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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Ja man ist noch einen Schritt weiter gegangen und bezeichnet in ein¬
zelnen deutschen Staaten mit diesem Namen gegenwärtig solche nach bestimmten
Vorschriften eingerichtete höhere Bildungsanstalten für Mädchen, die im Range
neben den Gymnasien und Realanstalten stehen und deren Lehrer dieselben
Pflichten zu erfüllen haben wie die andern höhern Lehrer und auch gleiche
Rechte mit ihnen genießen.

Aber bevor dieses Ziel annähernd erreicht wurde, war ein langer und
mühevoller Weg für die Mädchenschulen und deren Vertreter zurückzulegen,
obschon die Strecke von Zürich nach Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt oder
Dresden, wo durch Verfügung die höhern Mädchenschulen zu den höhern Schulen
im gesetzlichen Sinne gerechnet werden, nicht gar so weit scheint. Aber mühe¬
voll war er auf alle Fälle.

Hatte sich, schon im vorigen Jahrhundert, die gute Einrichtung von der
Schweiz aus nach Deutschland verbreitet, so entstanden damals auch in den
deutschen Städten selber, unabhängig davon, gehobene Mädchenschulen, die teils
aus den Volksschulen herauswuchsen, teils sich an Stiftungen anlehnten, teils
von Städten, ja sogar von Fürsten begründet wurden. So hatte z. B. Schillers
Dionys, "als er aufhörte, ein Tyrann zu sein und Schulmeisterlein wurde,"
wie Schubart spottet, Karl Egon, Herzog von Württemberg, außer der be¬
kannten Karlsschule auch ein Fräuleinstift errichtet. Namentlich gingen die¬
jenigen deutschen Städte mit der Gründung zeitgemäßer Bildungsanstalten für
Mädchen vor, welche sich schon früher, gleich nach der Einführung der Refor¬
mation, um das Schulwesen verdient gemacht hatten. Die "Bürgermeister und
Ratsherren" der betreffenden Städte hatten die Mahnung Luthers nicht nur nicht
vergessen, daß sie "christliche Schulen aufrichten und halten sollten," sie vergaßen
auch das weibliche Geschlecht dabei nicht. "Die Jungfrawen-Schulen seindt sehr
nützlich vnd wol erdacht," heißt es schon in einer alten Braunschweiger Schul¬
ordnung.

Aber dieses Wohlwollen und die Erkenntnis der Ersprießlichkeit streng ge¬
regelter Lehreinrichtungen auch für die "höhern Töchter" zeigte sich erst in
späterer Zeit. Da vorwiegend nur sittliche und ideale Interessen dabei ins
Spiel kamen, wogegen für den Vortritt des Bildungswesens der männlichen
Jugend stets sehr materielle Interessen den Ausschlag gaben, wie denn z. B.
auf dem Gebiete der Töchterschule der Druck des Berechtigungssystems natürlich
ganz wegfiel, so geschah lange Zeit immer noch wenig genug. Deshalb konnte
noch vor ungefähr zwei Jahrzehnten ein hochgestellter Pädagoge sagen, das
Mädchenschulwesen gleiche einem Garten mit manchem wohlgepflegten Beete,
manchem Baum, der edle Früchte trage und noch mehr verspreche, aber auch
mit mancherlei üppig wucherndem Unkraut. Das Unkraut waren eben jene ge¬
schilderten undeutschen Institute oder die deMix rösten davon.

Das angeführte Urteil hätte hinzufügen können, auch manch zartes Pflanz-


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Ja man ist noch einen Schritt weiter gegangen und bezeichnet in ein¬
zelnen deutschen Staaten mit diesem Namen gegenwärtig solche nach bestimmten
Vorschriften eingerichtete höhere Bildungsanstalten für Mädchen, die im Range
neben den Gymnasien und Realanstalten stehen und deren Lehrer dieselben
Pflichten zu erfüllen haben wie die andern höhern Lehrer und auch gleiche
Rechte mit ihnen genießen.

Aber bevor dieses Ziel annähernd erreicht wurde, war ein langer und
mühevoller Weg für die Mädchenschulen und deren Vertreter zurückzulegen,
obschon die Strecke von Zürich nach Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt oder
Dresden, wo durch Verfügung die höhern Mädchenschulen zu den höhern Schulen
im gesetzlichen Sinne gerechnet werden, nicht gar so weit scheint. Aber mühe¬
voll war er auf alle Fälle.

Hatte sich, schon im vorigen Jahrhundert, die gute Einrichtung von der
Schweiz aus nach Deutschland verbreitet, so entstanden damals auch in den
deutschen Städten selber, unabhängig davon, gehobene Mädchenschulen, die teils
aus den Volksschulen herauswuchsen, teils sich an Stiftungen anlehnten, teils
von Städten, ja sogar von Fürsten begründet wurden. So hatte z. B. Schillers
Dionys, „als er aufhörte, ein Tyrann zu sein und Schulmeisterlein wurde,"
wie Schubart spottet, Karl Egon, Herzog von Württemberg, außer der be¬
kannten Karlsschule auch ein Fräuleinstift errichtet. Namentlich gingen die¬
jenigen deutschen Städte mit der Gründung zeitgemäßer Bildungsanstalten für
Mädchen vor, welche sich schon früher, gleich nach der Einführung der Refor¬
mation, um das Schulwesen verdient gemacht hatten. Die „Bürgermeister und
Ratsherren" der betreffenden Städte hatten die Mahnung Luthers nicht nur nicht
vergessen, daß sie „christliche Schulen aufrichten und halten sollten," sie vergaßen
auch das weibliche Geschlecht dabei nicht. „Die Jungfrawen-Schulen seindt sehr
nützlich vnd wol erdacht," heißt es schon in einer alten Braunschweiger Schul¬
ordnung.

Aber dieses Wohlwollen und die Erkenntnis der Ersprießlichkeit streng ge¬
regelter Lehreinrichtungen auch für die „höhern Töchter" zeigte sich erst in
späterer Zeit. Da vorwiegend nur sittliche und ideale Interessen dabei ins
Spiel kamen, wogegen für den Vortritt des Bildungswesens der männlichen
Jugend stets sehr materielle Interessen den Ausschlag gaben, wie denn z. B.
auf dem Gebiete der Töchterschule der Druck des Berechtigungssystems natürlich
ganz wegfiel, so geschah lange Zeit immer noch wenig genug. Deshalb konnte
noch vor ungefähr zwei Jahrzehnten ein hochgestellter Pädagoge sagen, das
Mädchenschulwesen gleiche einem Garten mit manchem wohlgepflegten Beete,
manchem Baum, der edle Früchte trage und noch mehr verspreche, aber auch
mit mancherlei üppig wucherndem Unkraut. Das Unkraut waren eben jene ge¬
schilderten undeutschen Institute oder die deMix rösten davon.

Das angeführte Urteil hätte hinzufügen können, auch manch zartes Pflanz-


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[0557] Die Bildung der Töchter höherer Stände. Ja man ist noch einen Schritt weiter gegangen und bezeichnet in ein¬ zelnen deutschen Staaten mit diesem Namen gegenwärtig solche nach bestimmten Vorschriften eingerichtete höhere Bildungsanstalten für Mädchen, die im Range neben den Gymnasien und Realanstalten stehen und deren Lehrer dieselben Pflichten zu erfüllen haben wie die andern höhern Lehrer und auch gleiche Rechte mit ihnen genießen. Aber bevor dieses Ziel annähernd erreicht wurde, war ein langer und mühevoller Weg für die Mädchenschulen und deren Vertreter zurückzulegen, obschon die Strecke von Zürich nach Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt oder Dresden, wo durch Verfügung die höhern Mädchenschulen zu den höhern Schulen im gesetzlichen Sinne gerechnet werden, nicht gar so weit scheint. Aber mühe¬ voll war er auf alle Fälle. Hatte sich, schon im vorigen Jahrhundert, die gute Einrichtung von der Schweiz aus nach Deutschland verbreitet, so entstanden damals auch in den deutschen Städten selber, unabhängig davon, gehobene Mädchenschulen, die teils aus den Volksschulen herauswuchsen, teils sich an Stiftungen anlehnten, teils von Städten, ja sogar von Fürsten begründet wurden. So hatte z. B. Schillers Dionys, „als er aufhörte, ein Tyrann zu sein und Schulmeisterlein wurde," wie Schubart spottet, Karl Egon, Herzog von Württemberg, außer der be¬ kannten Karlsschule auch ein Fräuleinstift errichtet. Namentlich gingen die¬ jenigen deutschen Städte mit der Gründung zeitgemäßer Bildungsanstalten für Mädchen vor, welche sich schon früher, gleich nach der Einführung der Refor¬ mation, um das Schulwesen verdient gemacht hatten. Die „Bürgermeister und Ratsherren" der betreffenden Städte hatten die Mahnung Luthers nicht nur nicht vergessen, daß sie „christliche Schulen aufrichten und halten sollten," sie vergaßen auch das weibliche Geschlecht dabei nicht. „Die Jungfrawen-Schulen seindt sehr nützlich vnd wol erdacht," heißt es schon in einer alten Braunschweiger Schul¬ ordnung. Aber dieses Wohlwollen und die Erkenntnis der Ersprießlichkeit streng ge¬ regelter Lehreinrichtungen auch für die „höhern Töchter" zeigte sich erst in späterer Zeit. Da vorwiegend nur sittliche und ideale Interessen dabei ins Spiel kamen, wogegen für den Vortritt des Bildungswesens der männlichen Jugend stets sehr materielle Interessen den Ausschlag gaben, wie denn z. B. auf dem Gebiete der Töchterschule der Druck des Berechtigungssystems natürlich ganz wegfiel, so geschah lange Zeit immer noch wenig genug. Deshalb konnte noch vor ungefähr zwei Jahrzehnten ein hochgestellter Pädagoge sagen, das Mädchenschulwesen gleiche einem Garten mit manchem wohlgepflegten Beete, manchem Baum, der edle Früchte trage und noch mehr verspreche, aber auch mit mancherlei üppig wucherndem Unkraut. Das Unkraut waren eben jene ge¬ schilderten undeutschen Institute oder die deMix rösten davon. Das angeführte Urteil hätte hinzufügen können, auch manch zartes Pflanz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/557>, abgerufen am 28.09.2024.