Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Lin böser Geist im heutigen England. nur in England zu findenden Erzeugnissen zuzuschreiben? Die insulare Lage Lin böser Geist im heutigen England. nur in England zu findenden Erzeugnissen zuzuschreiben? Die insulare Lage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0543" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202642"/> <fw type="header" place="top"> Lin böser Geist im heutigen England.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2025" prev="#ID_2024" next="#ID_2026"> nur in England zu findenden Erzeugnissen zuzuschreiben? Die insulare Lage<lb/> des Landes kann es nicht sein; denn andre Inseln sind nicht vom Carl befallen,<lb/> nicht einmal der katholische Teil Irlands. Diese Lage und die daraus folgende<lb/> Sicherheit vor fremdem Angriffe kann nur Ursache davon sein, daß der Carl<lb/> diesen Insulanern noch nicht mit Schlägen ausgetrieben worden ist. Auch die<lb/> Regierungsform Englands kann nicht schuld daran sein, denn Länder, die ähnlich<lb/> regiert werden, kennen keinen echten Carl. Kann er im Charakterkern der englischen<lb/> Nasse liegen? Vielleicht ein wenig; denn die ältere englische Geschichte berichtet<lb/> von einigen Beispielen gleißnerischer Verstellung, welche schwer von der Art zu<lb/> unterscheiden sind, die wir hier behandeln. Richard der Dritte mit seiner ängstlichen<lb/> Besorgnis um das Wohlergehen seiner Neffen, die Königin Elisabeth mit ihrem<lb/> zarten Bedauern nach der von ihr befohlenen Enthauptung der Maria Stuart<lb/> lassen vermuten, daß der Carl hier frühzeitig knospte. Aber, es giebt Engländer,<lb/> die unter veränderten Bedingungen leben und verhältnismäßig frei von dieser Un¬<lb/> tugend sind, die Amerikaner z. V., die nichts von einer Staatskirche mit ihrem<lb/> Einflüsse auf die Gesellschaft wissen, und mitten in dem großen Hexenkessel des<lb/> englischen Carl die niedern Klaffen, auf deren Dichten und Trachten jene Kirche<lb/> keinerlei Einfluß hat. Also wäre in letzterer der Ursprung des Übels zu suchen?<lb/> In der That, Whitman findet ihn hier. Johannes Scherr, der neben vielen<lb/> krassen Gedanken auch manchen guten ausgesprochen hat, sagt von der angli¬<lb/> kanischen Kirche: „Ein Erzeugnis der ehebrecherischen Verrücktheit Heinrichs des<lb/> Achten, ist sie niemals imstande gewesen, die Spuren ihres unsaubern Ur¬<lb/> sprungs auszutilgen." Daran anknüpfend bemerkt Whitman: „Als unsre Exe¬<lb/> kutive, an der Spitze Seine allergnädigste Majestät Heinrich der Achte, sich von<lb/> der Kirche Roms lossagte und England durch Parlamentsakte zum Vorkämpfer<lb/> des Protestantismus ausrief, zerschnitt sie die Gemeinschaft mit einer eisernen<lb/> Hierarchie, beherrscht und geleitet im Interesse eines großenteils auf Gefühle<lb/> und Phantasie gegründeten und an sie appcllirenden Glaubensbekenntnisses.<lb/> Wir nahmen pharisäisch etwas besseres an, eine eigne auf die herrschende Klasse<lb/> berechnete Ausgabe des Werkes, welche beinahe alles beseitigte, was das Lebens¬<lb/> element der katholischen Kirche ausmacht. Unzweifelhaft warfen wir auch ihre Mi߬<lb/> bräuche ab, von denen indes viele nur zeitweilige waren, wogegen wir in unser<lb/> neues Bekenntnis — Dogmen kommen dabei nicht in Betracht — weltliche<lb/> Zahler aufnahmen, die wie ein Nessushemd bis auf den heutigen Tag an uns<lb/> haften. Heinrich der Achte beraubte die Kirche und mit ihr die Armen, denen<lb/> !nach Egberts Statuten^ ein Drittel des Kirchengutes zugewiesen war. Ungleich<lb/> den Protestanten andrer Länder behielten wir den äußern Charakter der katho¬<lb/> lischen Kirche, vor allem ihre mächtige Hierarchie bei. Nicht mehr mächtig in<lb/> S"chen des Dogmas und der Politik gegenüber dem Staate, wurden unsre<lb/> Geistliche jetzt, wo ihnen gestattet war, zu heiraten und eine Familie zu gründen,<lb/> soziale Macht, die sie bis auf den heutigen Tag geblieben sind. Das Vor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0543]
Lin böser Geist im heutigen England.
nur in England zu findenden Erzeugnissen zuzuschreiben? Die insulare Lage
des Landes kann es nicht sein; denn andre Inseln sind nicht vom Carl befallen,
nicht einmal der katholische Teil Irlands. Diese Lage und die daraus folgende
Sicherheit vor fremdem Angriffe kann nur Ursache davon sein, daß der Carl
diesen Insulanern noch nicht mit Schlägen ausgetrieben worden ist. Auch die
Regierungsform Englands kann nicht schuld daran sein, denn Länder, die ähnlich
regiert werden, kennen keinen echten Carl. Kann er im Charakterkern der englischen
Nasse liegen? Vielleicht ein wenig; denn die ältere englische Geschichte berichtet
von einigen Beispielen gleißnerischer Verstellung, welche schwer von der Art zu
unterscheiden sind, die wir hier behandeln. Richard der Dritte mit seiner ängstlichen
Besorgnis um das Wohlergehen seiner Neffen, die Königin Elisabeth mit ihrem
zarten Bedauern nach der von ihr befohlenen Enthauptung der Maria Stuart
lassen vermuten, daß der Carl hier frühzeitig knospte. Aber, es giebt Engländer,
die unter veränderten Bedingungen leben und verhältnismäßig frei von dieser Un¬
tugend sind, die Amerikaner z. V., die nichts von einer Staatskirche mit ihrem
Einflüsse auf die Gesellschaft wissen, und mitten in dem großen Hexenkessel des
englischen Carl die niedern Klaffen, auf deren Dichten und Trachten jene Kirche
keinerlei Einfluß hat. Also wäre in letzterer der Ursprung des Übels zu suchen?
In der That, Whitman findet ihn hier. Johannes Scherr, der neben vielen
krassen Gedanken auch manchen guten ausgesprochen hat, sagt von der angli¬
kanischen Kirche: „Ein Erzeugnis der ehebrecherischen Verrücktheit Heinrichs des
Achten, ist sie niemals imstande gewesen, die Spuren ihres unsaubern Ur¬
sprungs auszutilgen." Daran anknüpfend bemerkt Whitman: „Als unsre Exe¬
kutive, an der Spitze Seine allergnädigste Majestät Heinrich der Achte, sich von
der Kirche Roms lossagte und England durch Parlamentsakte zum Vorkämpfer
des Protestantismus ausrief, zerschnitt sie die Gemeinschaft mit einer eisernen
Hierarchie, beherrscht und geleitet im Interesse eines großenteils auf Gefühle
und Phantasie gegründeten und an sie appcllirenden Glaubensbekenntnisses.
Wir nahmen pharisäisch etwas besseres an, eine eigne auf die herrschende Klasse
berechnete Ausgabe des Werkes, welche beinahe alles beseitigte, was das Lebens¬
element der katholischen Kirche ausmacht. Unzweifelhaft warfen wir auch ihre Mi߬
bräuche ab, von denen indes viele nur zeitweilige waren, wogegen wir in unser
neues Bekenntnis — Dogmen kommen dabei nicht in Betracht — weltliche
Zahler aufnahmen, die wie ein Nessushemd bis auf den heutigen Tag an uns
haften. Heinrich der Achte beraubte die Kirche und mit ihr die Armen, denen
!nach Egberts Statuten^ ein Drittel des Kirchengutes zugewiesen war. Ungleich
den Protestanten andrer Länder behielten wir den äußern Charakter der katho¬
lischen Kirche, vor allem ihre mächtige Hierarchie bei. Nicht mehr mächtig in
S"chen des Dogmas und der Politik gegenüber dem Staate, wurden unsre
Geistliche jetzt, wo ihnen gestattet war, zu heiraten und eine Familie zu gründen,
soziale Macht, die sie bis auf den heutigen Tag geblieben sind. Das Vor-
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