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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Im Mondschein mit Goethe,

darum fühle ich mich, fühlen wir uns alle so friedlich wohl, so jammerthalent¬
rückt, wenn


Der Mond erhellt die Fichten
Und unseren Gesichten
Erscheinen die lichten,
Die Sternlein im Thal

(Lila, zweiter Aufzug)

oder wenn


die Zitterwellen
Ufernetzend leise schwellen
Da, wo Luna doppelt leuchtet

(Fällst II, klassische Walpurgisnacht)

und


wellenatmend ihr Gesicht
Kehrt doppelt schöner her.

(Der Fischer.)

Einmal fingt der Dichter auch:


Wandelt der Mond und bewegt sich der Stern,
Junge und Alte, sie schlafen so gern,

(Epimenides' Erwachen I, 3)

doch scherzt er hier nur. Und wenn er an andrer Stelle bekennt:


Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen
Lag im Mondenschein,
Ganz von seinem Dämmerlicht umflossen,
Und ich dämmert' ein,

(An Belinden)

so ist das nur der einleitende Übergang zur Schilderung des Bildes der Ge¬
liebten, wie es sich seinem Auge in träumerischer Mondnacht, entkleidet alles
äußern Tantes, reiner und begehrenswerter zeigt, als seinem irdischen Auge ihr
körperliches Antlitz im kerzendurchstrahlten Prunksaal, und auch mit dieser Strophe
giebt er also, nur in versteckter Weise, lediglich dem Gefühl der Loslösung von
dem erdrückenden Wust des Tagesgewühles, der verklärenden, all unser Em¬
pfinden reinigenden Gewalt der stillen Mondnacht Ausdruck. Wo aber hätte
er diesem Gefühle tiefere und innigere Worte verliehen, als in jener unsterb¬
lichen, von Tausenden schon vor- und nachempfundenen Weise:


Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Löscht endlich auch einmal
Meine Seele ganz.
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick!

(An den Mond.)

Und wie verklärt er, der vertraute und verschwiegene Begleiter unsrer
Erdengänge, gerade das höchste, das schönste Empfinden, dessen wir fähig sind?


Im Mondschein mit Goethe,

darum fühle ich mich, fühlen wir uns alle so friedlich wohl, so jammerthalent¬
rückt, wenn


Der Mond erhellt die Fichten
Und unseren Gesichten
Erscheinen die lichten,
Die Sternlein im Thal

(Lila, zweiter Aufzug)

oder wenn


die Zitterwellen
Ufernetzend leise schwellen
Da, wo Luna doppelt leuchtet

(Fällst II, klassische Walpurgisnacht)

und


wellenatmend ihr Gesicht
Kehrt doppelt schöner her.

(Der Fischer.)

Einmal fingt der Dichter auch:


Wandelt der Mond und bewegt sich der Stern,
Junge und Alte, sie schlafen so gern,

(Epimenides' Erwachen I, 3)

doch scherzt er hier nur. Und wenn er an andrer Stelle bekennt:


Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen
Lag im Mondenschein,
Ganz von seinem Dämmerlicht umflossen,
Und ich dämmert' ein,

(An Belinden)

so ist das nur der einleitende Übergang zur Schilderung des Bildes der Ge¬
liebten, wie es sich seinem Auge in träumerischer Mondnacht, entkleidet alles
äußern Tantes, reiner und begehrenswerter zeigt, als seinem irdischen Auge ihr
körperliches Antlitz im kerzendurchstrahlten Prunksaal, und auch mit dieser Strophe
giebt er also, nur in versteckter Weise, lediglich dem Gefühl der Loslösung von
dem erdrückenden Wust des Tagesgewühles, der verklärenden, all unser Em¬
pfinden reinigenden Gewalt der stillen Mondnacht Ausdruck. Wo aber hätte
er diesem Gefühle tiefere und innigere Worte verliehen, als in jener unsterb¬
lichen, von Tausenden schon vor- und nachempfundenen Weise:


Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Löscht endlich auch einmal
Meine Seele ganz.
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick!

(An den Mond.)

Und wie verklärt er, der vertraute und verschwiegene Begleiter unsrer
Erdengänge, gerade das höchste, das schönste Empfinden, dessen wir fähig sind?


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[0517] Im Mondschein mit Goethe, darum fühle ich mich, fühlen wir uns alle so friedlich wohl, so jammerthalent¬ rückt, wenn Der Mond erhellt die Fichten Und unseren Gesichten Erscheinen die lichten, Die Sternlein im Thal (Lila, zweiter Aufzug) oder wenn die Zitterwellen Ufernetzend leise schwellen Da, wo Luna doppelt leuchtet (Fällst II, klassische Walpurgisnacht) und wellenatmend ihr Gesicht Kehrt doppelt schöner her. (Der Fischer.) Einmal fingt der Dichter auch: Wandelt der Mond und bewegt sich der Stern, Junge und Alte, sie schlafen so gern, (Epimenides' Erwachen I, 3) doch scherzt er hier nur. Und wenn er an andrer Stelle bekennt: Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen Lag im Mondenschein, Ganz von seinem Dämmerlicht umflossen, Und ich dämmert' ein, (An Belinden) so ist das nur der einleitende Übergang zur Schilderung des Bildes der Ge¬ liebten, wie es sich seinem Auge in träumerischer Mondnacht, entkleidet alles äußern Tantes, reiner und begehrenswerter zeigt, als seinem irdischen Auge ihr körperliches Antlitz im kerzendurchstrahlten Prunksaal, und auch mit dieser Strophe giebt er also, nur in versteckter Weise, lediglich dem Gefühl der Loslösung von dem erdrückenden Wust des Tagesgewühles, der verklärenden, all unser Em¬ pfinden reinigenden Gewalt der stillen Mondnacht Ausdruck. Wo aber hätte er diesem Gefühle tiefere und innigere Worte verliehen, als in jener unsterb¬ lichen, von Tausenden schon vor- und nachempfundenen Weise: Füllest wieder Busch und Thal Still mit Nebelglanz, Löscht endlich auch einmal Meine Seele ganz. Breitest über mein Gefild Lindernd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick! (An den Mond.) Und wie verklärt er, der vertraute und verschwiegene Begleiter unsrer Erdengänge, gerade das höchste, das schönste Empfinden, dessen wir fähig sind?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/517>, abgerufen am 27.06.2024.