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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Wie dachten sich nun die dorthin berufenen Fachgenossen, zu. denen auch
der Verfasser dieser Zeilen gehörte, die Absichten und Ziele des höhern Unter¬
richts für Mädchen?

Alle diejenigen Mädchenschulen, sagte man, welche über die Ziele der Volks¬
schule hinausgehen, haben die Aufgabe, der weiblichen Jugend in einer ihrer
Eigentümlichkeit entsprechenden Weise eine ähnliche allgemeine Bildung zu geben,
wie sie auch die über die Volksschule hinausgehenden Schulen für Knaben und
Jünglinge bezwecken, um sie dadurch zu befähigen, sich an dem Geistesleben der
Nation zu beteiligen und es mit den dem Weibe eigentümlichen Gaben zu
fördern. Das Bedürfnis aber einer Vorbildung für eine künftige Berufs¬
stellung muß durch besondre Einrichtungen ins Auge gefaßt werden.

Demnach soll die höhere Mädchenschule keinerlei Fachschule sein. Weder
Buchhaltung, noch gewerbsmäßiges Zeichnen, noch Krankenpflege und Anleitung
zur Kinderpflege, wie hervorragende Ärzte wünschten, die hin und wieder über
den weiblichen Beruf öffentlich gesprochen und geschrieben hatten, gehören in
den Lehrplan der Töchterschule. Sie erstrebt, wie die Weimarer Denkschrift es
ausdrückt, eine harmonische Ausbildung des Geistes, des Gemütes und des
Willens in religiös-nationalem Sinne auf einer das Leben und den Geschmack
berücksichtigenden Grundlage.

In Berlin wurde allseitig anerkannt, daß der Staat oder die Gemeinde
für Einrichtung und Unterhaltung der höhern Mädchenschulen ebenso zu sorgen
hätten, wie für die höhern Schulen der männlichen Jugend. Als Regel soll
gelten, daß die Schülerinnen mindestens in sieben selbständigen, streng von ein¬
ander gesonderten, aufsteigenden Klassen, welche sich auf drei Hauptstufen ver¬
teilen sollten, zu unterrichten seien. Diese höhere Schule sollte die Mädchen
vom vollendeten sechsten bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahre bean¬
spruchen und dreizehn oder vierzehn Lehrfächer umfassen, nämlich Religion,
Deutsch, zwei neuere fremde Sprachen (Französisch und Englisch), Rechnen ver¬
bunden mit Raumlehre, Naturgeschichte, Naturlehre (Physik und Chemie), Ge¬
schichte, Geographie, Gesang, Schreiben, Zeichnen, Handarbeit und Turnen. Auf
die Pflege des letztern Unterrichtsgegenstandes sollte durch Anstellung geeigneter
Lehrkräfte und vor allem Herstellung guter Turnhallen besonders Bedacht ge¬
nommen werden.

Die dort gesteckten Lehrziele haben allseitige Billigung gefunden, denn sie
Zeigen klar und deutlich, daß die Töchterschule durchaus kein Frauengymnasium
und auch keine Spur von einer weiblichen Akademie sein will. Im Gegenteil,
sie hält sich streng und bescheiden im Kreise des weiblichen Leistungsvermögens.

Von richtiger Auffassung zeugt es gewiß, wenn, beispielsweise im Deutschen,
verlangt wird -- wir wollen nicht sagen, nur verlangt wird --, daß die
Mädchen und Frauen später befähigt sein sollen "zu richtiger und gefälliger,
zusammenhängender, mündlicher und schriftlicher Darstellung von Gegenständen,


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Wie dachten sich nun die dorthin berufenen Fachgenossen, zu. denen auch
der Verfasser dieser Zeilen gehörte, die Absichten und Ziele des höhern Unter¬
richts für Mädchen?

Alle diejenigen Mädchenschulen, sagte man, welche über die Ziele der Volks¬
schule hinausgehen, haben die Aufgabe, der weiblichen Jugend in einer ihrer
Eigentümlichkeit entsprechenden Weise eine ähnliche allgemeine Bildung zu geben,
wie sie auch die über die Volksschule hinausgehenden Schulen für Knaben und
Jünglinge bezwecken, um sie dadurch zu befähigen, sich an dem Geistesleben der
Nation zu beteiligen und es mit den dem Weibe eigentümlichen Gaben zu
fördern. Das Bedürfnis aber einer Vorbildung für eine künftige Berufs¬
stellung muß durch besondre Einrichtungen ins Auge gefaßt werden.

Demnach soll die höhere Mädchenschule keinerlei Fachschule sein. Weder
Buchhaltung, noch gewerbsmäßiges Zeichnen, noch Krankenpflege und Anleitung
zur Kinderpflege, wie hervorragende Ärzte wünschten, die hin und wieder über
den weiblichen Beruf öffentlich gesprochen und geschrieben hatten, gehören in
den Lehrplan der Töchterschule. Sie erstrebt, wie die Weimarer Denkschrift es
ausdrückt, eine harmonische Ausbildung des Geistes, des Gemütes und des
Willens in religiös-nationalem Sinne auf einer das Leben und den Geschmack
berücksichtigenden Grundlage.

In Berlin wurde allseitig anerkannt, daß der Staat oder die Gemeinde
für Einrichtung und Unterhaltung der höhern Mädchenschulen ebenso zu sorgen
hätten, wie für die höhern Schulen der männlichen Jugend. Als Regel soll
gelten, daß die Schülerinnen mindestens in sieben selbständigen, streng von ein¬
ander gesonderten, aufsteigenden Klassen, welche sich auf drei Hauptstufen ver¬
teilen sollten, zu unterrichten seien. Diese höhere Schule sollte die Mädchen
vom vollendeten sechsten bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahre bean¬
spruchen und dreizehn oder vierzehn Lehrfächer umfassen, nämlich Religion,
Deutsch, zwei neuere fremde Sprachen (Französisch und Englisch), Rechnen ver¬
bunden mit Raumlehre, Naturgeschichte, Naturlehre (Physik und Chemie), Ge¬
schichte, Geographie, Gesang, Schreiben, Zeichnen, Handarbeit und Turnen. Auf
die Pflege des letztern Unterrichtsgegenstandes sollte durch Anstellung geeigneter
Lehrkräfte und vor allem Herstellung guter Turnhallen besonders Bedacht ge¬
nommen werden.

Die dort gesteckten Lehrziele haben allseitige Billigung gefunden, denn sie
Zeigen klar und deutlich, daß die Töchterschule durchaus kein Frauengymnasium
und auch keine Spur von einer weiblichen Akademie sein will. Im Gegenteil,
sie hält sich streng und bescheiden im Kreise des weiblichen Leistungsvermögens.

Von richtiger Auffassung zeugt es gewiß, wenn, beispielsweise im Deutschen,
verlangt wird — wir wollen nicht sagen, nur verlangt wird —, daß die
Mädchen und Frauen später befähigt sein sollen „zu richtiger und gefälliger,
zusammenhängender, mündlicher und schriftlicher Darstellung von Gegenständen,


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[0559] Die Bildung der Töchter höherer Stände. Wie dachten sich nun die dorthin berufenen Fachgenossen, zu. denen auch der Verfasser dieser Zeilen gehörte, die Absichten und Ziele des höhern Unter¬ richts für Mädchen? Alle diejenigen Mädchenschulen, sagte man, welche über die Ziele der Volks¬ schule hinausgehen, haben die Aufgabe, der weiblichen Jugend in einer ihrer Eigentümlichkeit entsprechenden Weise eine ähnliche allgemeine Bildung zu geben, wie sie auch die über die Volksschule hinausgehenden Schulen für Knaben und Jünglinge bezwecken, um sie dadurch zu befähigen, sich an dem Geistesleben der Nation zu beteiligen und es mit den dem Weibe eigentümlichen Gaben zu fördern. Das Bedürfnis aber einer Vorbildung für eine künftige Berufs¬ stellung muß durch besondre Einrichtungen ins Auge gefaßt werden. Demnach soll die höhere Mädchenschule keinerlei Fachschule sein. Weder Buchhaltung, noch gewerbsmäßiges Zeichnen, noch Krankenpflege und Anleitung zur Kinderpflege, wie hervorragende Ärzte wünschten, die hin und wieder über den weiblichen Beruf öffentlich gesprochen und geschrieben hatten, gehören in den Lehrplan der Töchterschule. Sie erstrebt, wie die Weimarer Denkschrift es ausdrückt, eine harmonische Ausbildung des Geistes, des Gemütes und des Willens in religiös-nationalem Sinne auf einer das Leben und den Geschmack berücksichtigenden Grundlage. In Berlin wurde allseitig anerkannt, daß der Staat oder die Gemeinde für Einrichtung und Unterhaltung der höhern Mädchenschulen ebenso zu sorgen hätten, wie für die höhern Schulen der männlichen Jugend. Als Regel soll gelten, daß die Schülerinnen mindestens in sieben selbständigen, streng von ein¬ ander gesonderten, aufsteigenden Klassen, welche sich auf drei Hauptstufen ver¬ teilen sollten, zu unterrichten seien. Diese höhere Schule sollte die Mädchen vom vollendeten sechsten bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahre bean¬ spruchen und dreizehn oder vierzehn Lehrfächer umfassen, nämlich Religion, Deutsch, zwei neuere fremde Sprachen (Französisch und Englisch), Rechnen ver¬ bunden mit Raumlehre, Naturgeschichte, Naturlehre (Physik und Chemie), Ge¬ schichte, Geographie, Gesang, Schreiben, Zeichnen, Handarbeit und Turnen. Auf die Pflege des letztern Unterrichtsgegenstandes sollte durch Anstellung geeigneter Lehrkräfte und vor allem Herstellung guter Turnhallen besonders Bedacht ge¬ nommen werden. Die dort gesteckten Lehrziele haben allseitige Billigung gefunden, denn sie Zeigen klar und deutlich, daß die Töchterschule durchaus kein Frauengymnasium und auch keine Spur von einer weiblichen Akademie sein will. Im Gegenteil, sie hält sich streng und bescheiden im Kreise des weiblichen Leistungsvermögens. Von richtiger Auffassung zeugt es gewiß, wenn, beispielsweise im Deutschen, verlangt wird — wir wollen nicht sagen, nur verlangt wird —, daß die Mädchen und Frauen später befähigt sein sollen „zu richtiger und gefälliger, zusammenhängender, mündlicher und schriftlicher Darstellung von Gegenständen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/559>, abgerufen am 28.09.2024.