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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Im Mondschein mit Goethe.

Ob ich dann


In dem stillen Mondenscheine
Wandelt' schmachtend und Meine

(Claudine von Villa Bella)

oder


weinte jammernd in mein Saitenspiel,
Der Thau der Nacht benetzte mein Kleider,

stets schien


(Ebenda.)
Der hohe Mond mir tröstend zu verweilen.

Das Bild der noch nicht von mir verstandenen, oder der zwar gewonnenen, aber
fernen oder schmollenden Geliebten, es stand dann nie mehr vor mir als die
leuchtende Lichtgestalt, der ich mit Wonneschauern das Mark meines Lebens
zum Verzehren dahingegeben hätte, sondern immer nur wie ein mild leuchtender,
die Wangen der Leidenschaft mir glättender Friedensengel, nicht mehr als die
Sonne, nur noch als der Mond meines Lebens, nicht mehr überstrahlend den
"lieblichen, ladenden Glanz" des nächtlichen Lichtspenders, sondern ich sang mit
dem Dichter:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu sehn;
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir geschehn!

(Jägers Abendlied.)

Friede! Ja "Friede auf Erden und den Meuscheu ein Wohlgefallen!"
Aber auch "Ehre sei Gott in der Höhe!" predigt uns der treue Geführte unsrer
Abendstunden -- freilich nicht jenem Gotte der Bibel, der, von Engeln uin-
sungen, auf dem Zenith des blauen Himmelsgewölbes in unerreichbarer Höhe
über uns thront, uns segnend oder strafend, je nachdem wir es verdienen, son¬
dern dem allumfassenden, alldurchdringenden Weltgeist, der da lebt und atmet
im Sphärenklang der rollenden Welten so gut wie in unserm erkennenden Geiste,
in dem Blütenduft des knospenden Baumes und in dem Klingen des berstenden
Felsgesteins -- zu ihm hebt er uns hinauf, über unser irdisches Leben und Em¬
pfinden hoch hinauf, über Tod und Grab hinweg zur Gewißheit ewigen Lebens!


Hebe uns an deine Seite!

Dieser Dichterruf ergeht nie vergebens an unsern himmlischen Freund, wenn wir
seiner einmal im höhern Sinne gedenken als eines Wesens mit Berechtigung des
Daseins um seiner selbst willen, ohne Beziehung auf unser persönliches Seelenleben.
Wie lange hat man sich gesträubt, ihn als ein solches Wesen anzuerkennen!

Zuerst sollte er nur eine Leuchte sein, von Gott-Vater ausgehängt, um
die Nacht der Erde, damals des Weltalls, uns Kindern freundlich zu erhellen.
Dann rückte er auf zu einem Welteuball, man gestand ihm das Recht zu, um
die Erde als selbständiger Körper kreisen zu dürfen, wie man dies der Sonne
auch gestattete; doch waren beide immer noch nichts als dienende Begleiter der
Mutter Erde, um ihretwillen erschaffen. Endlich kehrte sich alles um und um;


Im Mondschein mit Goethe.

Ob ich dann


In dem stillen Mondenscheine
Wandelt' schmachtend und Meine

(Claudine von Villa Bella)

oder


weinte jammernd in mein Saitenspiel,
Der Thau der Nacht benetzte mein Kleider,

stets schien


(Ebenda.)
Der hohe Mond mir tröstend zu verweilen.

Das Bild der noch nicht von mir verstandenen, oder der zwar gewonnenen, aber
fernen oder schmollenden Geliebten, es stand dann nie mehr vor mir als die
leuchtende Lichtgestalt, der ich mit Wonneschauern das Mark meines Lebens
zum Verzehren dahingegeben hätte, sondern immer nur wie ein mild leuchtender,
die Wangen der Leidenschaft mir glättender Friedensengel, nicht mehr als die
Sonne, nur noch als der Mond meines Lebens, nicht mehr überstrahlend den
„lieblichen, ladenden Glanz" des nächtlichen Lichtspenders, sondern ich sang mit
dem Dichter:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu sehn;
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir geschehn!

(Jägers Abendlied.)

Friede! Ja „Friede auf Erden und den Meuscheu ein Wohlgefallen!"
Aber auch „Ehre sei Gott in der Höhe!" predigt uns der treue Geführte unsrer
Abendstunden — freilich nicht jenem Gotte der Bibel, der, von Engeln uin-
sungen, auf dem Zenith des blauen Himmelsgewölbes in unerreichbarer Höhe
über uns thront, uns segnend oder strafend, je nachdem wir es verdienen, son¬
dern dem allumfassenden, alldurchdringenden Weltgeist, der da lebt und atmet
im Sphärenklang der rollenden Welten so gut wie in unserm erkennenden Geiste,
in dem Blütenduft des knospenden Baumes und in dem Klingen des berstenden
Felsgesteins — zu ihm hebt er uns hinauf, über unser irdisches Leben und Em¬
pfinden hoch hinauf, über Tod und Grab hinweg zur Gewißheit ewigen Lebens!


Hebe uns an deine Seite!

Dieser Dichterruf ergeht nie vergebens an unsern himmlischen Freund, wenn wir
seiner einmal im höhern Sinne gedenken als eines Wesens mit Berechtigung des
Daseins um seiner selbst willen, ohne Beziehung auf unser persönliches Seelenleben.
Wie lange hat man sich gesträubt, ihn als ein solches Wesen anzuerkennen!

Zuerst sollte er nur eine Leuchte sein, von Gott-Vater ausgehängt, um
die Nacht der Erde, damals des Weltalls, uns Kindern freundlich zu erhellen.
Dann rückte er auf zu einem Welteuball, man gestand ihm das Recht zu, um
die Erde als selbständiger Körper kreisen zu dürfen, wie man dies der Sonne
auch gestattete; doch waren beide immer noch nichts als dienende Begleiter der
Mutter Erde, um ihretwillen erschaffen. Endlich kehrte sich alles um und um;


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[0520] Im Mondschein mit Goethe. Ob ich dann In dem stillen Mondenscheine Wandelt' schmachtend und Meine (Claudine von Villa Bella) oder weinte jammernd in mein Saitenspiel, Der Thau der Nacht benetzte mein Kleider, stets schien (Ebenda.) Der hohe Mond mir tröstend zu verweilen. Das Bild der noch nicht von mir verstandenen, oder der zwar gewonnenen, aber fernen oder schmollenden Geliebten, es stand dann nie mehr vor mir als die leuchtende Lichtgestalt, der ich mit Wonneschauern das Mark meines Lebens zum Verzehren dahingegeben hätte, sondern immer nur wie ein mild leuchtender, die Wangen der Leidenschaft mir glättender Friedensengel, nicht mehr als die Sonne, nur noch als der Mond meines Lebens, nicht mehr überstrahlend den „lieblichen, ladenden Glanz" des nächtlichen Lichtspenders, sondern ich sang mit dem Dichter: Mir ist es, denk ich nur an dich, Als in den Mond zu sehn; Ein stiller Friede kommt auf mich, Weiß nicht, wie mir geschehn! (Jägers Abendlied.) Friede! Ja „Friede auf Erden und den Meuscheu ein Wohlgefallen!" Aber auch „Ehre sei Gott in der Höhe!" predigt uns der treue Geführte unsrer Abendstunden — freilich nicht jenem Gotte der Bibel, der, von Engeln uin- sungen, auf dem Zenith des blauen Himmelsgewölbes in unerreichbarer Höhe über uns thront, uns segnend oder strafend, je nachdem wir es verdienen, son¬ dern dem allumfassenden, alldurchdringenden Weltgeist, der da lebt und atmet im Sphärenklang der rollenden Welten so gut wie in unserm erkennenden Geiste, in dem Blütenduft des knospenden Baumes und in dem Klingen des berstenden Felsgesteins — zu ihm hebt er uns hinauf, über unser irdisches Leben und Em¬ pfinden hoch hinauf, über Tod und Grab hinweg zur Gewißheit ewigen Lebens! Hebe uns an deine Seite! Dieser Dichterruf ergeht nie vergebens an unsern himmlischen Freund, wenn wir seiner einmal im höhern Sinne gedenken als eines Wesens mit Berechtigung des Daseins um seiner selbst willen, ohne Beziehung auf unser persönliches Seelenleben. Wie lange hat man sich gesträubt, ihn als ein solches Wesen anzuerkennen! Zuerst sollte er nur eine Leuchte sein, von Gott-Vater ausgehängt, um die Nacht der Erde, damals des Weltalls, uns Kindern freundlich zu erhellen. Dann rückte er auf zu einem Welteuball, man gestand ihm das Recht zu, um die Erde als selbständiger Körper kreisen zu dürfen, wie man dies der Sonne auch gestattete; doch waren beide immer noch nichts als dienende Begleiter der Mutter Erde, um ihretwillen erschaffen. Endlich kehrte sich alles um und um;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/520>, abgerufen am 27.06.2024.