Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Die Bildung der Töchter höherer Stände. sich und andre den Kreis weiblicher geistiger Bethätigung für alle Zeiten zog. Indes, so sehr man auch die Königin Luise als Muster aller Frauen preist Es bleibt fast keine andre Erklärung übrig, als daß die Töchtererziehung Die Bildung der Töchter höherer Stände. sich und andre den Kreis weiblicher geistiger Bethätigung für alle Zeiten zog. Indes, so sehr man auch die Königin Luise als Muster aller Frauen preist Es bleibt fast keine andre Erklärung übrig, als daß die Töchtererziehung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202654"/> <fw type="header" place="top"> Die Bildung der Töchter höherer Stände.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2052" prev="#ID_2051"> sich und andre den Kreis weiblicher geistiger Bethätigung für alle Zeiten zog.<lb/> Zugleich war sie dem deutschen Frauengeschlechte das lebendige Beispiel, wie eine<lb/> Frau, und eine deutsche Frau, empfinden und denken soll. Mit Recht sind viele<lb/> in ihrem Sinne thätige Stiftungen und Schulen auch nach ihr benannt worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2053"> Indes, so sehr man auch die Königin Luise als Muster aller Frauen preist<lb/> und gern anführt, im Grunde haben die zunächst beteiligten Kreise ihr Wesen<lb/> doch noch kaum erfaßt. Bis auf den heutigen Tag gilt unter den Frauen auch<lb/> für den geistigen Geschmack — Ausnahmen erhärten bekanntlich die Regel —<lb/> noch zu sehr der Flitterkram. Das mag ebenfalls seinen physiologischen Grund<lb/> haben. Dennoch muß nach dem Fouqueschen Worte wieder und wieder darauf<lb/> hingewiesen werden. Am auffallendsten tritt die Erscheinung in folgendem cha¬<lb/> rakteristischen Zuge zu tage. Während die Königin Luise trotz ihrer französischen<lb/> Erziehung, wie sie damals leider an den deutschen Höfen Brauch war, und<lb/> trotzdem, daß sie gewandte französische Briefe schrieb, nach Herz und Gesinnung<lb/> die Deutscheste aller Deutschen war und blieb, kommt manche feine und feinste<lb/> Dame bei uns noch zu leicht in Zwiespalt mit sich, wenn sie zwischen einem<lb/> welschen und einem deutschen Erzeugnis wählen soll. Das geistige Gebiet ist<lb/> dabei nicht ausgeschlossen. Es wäre abgeschmackt, auf Einzelheiten, wie z. B.<lb/> auf die Tournüre, einzugehen. Aber welche Bezugsquelle hält manche deutsche<lb/> Frau der obern Zehntausend bei der Auswahl ihrer Kleidung für vornehmer,<lb/> einen deutschen Fabrikort oder Paris? Und woher kommt es, daß die ver-<lb/> welschten Romane einer Ossip Schubin oder eines Emil Mario Vaccino mit<lb/> ihrem entsetzlichen Deutsch von der Frauenwelt förmlich verschlungen werden?<lb/> Wie war es möglich, daß während des Krieges in den Jahren 1870/71 deutsche<lb/> Frauen — wenn auch nur vereinzelt — den Erbfeinden allen Ernstes huldigen<lb/> konnten?</p><lb/> <p xml:id="ID_2054" next="#ID_2055"> Es bleibt fast keine andre Erklärung übrig, als daß die Töchtererziehung<lb/> damals nicht die richtigen Wege eingeschlagen hatte. Der Bahn der Sonne,<lb/> die nach Westen ging, ist der Deutsche lange Zeit gedankenlos gefolgt. Der<lb/> schädliche Einfluß undeutschen Wesens schreibt sich nicht von heute oder gestern<lb/> her. Bereits vor mehreren Jahrhunderten, als der dreißigjährige Krieg den<lb/> Wohlstand der deutschen Städte vernichtet hatte, strahlte das Reich jenseits der<lb/> Vogesen in vollem Glänze. Damals war das goldne Zeitalter der französischen<lb/> Litteratur, und in jeder andern Beziehung gab Frankreich den Ton an. Der<lb/> Hof von Versailles war nicht nur das Vorbild für die deutschen Höfe, einige<lb/> wenige ausgenommen, sondern die Nachahmungssucht, den Deutschen leider<lb/> eigentümlich, sickerte auch weiter hinunter in die breitern Schichten des Volkes.<lb/> So ist es erklärlich, daß im vorigen und vorvorigen Jahrhundert alles, was<lb/> französischen Ursprungs war, auch eorum,« it und und olle, sein mußte, wenn<lb/> es im Grunde auch anstößig oder unfein war. Alles aber, was deutsch war,<lb/> war gleichbedeutend mit dumm und tölpelhaft. Der Ehrentitel deutscher Bär</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0555]
Die Bildung der Töchter höherer Stände.
sich und andre den Kreis weiblicher geistiger Bethätigung für alle Zeiten zog.
Zugleich war sie dem deutschen Frauengeschlechte das lebendige Beispiel, wie eine
Frau, und eine deutsche Frau, empfinden und denken soll. Mit Recht sind viele
in ihrem Sinne thätige Stiftungen und Schulen auch nach ihr benannt worden.
Indes, so sehr man auch die Königin Luise als Muster aller Frauen preist
und gern anführt, im Grunde haben die zunächst beteiligten Kreise ihr Wesen
doch noch kaum erfaßt. Bis auf den heutigen Tag gilt unter den Frauen auch
für den geistigen Geschmack — Ausnahmen erhärten bekanntlich die Regel —
noch zu sehr der Flitterkram. Das mag ebenfalls seinen physiologischen Grund
haben. Dennoch muß nach dem Fouqueschen Worte wieder und wieder darauf
hingewiesen werden. Am auffallendsten tritt die Erscheinung in folgendem cha¬
rakteristischen Zuge zu tage. Während die Königin Luise trotz ihrer französischen
Erziehung, wie sie damals leider an den deutschen Höfen Brauch war, und
trotzdem, daß sie gewandte französische Briefe schrieb, nach Herz und Gesinnung
die Deutscheste aller Deutschen war und blieb, kommt manche feine und feinste
Dame bei uns noch zu leicht in Zwiespalt mit sich, wenn sie zwischen einem
welschen und einem deutschen Erzeugnis wählen soll. Das geistige Gebiet ist
dabei nicht ausgeschlossen. Es wäre abgeschmackt, auf Einzelheiten, wie z. B.
auf die Tournüre, einzugehen. Aber welche Bezugsquelle hält manche deutsche
Frau der obern Zehntausend bei der Auswahl ihrer Kleidung für vornehmer,
einen deutschen Fabrikort oder Paris? Und woher kommt es, daß die ver-
welschten Romane einer Ossip Schubin oder eines Emil Mario Vaccino mit
ihrem entsetzlichen Deutsch von der Frauenwelt förmlich verschlungen werden?
Wie war es möglich, daß während des Krieges in den Jahren 1870/71 deutsche
Frauen — wenn auch nur vereinzelt — den Erbfeinden allen Ernstes huldigen
konnten?
Es bleibt fast keine andre Erklärung übrig, als daß die Töchtererziehung
damals nicht die richtigen Wege eingeschlagen hatte. Der Bahn der Sonne,
die nach Westen ging, ist der Deutsche lange Zeit gedankenlos gefolgt. Der
schädliche Einfluß undeutschen Wesens schreibt sich nicht von heute oder gestern
her. Bereits vor mehreren Jahrhunderten, als der dreißigjährige Krieg den
Wohlstand der deutschen Städte vernichtet hatte, strahlte das Reich jenseits der
Vogesen in vollem Glänze. Damals war das goldne Zeitalter der französischen
Litteratur, und in jeder andern Beziehung gab Frankreich den Ton an. Der
Hof von Versailles war nicht nur das Vorbild für die deutschen Höfe, einige
wenige ausgenommen, sondern die Nachahmungssucht, den Deutschen leider
eigentümlich, sickerte auch weiter hinunter in die breitern Schichten des Volkes.
So ist es erklärlich, daß im vorigen und vorvorigen Jahrhundert alles, was
französischen Ursprungs war, auch eorum,« it und und olle, sein mußte, wenn
es im Grunde auch anstößig oder unfein war. Alles aber, was deutsch war,
war gleichbedeutend mit dumm und tölpelhaft. Der Ehrentitel deutscher Bär
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |