Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Mondschein mit Goethe.

Auch ich bin jung gewesen, ehe ich alt wurde, lieber Leser, auch in mir
hat er gesprüht, jener einzige Gottesfunke, der uns vergewissert, daß wir ein
Teilchen, wenn auch nur ein winziges Teilchen, des in ewiger Glückseligkeit
schaffenden Weltgeistes sind -- die Liebe! Wir armen Sterblichen! Wir fühlen
diesen Funken in uns, wir spielen mit ihm, und ehe wir uns dessen versehen,
flammt er in uns auf zu versengender Lohe und würde uns verzehren, wenn
nicht tausend Aufdringlichkeiten des täglichen Lebens -- von uns so verwünscht
und uns kurzsichtigen Staubgebornen doch so heilsam -- ihn immer wieder
dämpften! Wie schmerzlich wir das auch empfinden, es ist so, wird so sein
und muß so sein. Wir sind eben nicht reiner Geist, der in Liebe verglühen
kann, ohne seinen Bau zu verändern, wir sind Körper mit einem Hauch von
Gottesatem darin. Dieser Gottesatem soll uns erwärmen; dürften wir ihn an¬
fachen zu ganzer, voller, überirdischer Glut, er würde uns verzehren!

In wessen Brust hat jener Funke wohl zu höhern und immer wieder
neuen Flammen sich entzündet als in der des Altmeisters? Und wer hat wohl
bewußter und entschlossener ihn immer wieder ausgedrückt zu heimlichem Glimmen
als er?

Im Vollgefühle seiner Gottähnlichkeit hat er einmal, angelangt bei dem
Augenblicke, wo er den Kelchcsrand zum Genuß an die Lippen zu setzen im
Begriff war, der Geliebten zugesungcn:


Nacht! so wär' es denn Nacht!
Nun überscheinst du des Mondes
Lieblicher, ladenden Glanz!

(Gegenwart.)

Doch das ist nur Vergötterung des Augenblickes, ebenso wie sein andrer, aus
dem Orient entlehnter Gesang:


Die Sonne kommet Ein Prachtcrscheinen!
Der Sichelmond umklammert sie.
Wer konnte solches Paar vereinen?
Das Rätsel, wie erklärt sichs? Wie?
Du nennst mich, Liebchen, deine Sonne,
Komm süßer Mond, umklammre mich!

(Westöstlicher Divan.)

Auch die poetische Verklärung des Sinnlichen in der Liebe hat ihre Be¬
rechtigung bei Goethe. Aber doch nur, weil wir es wohl wissen, daß er auch
die Not der Selbstbeschränkung beim Emporlodern des göttlichen Funkens genau
kennt, und weil er auch dem wollüstigen Schmerz der Sehnsucht, der Ent¬
sagung, der Erinnerung seinen Tribut gezollt hat in ewig typischen Worten,
die ihm, als dem poetischen Allumfasser der Gefühle der gebildeten Menschheit,
wie bei allen, so auch bei diesen Regungen den Kranz der Unsterblichkeit auf
die Stirn gedrückt haben.

Und auch dabei hast du ihm wieder geleuchtet, hast du ihn wieder be¬
geistert, du magisches, alles beruhigendes, lösendes Mondlicht!


Im Mondschein mit Goethe.

Auch ich bin jung gewesen, ehe ich alt wurde, lieber Leser, auch in mir
hat er gesprüht, jener einzige Gottesfunke, der uns vergewissert, daß wir ein
Teilchen, wenn auch nur ein winziges Teilchen, des in ewiger Glückseligkeit
schaffenden Weltgeistes sind — die Liebe! Wir armen Sterblichen! Wir fühlen
diesen Funken in uns, wir spielen mit ihm, und ehe wir uns dessen versehen,
flammt er in uns auf zu versengender Lohe und würde uns verzehren, wenn
nicht tausend Aufdringlichkeiten des täglichen Lebens — von uns so verwünscht
und uns kurzsichtigen Staubgebornen doch so heilsam — ihn immer wieder
dämpften! Wie schmerzlich wir das auch empfinden, es ist so, wird so sein
und muß so sein. Wir sind eben nicht reiner Geist, der in Liebe verglühen
kann, ohne seinen Bau zu verändern, wir sind Körper mit einem Hauch von
Gottesatem darin. Dieser Gottesatem soll uns erwärmen; dürften wir ihn an¬
fachen zu ganzer, voller, überirdischer Glut, er würde uns verzehren!

In wessen Brust hat jener Funke wohl zu höhern und immer wieder
neuen Flammen sich entzündet als in der des Altmeisters? Und wer hat wohl
bewußter und entschlossener ihn immer wieder ausgedrückt zu heimlichem Glimmen
als er?

Im Vollgefühle seiner Gottähnlichkeit hat er einmal, angelangt bei dem
Augenblicke, wo er den Kelchcsrand zum Genuß an die Lippen zu setzen im
Begriff war, der Geliebten zugesungcn:


Nacht! so wär' es denn Nacht!
Nun überscheinst du des Mondes
Lieblicher, ladenden Glanz!

(Gegenwart.)

Doch das ist nur Vergötterung des Augenblickes, ebenso wie sein andrer, aus
dem Orient entlehnter Gesang:


Die Sonne kommet Ein Prachtcrscheinen!
Der Sichelmond umklammert sie.
Wer konnte solches Paar vereinen?
Das Rätsel, wie erklärt sichs? Wie?
Du nennst mich, Liebchen, deine Sonne,
Komm süßer Mond, umklammre mich!

(Westöstlicher Divan.)

Auch die poetische Verklärung des Sinnlichen in der Liebe hat ihre Be¬
rechtigung bei Goethe. Aber doch nur, weil wir es wohl wissen, daß er auch
die Not der Selbstbeschränkung beim Emporlodern des göttlichen Funkens genau
kennt, und weil er auch dem wollüstigen Schmerz der Sehnsucht, der Ent¬
sagung, der Erinnerung seinen Tribut gezollt hat in ewig typischen Worten,
die ihm, als dem poetischen Allumfasser der Gefühle der gebildeten Menschheit,
wie bei allen, so auch bei diesen Regungen den Kranz der Unsterblichkeit auf
die Stirn gedrückt haben.

Und auch dabei hast du ihm wieder geleuchtet, hast du ihn wieder be¬
geistert, du magisches, alles beruhigendes, lösendes Mondlicht!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202617"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Mondschein mit Goethe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1912"> Auch ich bin jung gewesen, ehe ich alt wurde, lieber Leser, auch in mir<lb/>
hat er gesprüht, jener einzige Gottesfunke, der uns vergewissert, daß wir ein<lb/>
Teilchen, wenn auch nur ein winziges Teilchen, des in ewiger Glückseligkeit<lb/>
schaffenden Weltgeistes sind &#x2014; die Liebe! Wir armen Sterblichen! Wir fühlen<lb/>
diesen Funken in uns, wir spielen mit ihm, und ehe wir uns dessen versehen,<lb/>
flammt er in uns auf zu versengender Lohe und würde uns verzehren, wenn<lb/>
nicht tausend Aufdringlichkeiten des täglichen Lebens &#x2014; von uns so verwünscht<lb/>
und uns kurzsichtigen Staubgebornen doch so heilsam &#x2014; ihn immer wieder<lb/>
dämpften! Wie schmerzlich wir das auch empfinden, es ist so, wird so sein<lb/>
und muß so sein. Wir sind eben nicht reiner Geist, der in Liebe verglühen<lb/>
kann, ohne seinen Bau zu verändern, wir sind Körper mit einem Hauch von<lb/>
Gottesatem darin. Dieser Gottesatem soll uns erwärmen; dürften wir ihn an¬<lb/>
fachen zu ganzer, voller, überirdischer Glut, er würde uns verzehren!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1913"> In wessen Brust hat jener Funke wohl zu höhern und immer wieder<lb/>
neuen Flammen sich entzündet als in der des Altmeisters? Und wer hat wohl<lb/>
bewußter und entschlossener ihn immer wieder ausgedrückt zu heimlichem Glimmen<lb/>
als er?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1914" next="#ID_1915"> Im Vollgefühle seiner Gottähnlichkeit hat er einmal, angelangt bei dem<lb/>
Augenblicke, wo er den Kelchcsrand zum Genuß an die Lippen zu setzen im<lb/>
Begriff war, der Geliebten zugesungcn:</p><lb/>
          <quote> Nacht! so wär' es denn Nacht!<lb/>
Nun überscheinst du des Mondes<lb/>
Lieblicher, ladenden Glanz!</quote><lb/>
          <note type="bibl"> (Gegenwart.)</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1915" prev="#ID_1914"> Doch das ist nur Vergötterung des Augenblickes, ebenso wie sein andrer, aus<lb/>
dem Orient entlehnter Gesang:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_46" type="poem">
              <l> Die Sonne kommet Ein Prachtcrscheinen!<lb/>
Der Sichelmond umklammert sie.<lb/>
Wer konnte solches Paar vereinen?<lb/>
Das Rätsel, wie erklärt sichs? Wie?<lb/>
Du nennst mich, Liebchen, deine Sonne,<lb/>
Komm süßer Mond, umklammre mich!  </l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <note type="bibl"> (Westöstlicher Divan.)</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1916"> Auch die poetische Verklärung des Sinnlichen in der Liebe hat ihre Be¬<lb/>
rechtigung bei Goethe. Aber doch nur, weil wir es wohl wissen, daß er auch<lb/>
die Not der Selbstbeschränkung beim Emporlodern des göttlichen Funkens genau<lb/>
kennt, und weil er auch dem wollüstigen Schmerz der Sehnsucht, der Ent¬<lb/>
sagung, der Erinnerung seinen Tribut gezollt hat in ewig typischen Worten,<lb/>
die ihm, als dem poetischen Allumfasser der Gefühle der gebildeten Menschheit,<lb/>
wie bei allen, so auch bei diesen Regungen den Kranz der Unsterblichkeit auf<lb/>
die Stirn gedrückt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1917"> Und auch dabei hast du ihm wieder geleuchtet, hast du ihn wieder be¬<lb/>
geistert, du magisches, alles beruhigendes, lösendes Mondlicht!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] Im Mondschein mit Goethe. Auch ich bin jung gewesen, ehe ich alt wurde, lieber Leser, auch in mir hat er gesprüht, jener einzige Gottesfunke, der uns vergewissert, daß wir ein Teilchen, wenn auch nur ein winziges Teilchen, des in ewiger Glückseligkeit schaffenden Weltgeistes sind — die Liebe! Wir armen Sterblichen! Wir fühlen diesen Funken in uns, wir spielen mit ihm, und ehe wir uns dessen versehen, flammt er in uns auf zu versengender Lohe und würde uns verzehren, wenn nicht tausend Aufdringlichkeiten des täglichen Lebens — von uns so verwünscht und uns kurzsichtigen Staubgebornen doch so heilsam — ihn immer wieder dämpften! Wie schmerzlich wir das auch empfinden, es ist so, wird so sein und muß so sein. Wir sind eben nicht reiner Geist, der in Liebe verglühen kann, ohne seinen Bau zu verändern, wir sind Körper mit einem Hauch von Gottesatem darin. Dieser Gottesatem soll uns erwärmen; dürften wir ihn an¬ fachen zu ganzer, voller, überirdischer Glut, er würde uns verzehren! In wessen Brust hat jener Funke wohl zu höhern und immer wieder neuen Flammen sich entzündet als in der des Altmeisters? Und wer hat wohl bewußter und entschlossener ihn immer wieder ausgedrückt zu heimlichem Glimmen als er? Im Vollgefühle seiner Gottähnlichkeit hat er einmal, angelangt bei dem Augenblicke, wo er den Kelchcsrand zum Genuß an die Lippen zu setzen im Begriff war, der Geliebten zugesungcn: Nacht! so wär' es denn Nacht! Nun überscheinst du des Mondes Lieblicher, ladenden Glanz! (Gegenwart.) Doch das ist nur Vergötterung des Augenblickes, ebenso wie sein andrer, aus dem Orient entlehnter Gesang: Die Sonne kommet Ein Prachtcrscheinen! Der Sichelmond umklammert sie. Wer konnte solches Paar vereinen? Das Rätsel, wie erklärt sichs? Wie? Du nennst mich, Liebchen, deine Sonne, Komm süßer Mond, umklammre mich! (Westöstlicher Divan.) Auch die poetische Verklärung des Sinnlichen in der Liebe hat ihre Be¬ rechtigung bei Goethe. Aber doch nur, weil wir es wohl wissen, daß er auch die Not der Selbstbeschränkung beim Emporlodern des göttlichen Funkens genau kennt, und weil er auch dem wollüstigen Schmerz der Sehnsucht, der Ent¬ sagung, der Erinnerung seinen Tribut gezollt hat in ewig typischen Worten, die ihm, als dem poetischen Allumfasser der Gefühle der gebildeten Menschheit, wie bei allen, so auch bei diesen Regungen den Kranz der Unsterblichkeit auf die Stirn gedrückt haben. Und auch dabei hast du ihm wieder geleuchtet, hast du ihn wieder be¬ geistert, du magisches, alles beruhigendes, lösendes Mondlicht!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/518>, abgerufen am 27.06.2024.