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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

kein wachse in dem betreffenden Garten, dem er ein besseres Dasein wünsche.
Wir meinen jene in kleinen Orten von Lehrerinnen mit rührendem Fleiß und
Eifer und Aufopferung ihres Selbst über Wasser gehaltenen Sahuichen, für
welche eine einzige Lehrerin der Direktor, der Oberlehrer, der ordentliche Lehrer,
der Hilfslehrer, der Turm- und Gesanglehrer in einer Person war, wo in einem
Zimmer vier bis sechs Abteilungen unterrichtet wurden und dennoch die Er¬
gebnisse, angesichts der turmhohen Schwierigkeiten, manchmal wenigstens alle
Achtung einflößten. Und doch könnte man hier in pädagogischer Beziehung
wohl sagen: Zum Leben zu wenig -- zum Sterben zu viel!

Neben diesen Schulen en rowiaturo hatten und haben sich viele andre
Anstalten zu reich gegliederten Schutorganismen herausgearbeitet. Nachdem 1871
der Nation das große Einigungswerk gelungen war, kam neuer Mut auch über
die Mädchenschullehrer. Im Spätsommer des folgenden Jahres veranstaltete der
Verfasser dieser Zeilen eine erste Versammlung von Leitern und Lehrern höherer
deutscher Mädchenschulen, welche Ende September in Weimar tagte und sehr
erfreuliche Erfolge aufzuweisen hatte. Nicht nur einigten sich die fast aus allen
Teilen des Vaterlandes, überwiegend allerdings aus Norddeutschland, erschienenen
Lehrer und Lehrerinnen in kurzer Zeit über die Aufgabe und Organisation der
höhern Mädchenschule; es wurde auch eine Denkschrift für die deutschen Staats¬
regierungen beraten und abgefaßt, die nicht ohne nachhaltige Wirkungen ge¬
blieben ist. Infolge dieser ersten Anregung wurde ein "Deutscher Verein für
das höhere Mädchenschulwesen" gegründet, der es, in den verschiedensten Städten
von Stuttgart bis Frankfurt a. O., von Köln bis Dresden lagert, bereits zu
zehn Versammlungen gebracht hat.

Noch wichtiger aber als diese Zusammenkünfte, die übrigens nicht besser
und nicht schlechter verliefen als andre "Kongresse," gestalteten sich Bera¬
tungen, die auf Veranlassung des preußischen Unterrichtsministeriums, wiederum
ein Jahr darauf, also 1873, im August zu Berlin über die Reorganisation des
Mädchenschulwesens gepflogen wurden. Die Praxis des Lehramts und der
Schulleitung war unter dem Vorsitze des Direktors und der sachkundigen Räte
des preußischen Unterrichtsministeriums vertreten. "Diese Beratungen -- sagte
damals die bekannte Provinzialkorrespondenz --, welche zu einem Meinungs¬
austausche nach den verschiedensten Richtungen Gelegenheit boten, haben in allen
wesentlichen Punkten zu Ergebnissen geführt, die sich für eine zeitgemäße Ent¬
wicklung des Mädchenschulwesens fruchtbar machen lassen werden."

Nicht beschließend, nur beratend, erwägend, durch gegenseitige Verständigung
das Richtige ermittelnd oder wenigstens suchend, wurden damals einesteils Auf¬
gabe, Ziel und Einrichtung der mittlern und höhern Mädchenschule besprochen,
andernteils die Angelegenheit der Weiterbildung des weiblichen Geschlechtes, sei
es für das Haus oder den praktischen Erwerb oder den Beruf der Lehrerin,
erörtert.


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

kein wachse in dem betreffenden Garten, dem er ein besseres Dasein wünsche.
Wir meinen jene in kleinen Orten von Lehrerinnen mit rührendem Fleiß und
Eifer und Aufopferung ihres Selbst über Wasser gehaltenen Sahuichen, für
welche eine einzige Lehrerin der Direktor, der Oberlehrer, der ordentliche Lehrer,
der Hilfslehrer, der Turm- und Gesanglehrer in einer Person war, wo in einem
Zimmer vier bis sechs Abteilungen unterrichtet wurden und dennoch die Er¬
gebnisse, angesichts der turmhohen Schwierigkeiten, manchmal wenigstens alle
Achtung einflößten. Und doch könnte man hier in pädagogischer Beziehung
wohl sagen: Zum Leben zu wenig — zum Sterben zu viel!

Neben diesen Schulen en rowiaturo hatten und haben sich viele andre
Anstalten zu reich gegliederten Schutorganismen herausgearbeitet. Nachdem 1871
der Nation das große Einigungswerk gelungen war, kam neuer Mut auch über
die Mädchenschullehrer. Im Spätsommer des folgenden Jahres veranstaltete der
Verfasser dieser Zeilen eine erste Versammlung von Leitern und Lehrern höherer
deutscher Mädchenschulen, welche Ende September in Weimar tagte und sehr
erfreuliche Erfolge aufzuweisen hatte. Nicht nur einigten sich die fast aus allen
Teilen des Vaterlandes, überwiegend allerdings aus Norddeutschland, erschienenen
Lehrer und Lehrerinnen in kurzer Zeit über die Aufgabe und Organisation der
höhern Mädchenschule; es wurde auch eine Denkschrift für die deutschen Staats¬
regierungen beraten und abgefaßt, die nicht ohne nachhaltige Wirkungen ge¬
blieben ist. Infolge dieser ersten Anregung wurde ein „Deutscher Verein für
das höhere Mädchenschulwesen" gegründet, der es, in den verschiedensten Städten
von Stuttgart bis Frankfurt a. O., von Köln bis Dresden lagert, bereits zu
zehn Versammlungen gebracht hat.

Noch wichtiger aber als diese Zusammenkünfte, die übrigens nicht besser
und nicht schlechter verliefen als andre „Kongresse," gestalteten sich Bera¬
tungen, die auf Veranlassung des preußischen Unterrichtsministeriums, wiederum
ein Jahr darauf, also 1873, im August zu Berlin über die Reorganisation des
Mädchenschulwesens gepflogen wurden. Die Praxis des Lehramts und der
Schulleitung war unter dem Vorsitze des Direktors und der sachkundigen Räte
des preußischen Unterrichtsministeriums vertreten. „Diese Beratungen — sagte
damals die bekannte Provinzialkorrespondenz —, welche zu einem Meinungs¬
austausche nach den verschiedensten Richtungen Gelegenheit boten, haben in allen
wesentlichen Punkten zu Ergebnissen geführt, die sich für eine zeitgemäße Ent¬
wicklung des Mädchenschulwesens fruchtbar machen lassen werden."

Nicht beschließend, nur beratend, erwägend, durch gegenseitige Verständigung
das Richtige ermittelnd oder wenigstens suchend, wurden damals einesteils Auf¬
gabe, Ziel und Einrichtung der mittlern und höhern Mädchenschule besprochen,
andernteils die Angelegenheit der Weiterbildung des weiblichen Geschlechtes, sei
es für das Haus oder den praktischen Erwerb oder den Beruf der Lehrerin,
erörtert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/558>, abgerufen am 27.06.2024.