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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

stammt aus jener Zeit. Wie der Franzose seine Töchter in die Klöster des
3g."r6 eozur that, so der Deutsche in die undeutschen Pensionate. Altdeutsch
deswegen, weil sie sich gewöhnlich in den Händen von Französinnen befanden,
über deren Vergangenheit wie über deren Wissen ein geheimnisvolles Dunkel
waltete. Unterrichtsgegenstände waren die falsche Anstandslehre des 1'rcMLssur
as ZrÄvg und ein "bischen Französisch." Aber keineswegs das der ^oacköiniv
traurig"?. Die Nuditäten der Mythologie bildeten eine reizende Unterhaltung.
Etwas Malerei und Flickarbeit wurden wohl auch gepflegt. Trotz der unbe¬
schreiblichen Oberflächlichkeit, die jedes derartige Institut an der Stirn trug,
konnten unsre guten Urahnen die Zeit nicht erwarten, bis sie ihre ehrsamen
Töchter einem solchen Hause anvertrauen konnten. Und wie kehrten die Mädchen
zurück? Verschroben und dem Vaterhause entfremdet, mit wertlosen und lücken¬
haften Kenntnissen, mit veränderter lächerlicher Frisur auf dem Kopfe und noch
lächerlicheren Dünkel im Kopfe, und dennoch zum Entzücken der thörichten Eltern!
Die Folgen einer solchen verwelschenden Erziehungsmethode lassen sich kaum er¬
messen, zumal wenn man bedenkt, daß sie beinahe ein Jahrhundert Mode war.
Und beinahe ein zweites Jahrhundert hat es gedauert, bevor sie mit allen ihren
Nachwirkungen ausgerottet werden konnte. Ja wer ganz scharf zusieht, meint
noch heute Spuren derselben zu erblicken, namentlich in dem "akademischen Jahre"
der Mädchen, d. h. in demjenigen, das sie nach der Schulzeit und vor dem
Eintritt in die Welt in der sogenannten "Pension" verbringen.

Die Morgenröte einer bessern, namentlich einer nationalen Mädchenerziehung
strahlte zuerst von der Schweiz aus, wo an des "schimmernden Sees Tranben-
gestaden" Bodmer, Breitinger, Sulzer und später Usteri dem französischen Ge¬
schmacke zuvörderst in der Poesie den Krieg erklärten und im Bunde mit Klop-
stock die Umkehr zur Natürlichkeit und Wahrheit bewirkten. Unter dem Einflüsse
dieser franzosenfeindlichen Richtung entstanden dort die ersten "Töchterschulen."
Auch der Name stammt daher. Bei billigen Späßen muß immer diese
Benennung herhalten. Man behauptet, folgerichtigerweise müßten die Gym¬
nasien und Realanstalten dann auch "Söhneschulen" heißen. Das wäre freilich
gegen den Sprachgebrauch, aber der Sache und dem tiefern Sinne nach nicht
so unrichtig. Es würde nämlich darauf hindeuten, daß die betreffende Schul¬
anstalt niemals das Verhältnis des Knaben zum Elternhause aus den Augen
verlieren solle, was nach der Ansicht der Gegenwart, wie eine starke Strömung
bekundet, kaum ausreichend geschieht. Daher auch die vielen Anklagen der
Eltern gegen die Schule. Auf das einträchtige Zusammenwirken von Schule
und Haus hat aber die Mädchenschule womöglich ein noch größeres Gewicht
zu legen als die Knabenschule. Und deshalb ist der Ausdruck "Töchterschule"
keineswegs so unsinnig, wie man nach oberflächlicher Erwägung meinen könnte.
Nichtsdestoweniger hat man jetzt amtlich und außeramtlich die Benennung "höhere
Mädchenschule" vorgezogen. Es klingt deutscher; Töchter erinnert an üllss.


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

stammt aus jener Zeit. Wie der Franzose seine Töchter in die Klöster des
3g.«r6 eozur that, so der Deutsche in die undeutschen Pensionate. Altdeutsch
deswegen, weil sie sich gewöhnlich in den Händen von Französinnen befanden,
über deren Vergangenheit wie über deren Wissen ein geheimnisvolles Dunkel
waltete. Unterrichtsgegenstände waren die falsche Anstandslehre des 1'rcMLssur
as ZrÄvg und ein „bischen Französisch." Aber keineswegs das der ^oacköiniv
traurig«?. Die Nuditäten der Mythologie bildeten eine reizende Unterhaltung.
Etwas Malerei und Flickarbeit wurden wohl auch gepflegt. Trotz der unbe¬
schreiblichen Oberflächlichkeit, die jedes derartige Institut an der Stirn trug,
konnten unsre guten Urahnen die Zeit nicht erwarten, bis sie ihre ehrsamen
Töchter einem solchen Hause anvertrauen konnten. Und wie kehrten die Mädchen
zurück? Verschroben und dem Vaterhause entfremdet, mit wertlosen und lücken¬
haften Kenntnissen, mit veränderter lächerlicher Frisur auf dem Kopfe und noch
lächerlicheren Dünkel im Kopfe, und dennoch zum Entzücken der thörichten Eltern!
Die Folgen einer solchen verwelschenden Erziehungsmethode lassen sich kaum er¬
messen, zumal wenn man bedenkt, daß sie beinahe ein Jahrhundert Mode war.
Und beinahe ein zweites Jahrhundert hat es gedauert, bevor sie mit allen ihren
Nachwirkungen ausgerottet werden konnte. Ja wer ganz scharf zusieht, meint
noch heute Spuren derselben zu erblicken, namentlich in dem „akademischen Jahre"
der Mädchen, d. h. in demjenigen, das sie nach der Schulzeit und vor dem
Eintritt in die Welt in der sogenannten „Pension" verbringen.

Die Morgenröte einer bessern, namentlich einer nationalen Mädchenerziehung
strahlte zuerst von der Schweiz aus, wo an des „schimmernden Sees Tranben-
gestaden" Bodmer, Breitinger, Sulzer und später Usteri dem französischen Ge¬
schmacke zuvörderst in der Poesie den Krieg erklärten und im Bunde mit Klop-
stock die Umkehr zur Natürlichkeit und Wahrheit bewirkten. Unter dem Einflüsse
dieser franzosenfeindlichen Richtung entstanden dort die ersten „Töchterschulen."
Auch der Name stammt daher. Bei billigen Späßen muß immer diese
Benennung herhalten. Man behauptet, folgerichtigerweise müßten die Gym¬
nasien und Realanstalten dann auch „Söhneschulen" heißen. Das wäre freilich
gegen den Sprachgebrauch, aber der Sache und dem tiefern Sinne nach nicht
so unrichtig. Es würde nämlich darauf hindeuten, daß die betreffende Schul¬
anstalt niemals das Verhältnis des Knaben zum Elternhause aus den Augen
verlieren solle, was nach der Ansicht der Gegenwart, wie eine starke Strömung
bekundet, kaum ausreichend geschieht. Daher auch die vielen Anklagen der
Eltern gegen die Schule. Auf das einträchtige Zusammenwirken von Schule
und Haus hat aber die Mädchenschule womöglich ein noch größeres Gewicht
zu legen als die Knabenschule. Und deshalb ist der Ausdruck „Töchterschule"
keineswegs so unsinnig, wie man nach oberflächlicher Erwägung meinen könnte.
Nichtsdestoweniger hat man jetzt amtlich und außeramtlich die Benennung „höhere
Mädchenschule" vorgezogen. Es klingt deutscher; Töchter erinnert an üllss.


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[0556] Die Bildung der Töchter höherer Stände. stammt aus jener Zeit. Wie der Franzose seine Töchter in die Klöster des 3g.«r6 eozur that, so der Deutsche in die undeutschen Pensionate. Altdeutsch deswegen, weil sie sich gewöhnlich in den Händen von Französinnen befanden, über deren Vergangenheit wie über deren Wissen ein geheimnisvolles Dunkel waltete. Unterrichtsgegenstände waren die falsche Anstandslehre des 1'rcMLssur as ZrÄvg und ein „bischen Französisch." Aber keineswegs das der ^oacköiniv traurig«?. Die Nuditäten der Mythologie bildeten eine reizende Unterhaltung. Etwas Malerei und Flickarbeit wurden wohl auch gepflegt. Trotz der unbe¬ schreiblichen Oberflächlichkeit, die jedes derartige Institut an der Stirn trug, konnten unsre guten Urahnen die Zeit nicht erwarten, bis sie ihre ehrsamen Töchter einem solchen Hause anvertrauen konnten. Und wie kehrten die Mädchen zurück? Verschroben und dem Vaterhause entfremdet, mit wertlosen und lücken¬ haften Kenntnissen, mit veränderter lächerlicher Frisur auf dem Kopfe und noch lächerlicheren Dünkel im Kopfe, und dennoch zum Entzücken der thörichten Eltern! Die Folgen einer solchen verwelschenden Erziehungsmethode lassen sich kaum er¬ messen, zumal wenn man bedenkt, daß sie beinahe ein Jahrhundert Mode war. Und beinahe ein zweites Jahrhundert hat es gedauert, bevor sie mit allen ihren Nachwirkungen ausgerottet werden konnte. Ja wer ganz scharf zusieht, meint noch heute Spuren derselben zu erblicken, namentlich in dem „akademischen Jahre" der Mädchen, d. h. in demjenigen, das sie nach der Schulzeit und vor dem Eintritt in die Welt in der sogenannten „Pension" verbringen. Die Morgenröte einer bessern, namentlich einer nationalen Mädchenerziehung strahlte zuerst von der Schweiz aus, wo an des „schimmernden Sees Tranben- gestaden" Bodmer, Breitinger, Sulzer und später Usteri dem französischen Ge¬ schmacke zuvörderst in der Poesie den Krieg erklärten und im Bunde mit Klop- stock die Umkehr zur Natürlichkeit und Wahrheit bewirkten. Unter dem Einflüsse dieser franzosenfeindlichen Richtung entstanden dort die ersten „Töchterschulen." Auch der Name stammt daher. Bei billigen Späßen muß immer diese Benennung herhalten. Man behauptet, folgerichtigerweise müßten die Gym¬ nasien und Realanstalten dann auch „Söhneschulen" heißen. Das wäre freilich gegen den Sprachgebrauch, aber der Sache und dem tiefern Sinne nach nicht so unrichtig. Es würde nämlich darauf hindeuten, daß die betreffende Schul¬ anstalt niemals das Verhältnis des Knaben zum Elternhause aus den Augen verlieren solle, was nach der Ansicht der Gegenwart, wie eine starke Strömung bekundet, kaum ausreichend geschieht. Daher auch die vielen Anklagen der Eltern gegen die Schule. Auf das einträchtige Zusammenwirken von Schule und Haus hat aber die Mädchenschule womöglich ein noch größeres Gewicht zu legen als die Knabenschule. Und deshalb ist der Ausdruck „Töchterschule" keineswegs so unsinnig, wie man nach oberflächlicher Erwägung meinen könnte. Nichtsdestoweniger hat man jetzt amtlich und außeramtlich die Benennung „höhere Mädchenschule" vorgezogen. Es klingt deutscher; Töchter erinnert an üllss.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/556>, abgerufen am 27.06.2024.