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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

gestellt worden sein als von andern nüchternen und unverblendeten Leuten in
Europa. Wir glauben deshalb, daß Kaiser Alexander, wie hartnäckig er auch das,
was er als sein Recht und Interesse ansieht, durch diplomatische Manöver verfolgen
und diese letztern durch Truppenbewegungen zu unterstützen fortfahren mag, sich
zweimal und dreimal besinnen wird, ehe er das Zeichen zu einem Kriege giebt,
der, abgesehen von der Macht Österreich-Ungarns, auch die Finanzen Rußlands,
die ohnehin in bedenklichem Zustande sind, bis auf den Grund erschüttern und
zweifellos den Staatsbankerott zur Folge haben würde.

Hierüber noch einige Worte, bei denen wir uns auf das Urteil eines fach¬
männischer Beobachters stützen, der sich in die Lage der Gläubiger Rußlands
versetzt hat und sich auf Grund seiner Kenntnis die Frage beantwortet: Wie
lange wird der russische Staat noch imstande sein, die Zinsen seiner ungeheuerlich
angewachsenen Schulden zu bezahlen? Rußland hat dies bisher, wie zugegeben
werden muß, mit größter Pünktlichkeit gethan, die keinerlei Tadel zuließ. Trotz-
dem ist jene Frage am Platze, und sie ist umso berechtigter, wo einerseits
diese Zinsenlast durch die Erhöhung des Goldagios sich in bedenklichster Weise
vergrößert, und anderseits vom Staate riesenhafte Summen für Zwecke aus¬
gegeben werden, die lediglich mit der Erhöhung des Ansehens Rußlands in der
slawischen Welt im allgemeinen und insbesondre unter den Südslawen zusammen¬
hängen. In diesem Sinne soll die bulgarische Frage geordnet werden, aber
dies wird nur ohne Schaden für die russischen Finanzen geschehen, wenn man
sich entschließt, friedliche Wege zu gehen und durch billige Einschränkung seiner
Ansprüche mit diplomatischen Mitteln zu einem Abkommen zu gelangen. Ru߬
land aber nahm bisher mit den Vorbereitungen auf Gewaltschritte von Tage
zu Tage neue Lasten auf sich, die es zuletzt mit gebieterischer Macht in die
Notwendigkeit versetzen müssen, entweder von der Bedrohung und Einschüchterung
zum Losschlagen überzugehen und Va> vauaus zu rufen oder seine ganz Europa
mit seinen Geldinstituten schwer beunruhigende Rolle als Friedensstörer endgiltig
oder doch auf lange Zeit aufzugeben. In dem Augenblicke, wo Rußland erklärt,
es strebe nicht einseitig und rücksichtslos die Lösung der bulgarischen Frage an,
es sei vielmehr bereit, die Lösung derselben in Gemeinschaft mit allen Unter¬
zeichnern des Berliner Vertrages und mit Unterordnung seiner eignen Ansichten
und Ansprüche unter die Beschlüsse einer Konferenz jener Unterzeichner zu ver¬
suchen, in diesem selben Augenblicke ist der Druck, welcher jetzt auf der euro¬
päischen Finanzwelt lastet und unter welchem Rußland weit mehr als seine
Nachbarn leidet, ohne weiteres beseitigt, sodaß es nicht erst einer akademischen
Verurteilung der Zustände in Bulgarien und des Fürsten bedarf, den es sich
gegen Vertrag und Recht gegeben hat. Vielmehr braucht nur jenes erlösende
Wort gesprochen zu werden, um wie ein Zauberspruch zu wirken, das Vertrauen
auf Erhaltung des Frieden zu wecken und zu beleben, Handel und Wandel zu
stärken und zu heben, Rußlands finanzielles Ansehen an den Börsen und den frühern


Grenzboten I. 138S. 74
Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

gestellt worden sein als von andern nüchternen und unverblendeten Leuten in
Europa. Wir glauben deshalb, daß Kaiser Alexander, wie hartnäckig er auch das,
was er als sein Recht und Interesse ansieht, durch diplomatische Manöver verfolgen
und diese letztern durch Truppenbewegungen zu unterstützen fortfahren mag, sich
zweimal und dreimal besinnen wird, ehe er das Zeichen zu einem Kriege giebt,
der, abgesehen von der Macht Österreich-Ungarns, auch die Finanzen Rußlands,
die ohnehin in bedenklichem Zustande sind, bis auf den Grund erschüttern und
zweifellos den Staatsbankerott zur Folge haben würde.

Hierüber noch einige Worte, bei denen wir uns auf das Urteil eines fach¬
männischer Beobachters stützen, der sich in die Lage der Gläubiger Rußlands
versetzt hat und sich auf Grund seiner Kenntnis die Frage beantwortet: Wie
lange wird der russische Staat noch imstande sein, die Zinsen seiner ungeheuerlich
angewachsenen Schulden zu bezahlen? Rußland hat dies bisher, wie zugegeben
werden muß, mit größter Pünktlichkeit gethan, die keinerlei Tadel zuließ. Trotz-
dem ist jene Frage am Platze, und sie ist umso berechtigter, wo einerseits
diese Zinsenlast durch die Erhöhung des Goldagios sich in bedenklichster Weise
vergrößert, und anderseits vom Staate riesenhafte Summen für Zwecke aus¬
gegeben werden, die lediglich mit der Erhöhung des Ansehens Rußlands in der
slawischen Welt im allgemeinen und insbesondre unter den Südslawen zusammen¬
hängen. In diesem Sinne soll die bulgarische Frage geordnet werden, aber
dies wird nur ohne Schaden für die russischen Finanzen geschehen, wenn man
sich entschließt, friedliche Wege zu gehen und durch billige Einschränkung seiner
Ansprüche mit diplomatischen Mitteln zu einem Abkommen zu gelangen. Ru߬
land aber nahm bisher mit den Vorbereitungen auf Gewaltschritte von Tage
zu Tage neue Lasten auf sich, die es zuletzt mit gebieterischer Macht in die
Notwendigkeit versetzen müssen, entweder von der Bedrohung und Einschüchterung
zum Losschlagen überzugehen und Va> vauaus zu rufen oder seine ganz Europa
mit seinen Geldinstituten schwer beunruhigende Rolle als Friedensstörer endgiltig
oder doch auf lange Zeit aufzugeben. In dem Augenblicke, wo Rußland erklärt,
es strebe nicht einseitig und rücksichtslos die Lösung der bulgarischen Frage an,
es sei vielmehr bereit, die Lösung derselben in Gemeinschaft mit allen Unter¬
zeichnern des Berliner Vertrages und mit Unterordnung seiner eignen Ansichten
und Ansprüche unter die Beschlüsse einer Konferenz jener Unterzeichner zu ver¬
suchen, in diesem selben Augenblicke ist der Druck, welcher jetzt auf der euro¬
päischen Finanzwelt lastet und unter welchem Rußland weit mehr als seine
Nachbarn leidet, ohne weiteres beseitigt, sodaß es nicht erst einer akademischen
Verurteilung der Zustände in Bulgarien und des Fürsten bedarf, den es sich
gegen Vertrag und Recht gegeben hat. Vielmehr braucht nur jenes erlösende
Wort gesprochen zu werden, um wie ein Zauberspruch zu wirken, das Vertrauen
auf Erhaltung des Frieden zu wecken und zu beleben, Handel und Wandel zu
stärken und zu heben, Rußlands finanzielles Ansehen an den Börsen und den frühern


Grenzboten I. 138S. 74
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/593>, abgerufen am 28.09.2024.