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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Stand der bulgarischen Frage.

Rechte beruft, welche der Natur der Dinge nicht entsprechen. Ganz richtig, daß
der Koburger gegenüber dem Berliner Vertrage ein Usurpator ist; aber er regiert
doch, seine Regierung hält die Ordnung im Lande aufrecht und ist vollkommen
stark genug, Aufstünde in Mazedonien und andern türkischen Nachbarprovinzen
zu verhüten, verdient also trotz ihres ungesetzlichen Ursprungs und Wesens
immerhin Rücksicht und Achtung.

Manches hiervon läßt sich hören. Nur hat die neuliche Rundreise des
Koburgers gezeigt, daß vieles, was von der Stärke der Partei, die ihn berief,
berichtet wird, Schein und Spiegelfechterei ist. Hatte schon seine schwächliche
und zweideutige Haltung nach seiner Wahl im August vorigen Jahres ihm
wenig Freunde zuführen können, so verwischte sein persönliches Erscheinen den
schlechten Eindruck von damals nicht. Matt, schwächlich, steif und schüchtern,
vermochte er seine neuen Unterthanen nicht zu begeistern, und hätte Stambuloff
sich in dieser Zeit, wie er einmal beabsichtige, zurückgezogen und seine Kreatur
sich selbst überlassen, so säße der Prinz wahrscheinlich schon lange wieder in
seinem heimatlichen Schlosse zu Ebenthal. Er hat im Grunde nur die Regenten
und deren Schweif für sich, zudem die Abgeordneten, die unter dem Hochdrucke
der Behörden zu ihrer Würde gelangt sind, die meisten Beamten, die um des
lieben Brotes willen mit der Regentschaft gehen müssen, und einen Teil der
Offiziere. Das Heer, das heißt die Unteroffiziere und Soldaten, ferner der
sehr achtbare Bauernstand, auf dem die Kraft und Zukunft des Landes wesentlich
beruht, verhält sich fast völlig kalt und gleichgiltig gegen ihn. Entschieden ab¬
geneigt ist ihm die hohe Geistlichkeit, weil er als Katholik ein Gegner zu sein
scheint. Nur die Dorfpopen, die ohne alles Urteil sind und ganz von der
Regierung abhängen, zeigen nichts von solcher Abneigung, aber auch keinerlei
Anhänglichkeit. Von der Rundreise in Ostrumelien berichtet man der Kölnischen
Zeitung u. a.: "In Tatarbasardschik wie in Philippopel mußten die Gendarmen
vielfach die Menge zum Jubelrufe auffordern. Man hörte auch Hurrahs für
Fürst Alexander. Auch in Barja schloß der Pope seine Ansprache mit dem
Rufe: Hoch lebe Fürst Alexander lind seine Mutter." Im übrigen war die
Bewillkommnung von seiten der Behörden anbefohlen und überall gleichmäßig
angeordnet. Die Beamten, die Geistlichen und die Schulen waren an den Eisen¬
bahnstationen oder Ortseingängen aufgestellt, es erfolgten mehr oder minder
unterthänige Anreden, man reichte dem hohen Gaste Salz und Brot, und abends
erfreuten sich die Orte, wo das Nachtlager aufgeschlagen wurde, festlicher Be¬
leuchtung. "Der Bulgare stellt aber lieber ein paar Talglichter oder Öllämpchen
vor sein Fenster, als daß er die Versäumnis mit Geldstrafe oder einer Tracht
Stockprügel büßt."

Die drei Mächte, welche Anstand nahmen, sich dem Verlangen Rußlands
w Konstantinopel anzuschließen, werden sich die Frage vorgelegt haben: Wie,
wenn der Prätendent nun die türkische Erklärung, er sei illegitim, einfach ent-


Der Stand der bulgarischen Frage.

Rechte beruft, welche der Natur der Dinge nicht entsprechen. Ganz richtig, daß
der Koburger gegenüber dem Berliner Vertrage ein Usurpator ist; aber er regiert
doch, seine Regierung hält die Ordnung im Lande aufrecht und ist vollkommen
stark genug, Aufstünde in Mazedonien und andern türkischen Nachbarprovinzen
zu verhüten, verdient also trotz ihres ungesetzlichen Ursprungs und Wesens
immerhin Rücksicht und Achtung.

Manches hiervon läßt sich hören. Nur hat die neuliche Rundreise des
Koburgers gezeigt, daß vieles, was von der Stärke der Partei, die ihn berief,
berichtet wird, Schein und Spiegelfechterei ist. Hatte schon seine schwächliche
und zweideutige Haltung nach seiner Wahl im August vorigen Jahres ihm
wenig Freunde zuführen können, so verwischte sein persönliches Erscheinen den
schlechten Eindruck von damals nicht. Matt, schwächlich, steif und schüchtern,
vermochte er seine neuen Unterthanen nicht zu begeistern, und hätte Stambuloff
sich in dieser Zeit, wie er einmal beabsichtige, zurückgezogen und seine Kreatur
sich selbst überlassen, so säße der Prinz wahrscheinlich schon lange wieder in
seinem heimatlichen Schlosse zu Ebenthal. Er hat im Grunde nur die Regenten
und deren Schweif für sich, zudem die Abgeordneten, die unter dem Hochdrucke
der Behörden zu ihrer Würde gelangt sind, die meisten Beamten, die um des
lieben Brotes willen mit der Regentschaft gehen müssen, und einen Teil der
Offiziere. Das Heer, das heißt die Unteroffiziere und Soldaten, ferner der
sehr achtbare Bauernstand, auf dem die Kraft und Zukunft des Landes wesentlich
beruht, verhält sich fast völlig kalt und gleichgiltig gegen ihn. Entschieden ab¬
geneigt ist ihm die hohe Geistlichkeit, weil er als Katholik ein Gegner zu sein
scheint. Nur die Dorfpopen, die ohne alles Urteil sind und ganz von der
Regierung abhängen, zeigen nichts von solcher Abneigung, aber auch keinerlei
Anhänglichkeit. Von der Rundreise in Ostrumelien berichtet man der Kölnischen
Zeitung u. a.: „In Tatarbasardschik wie in Philippopel mußten die Gendarmen
vielfach die Menge zum Jubelrufe auffordern. Man hörte auch Hurrahs für
Fürst Alexander. Auch in Barja schloß der Pope seine Ansprache mit dem
Rufe: Hoch lebe Fürst Alexander lind seine Mutter." Im übrigen war die
Bewillkommnung von seiten der Behörden anbefohlen und überall gleichmäßig
angeordnet. Die Beamten, die Geistlichen und die Schulen waren an den Eisen¬
bahnstationen oder Ortseingängen aufgestellt, es erfolgten mehr oder minder
unterthänige Anreden, man reichte dem hohen Gaste Salz und Brot, und abends
erfreuten sich die Orte, wo das Nachtlager aufgeschlagen wurde, festlicher Be¬
leuchtung. „Der Bulgare stellt aber lieber ein paar Talglichter oder Öllämpchen
vor sein Fenster, als daß er die Versäumnis mit Geldstrafe oder einer Tracht
Stockprügel büßt."

Die drei Mächte, welche Anstand nahmen, sich dem Verlangen Rußlands
w Konstantinopel anzuschließen, werden sich die Frage vorgelegt haben: Wie,
wenn der Prätendent nun die türkische Erklärung, er sei illegitim, einfach ent-


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[0567] Der Stand der bulgarischen Frage. Rechte beruft, welche der Natur der Dinge nicht entsprechen. Ganz richtig, daß der Koburger gegenüber dem Berliner Vertrage ein Usurpator ist; aber er regiert doch, seine Regierung hält die Ordnung im Lande aufrecht und ist vollkommen stark genug, Aufstünde in Mazedonien und andern türkischen Nachbarprovinzen zu verhüten, verdient also trotz ihres ungesetzlichen Ursprungs und Wesens immerhin Rücksicht und Achtung. Manches hiervon läßt sich hören. Nur hat die neuliche Rundreise des Koburgers gezeigt, daß vieles, was von der Stärke der Partei, die ihn berief, berichtet wird, Schein und Spiegelfechterei ist. Hatte schon seine schwächliche und zweideutige Haltung nach seiner Wahl im August vorigen Jahres ihm wenig Freunde zuführen können, so verwischte sein persönliches Erscheinen den schlechten Eindruck von damals nicht. Matt, schwächlich, steif und schüchtern, vermochte er seine neuen Unterthanen nicht zu begeistern, und hätte Stambuloff sich in dieser Zeit, wie er einmal beabsichtige, zurückgezogen und seine Kreatur sich selbst überlassen, so säße der Prinz wahrscheinlich schon lange wieder in seinem heimatlichen Schlosse zu Ebenthal. Er hat im Grunde nur die Regenten und deren Schweif für sich, zudem die Abgeordneten, die unter dem Hochdrucke der Behörden zu ihrer Würde gelangt sind, die meisten Beamten, die um des lieben Brotes willen mit der Regentschaft gehen müssen, und einen Teil der Offiziere. Das Heer, das heißt die Unteroffiziere und Soldaten, ferner der sehr achtbare Bauernstand, auf dem die Kraft und Zukunft des Landes wesentlich beruht, verhält sich fast völlig kalt und gleichgiltig gegen ihn. Entschieden ab¬ geneigt ist ihm die hohe Geistlichkeit, weil er als Katholik ein Gegner zu sein scheint. Nur die Dorfpopen, die ohne alles Urteil sind und ganz von der Regierung abhängen, zeigen nichts von solcher Abneigung, aber auch keinerlei Anhänglichkeit. Von der Rundreise in Ostrumelien berichtet man der Kölnischen Zeitung u. a.: „In Tatarbasardschik wie in Philippopel mußten die Gendarmen vielfach die Menge zum Jubelrufe auffordern. Man hörte auch Hurrahs für Fürst Alexander. Auch in Barja schloß der Pope seine Ansprache mit dem Rufe: Hoch lebe Fürst Alexander lind seine Mutter." Im übrigen war die Bewillkommnung von seiten der Behörden anbefohlen und überall gleichmäßig angeordnet. Die Beamten, die Geistlichen und die Schulen waren an den Eisen¬ bahnstationen oder Ortseingängen aufgestellt, es erfolgten mehr oder minder unterthänige Anreden, man reichte dem hohen Gaste Salz und Brot, und abends erfreuten sich die Orte, wo das Nachtlager aufgeschlagen wurde, festlicher Be¬ leuchtung. „Der Bulgare stellt aber lieber ein paar Talglichter oder Öllämpchen vor sein Fenster, als daß er die Versäumnis mit Geldstrafe oder einer Tracht Stockprügel büßt." Die drei Mächte, welche Anstand nahmen, sich dem Verlangen Rußlands w Konstantinopel anzuschließen, werden sich die Frage vorgelegt haben: Wie, wenn der Prätendent nun die türkische Erklärung, er sei illegitim, einfach ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/567>, abgerufen am 28.09.2024.