene Schrift des englischen Obersten Maurice, die den Titel führt IKs L^Mvo
ok?vo6r in üuroxo, und in der wir folgendem treffenden Urteile begegnen: "Es
giebt kein Kapitel in der Weltgeschichte, das merkwürdiger wäre als das, welches
von Österreichs Schicksalen berichtet. Es ist die Geschichte des Triumphs diplo¬
matischer Kunst über den Krieg und doch einer diplomatischen Kunst, die allezeit
in ihrer Kraft und Macht von einem gewissen Maße militärischer Stärke ab¬
hing. Uns scheint es, als ob, wenn auch der heterogene Charakter der Monarchie,
welche deren Armeen stets schwächte, jetzt mehr als je vorher zu Tage tritt,
Österreich in einem Kampfe mit Rußland, der in einem oder zwei Jahren
stattfinden könnte, praktisch stärker sein würde als zu irgend einer frühern Zeit
seiner Geschichte." Und an einer andern Stelle des Buches heißt es: "Noch
niemals ist Österreich in einen Krieg eingetreten, wo die Ungarn mit leiden¬
schaftlichem Eifer sich in seine Reihen stellten, wo sein Heer keine italienische!?
Regimenter zählte, die stets bereit waren, die in verhaßten Dienste getragenen
Waffen zu strecken, wo ein günstiger Augenblick dazu Gelegenheit bot. Die
deutsche Anhänglichkeit an Staat und Dynastie aber ist noch heute so warm
und fest wie ehedem." Wir dürfen hinzufügen, daß bei jedem Zusammenstoße
mit Nußland, der aus der bulgarischen Frage folgte, die große Mehrzahl der
christlichen Völkerschaften am Balkan und der untern Donau mit Österreich
sympathisiren und ihnen vielleicht mit den Waffen beistehen würde, was sicher
von den Serben und wohl auch von den Rumänen zu erwarten ist. Diese
Betrachtungen werden von verständig denkenden Russen gewiß ganz ebenso an-


Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

bemüht man sich, die Geduld der in Bulgarien herrschenden Partei zu ermüden
und zu entmutigen. Daraus folgt noch nicht, daß die Krisis beschleunigt und
der Katastrophe rasch entgegengeführt werden wird. Doch steht es politischen
Pessimisten frei, den Ausbruch eines Krieges zu fürchten, wo die historische
Eifersucht und Nebenbuhlerschaft zweier Großmächte in Bulgarien einen örtlichen
Punkt findet, der sie zum Zusammenstoße reizt. Wir unserseits glauben, diese
Furcht noch nicht teilen zu müssen. Jedenfalls wird der Friede noch einige
und zwar geraume Zeit erhalten bleiben und nur die diplomatische Kampagne
fortdauern, die russischerseits vor kurzem wieder eröffnet worden ist, und bei
der ihm bisher Deutschland seinen Beistand zu gewähren für billig, nützlich und
erlaubt hielt. Die maßgebenden Kreise in Rußland werden sich schwer entschließen,
zum äußersten zu schreiten, und in Wien wird man ebenfalls nicht leichtfertig das
Schwert ziehen, wo die Feder noch auszureichen scheint, um eine Lösung zu ver¬
mitteln, die beiden Parteien wenigstens in den Hauptpunkten Befriedigung gewährt.
Jene Kreise in Rußland werden sich ohne Zweifel die Gefahren vergegenwärtigt
haben, vor denen sie stehen würden, wenn sie wirkliche österreichische Interessen
verletzen wollten, und sich klar sein über die Aussichten eines Angriffs auf eine
Macht, welche sich im Besitz einer fast wunderbaren Elastizität und Ausdauer
in den schwersten politischen Prüfungen gezeigt hat. Vor uns liegt eine kürzlich
erschienene Schrift des englischen Obersten Maurice, die den Titel führt IKs L^Mvo
ok?vo6r in üuroxo, und in der wir folgendem treffenden Urteile begegnen: „Es
giebt kein Kapitel in der Weltgeschichte, das merkwürdiger wäre als das, welches
von Österreichs Schicksalen berichtet. Es ist die Geschichte des Triumphs diplo¬
matischer Kunst über den Krieg und doch einer diplomatischen Kunst, die allezeit
in ihrer Kraft und Macht von einem gewissen Maße militärischer Stärke ab¬
hing. Uns scheint es, als ob, wenn auch der heterogene Charakter der Monarchie,
welche deren Armeen stets schwächte, jetzt mehr als je vorher zu Tage tritt,
Österreich in einem Kampfe mit Rußland, der in einem oder zwei Jahren
stattfinden könnte, praktisch stärker sein würde als zu irgend einer frühern Zeit
seiner Geschichte." Und an einer andern Stelle des Buches heißt es: „Noch
niemals ist Österreich in einen Krieg eingetreten, wo die Ungarn mit leiden¬
schaftlichem Eifer sich in seine Reihen stellten, wo sein Heer keine italienische!?
Regimenter zählte, die stets bereit waren, die in verhaßten Dienste getragenen
Waffen zu strecken, wo ein günstiger Augenblick dazu Gelegenheit bot. Die
deutsche Anhänglichkeit an Staat und Dynastie aber ist noch heute so warm
und fest wie ehedem." Wir dürfen hinzufügen, daß bei jedem Zusammenstoße
mit Nußland, der aus der bulgarischen Frage folgte, die große Mehrzahl der
christlichen Völkerschaften am Balkan und der untern Donau mit Österreich
sympathisiren und ihnen vielleicht mit den Waffen beistehen würde, was sicher
von den Serben und wohl auch von den Rumänen zu erwarten ist. Diese
Betrachtungen werden von verständig denkenden Russen gewiß ganz ebenso an-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0592" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202691"/>
          <fw type="header" place="top"> Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2152" prev="#ID_2151" next="#ID_2153"> bemüht man sich, die Geduld der in Bulgarien herrschenden Partei zu ermüden<lb/>
und zu entmutigen. Daraus folgt noch nicht, daß die Krisis beschleunigt und<lb/>
der Katastrophe rasch entgegengeführt werden wird. Doch steht es politischen<lb/>
Pessimisten frei, den Ausbruch eines Krieges zu fürchten, wo die historische<lb/>
Eifersucht und Nebenbuhlerschaft zweier Großmächte in Bulgarien einen örtlichen<lb/>
Punkt findet, der sie zum Zusammenstoße reizt. Wir unserseits glauben, diese<lb/>
Furcht noch nicht teilen zu müssen. Jedenfalls wird der Friede noch einige<lb/>
und zwar geraume Zeit erhalten bleiben und nur die diplomatische Kampagne<lb/>
fortdauern, die russischerseits vor kurzem wieder eröffnet worden ist, und bei<lb/>
der ihm bisher Deutschland seinen Beistand zu gewähren für billig, nützlich und<lb/>
erlaubt hielt. Die maßgebenden Kreise in Rußland werden sich schwer entschließen,<lb/>
zum äußersten zu schreiten, und in Wien wird man ebenfalls nicht leichtfertig das<lb/>
Schwert ziehen, wo die Feder noch auszureichen scheint, um eine Lösung zu ver¬<lb/>
mitteln, die beiden Parteien wenigstens in den Hauptpunkten Befriedigung gewährt.<lb/>
Jene Kreise in Rußland werden sich ohne Zweifel die Gefahren vergegenwärtigt<lb/>
haben, vor denen sie stehen würden, wenn sie wirkliche österreichische Interessen<lb/>
verletzen wollten, und sich klar sein über die Aussichten eines Angriffs auf eine<lb/>
Macht, welche sich im Besitz einer fast wunderbaren Elastizität und Ausdauer<lb/>
in den schwersten politischen Prüfungen gezeigt hat. Vor uns liegt eine kürzlich<lb/>
erschienene Schrift des englischen Obersten Maurice, die den Titel führt IKs L^Mvo<lb/>
ok?vo6r in üuroxo, und in der wir folgendem treffenden Urteile begegnen: &#x201E;Es<lb/>
giebt kein Kapitel in der Weltgeschichte, das merkwürdiger wäre als das, welches<lb/>
von Österreichs Schicksalen berichtet. Es ist die Geschichte des Triumphs diplo¬<lb/>
matischer Kunst über den Krieg und doch einer diplomatischen Kunst, die allezeit<lb/>
in ihrer Kraft und Macht von einem gewissen Maße militärischer Stärke ab¬<lb/>
hing. Uns scheint es, als ob, wenn auch der heterogene Charakter der Monarchie,<lb/>
welche deren Armeen stets schwächte, jetzt mehr als je vorher zu Tage tritt,<lb/>
Österreich in einem Kampfe mit Rußland, der in einem oder zwei Jahren<lb/>
stattfinden könnte, praktisch stärker sein würde als zu irgend einer frühern Zeit<lb/>
seiner Geschichte." Und an einer andern Stelle des Buches heißt es: &#x201E;Noch<lb/>
niemals ist Österreich in einen Krieg eingetreten, wo die Ungarn mit leiden¬<lb/>
schaftlichem Eifer sich in seine Reihen stellten, wo sein Heer keine italienische!?<lb/>
Regimenter zählte, die stets bereit waren, die in verhaßten Dienste getragenen<lb/>
Waffen zu strecken, wo ein günstiger Augenblick dazu Gelegenheit bot. Die<lb/>
deutsche Anhänglichkeit an Staat und Dynastie aber ist noch heute so warm<lb/>
und fest wie ehedem." Wir dürfen hinzufügen, daß bei jedem Zusammenstoße<lb/>
mit Nußland, der aus der bulgarischen Frage folgte, die große Mehrzahl der<lb/>
christlichen Völkerschaften am Balkan und der untern Donau mit Österreich<lb/>
sympathisiren und ihnen vielleicht mit den Waffen beistehen würde, was sicher<lb/>
von den Serben und wohl auch von den Rumänen zu erwarten ist. Diese<lb/>
Betrachtungen werden von verständig denkenden Russen gewiß ganz ebenso an-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0592] Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt. bemüht man sich, die Geduld der in Bulgarien herrschenden Partei zu ermüden und zu entmutigen. Daraus folgt noch nicht, daß die Krisis beschleunigt und der Katastrophe rasch entgegengeführt werden wird. Doch steht es politischen Pessimisten frei, den Ausbruch eines Krieges zu fürchten, wo die historische Eifersucht und Nebenbuhlerschaft zweier Großmächte in Bulgarien einen örtlichen Punkt findet, der sie zum Zusammenstoße reizt. Wir unserseits glauben, diese Furcht noch nicht teilen zu müssen. Jedenfalls wird der Friede noch einige und zwar geraume Zeit erhalten bleiben und nur die diplomatische Kampagne fortdauern, die russischerseits vor kurzem wieder eröffnet worden ist, und bei der ihm bisher Deutschland seinen Beistand zu gewähren für billig, nützlich und erlaubt hielt. Die maßgebenden Kreise in Rußland werden sich schwer entschließen, zum äußersten zu schreiten, und in Wien wird man ebenfalls nicht leichtfertig das Schwert ziehen, wo die Feder noch auszureichen scheint, um eine Lösung zu ver¬ mitteln, die beiden Parteien wenigstens in den Hauptpunkten Befriedigung gewährt. Jene Kreise in Rußland werden sich ohne Zweifel die Gefahren vergegenwärtigt haben, vor denen sie stehen würden, wenn sie wirkliche österreichische Interessen verletzen wollten, und sich klar sein über die Aussichten eines Angriffs auf eine Macht, welche sich im Besitz einer fast wunderbaren Elastizität und Ausdauer in den schwersten politischen Prüfungen gezeigt hat. Vor uns liegt eine kürzlich erschienene Schrift des englischen Obersten Maurice, die den Titel führt IKs L^Mvo ok?vo6r in üuroxo, und in der wir folgendem treffenden Urteile begegnen: „Es giebt kein Kapitel in der Weltgeschichte, das merkwürdiger wäre als das, welches von Österreichs Schicksalen berichtet. Es ist die Geschichte des Triumphs diplo¬ matischer Kunst über den Krieg und doch einer diplomatischen Kunst, die allezeit in ihrer Kraft und Macht von einem gewissen Maße militärischer Stärke ab¬ hing. Uns scheint es, als ob, wenn auch der heterogene Charakter der Monarchie, welche deren Armeen stets schwächte, jetzt mehr als je vorher zu Tage tritt, Österreich in einem Kampfe mit Rußland, der in einem oder zwei Jahren stattfinden könnte, praktisch stärker sein würde als zu irgend einer frühern Zeit seiner Geschichte." Und an einer andern Stelle des Buches heißt es: „Noch niemals ist Österreich in einen Krieg eingetreten, wo die Ungarn mit leiden¬ schaftlichem Eifer sich in seine Reihen stellten, wo sein Heer keine italienische!? Regimenter zählte, die stets bereit waren, die in verhaßten Dienste getragenen Waffen zu strecken, wo ein günstiger Augenblick dazu Gelegenheit bot. Die deutsche Anhänglichkeit an Staat und Dynastie aber ist noch heute so warm und fest wie ehedem." Wir dürfen hinzufügen, daß bei jedem Zusammenstoße mit Nußland, der aus der bulgarischen Frage folgte, die große Mehrzahl der christlichen Völkerschaften am Balkan und der untern Donau mit Österreich sympathisiren und ihnen vielleicht mit den Waffen beistehen würde, was sicher von den Serben und wohl auch von den Rumänen zu erwarten ist. Diese Betrachtungen werden von verständig denkenden Russen gewiß ganz ebenso an-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/592
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/592>, abgerufen am 27.06.2024.