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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

unter allen Umstünden auch, und zwar hauptsächlich, moralische Erscheinungen.
Die Übertretung des Grundgesetzes der menschlichen Sittlichkeit: "Du sollst nicht
töten" kann keinesfalls aus einer natürlichen Ursache allein hinreichend erklärt
werden. In den schwärzesten Farben predigen die ersten aller Mythen die Ver¬
werflichkeit des Brudermordes, im wildesten Naturstande fuhrt kein Stamm mit
sich selber Krieg. Die Voraussetzung zum Kriege muß also unter allen Um¬
stünden die sein, daß die kriegenden Parteien sich gegenseitig als ein Fremdes
betrachten, und hier haben wir bereits eine moralische Idee. Der Feind wird
nicht bloß wie im tierischen Kriege als der natürliche Konkurrent angesehen,
sondern zugleich als ein geistig Verschiednes, als ein fremdes Prinzip. Daß
diese Idee sich in der Menschengeschichte vom Uranfang an sofort an das Höchste
anknüpft, was sie erfassen kann, ist bezeichnend. Die fremden Götter sind der
moralisch zureichende Grund in den ersten kriegerischen Erinnerungen der
Menschheit. Man wird bei der oberflächlichsten Musterung der Kriegsgeschichte
überall eine solche Idee wirksam finden und wird namentlich sofort erkennen,
daß, je weiter ausgreifend eine kriegerische Unternehmung war, je nachhaltiger
sie gewirkt hat, auch die ihr innewohnende Idee eine umso mächtigere gewesen
ist (Alexanderzüge gegen die Barbaren, römisches Weltreich, Islam, Kreuz¬
fahrten). Auch die gewissenlosesten der modernen Eroberungskriege sind ohne eine
solche Idee nicht denkbar (die "Göttlichkeit" Ludwigs XIV., die Verbreitung
der "Freiheit" und französischer Zivilisation durch Napoleon). Die furchtbarsten
Kriege sind stets die eigentlichen Religionskriege gewesen und werden es sein.
Denn wer die Möglichkeit von Religionskriegen in unserm "aufgeklärten" Zeit¬
alter leugnet, erkennt eben uicht, was unter Kommnnckämpfen eigentlich steckt.
Auch im modernen Völkergedanken, dem eigentlichen Kriegserreger Ares unsrer
Zeit, birgt sich, wenn man näher zusieht, nichts als die alte religiöse Knegs-
idee: die fremde Art, die fremden Götter.

Kriege sind also durchans nicht bloß zufällige Äußerungen blinder Natur¬
gewalten. Die in ihnen wirkend Idee knüpft sie an eine höhere Ordnung der
Dinge, die wir nicht als natürlich, sondern als moralisch notwendig empfinden.
Derjenige Mann, der uuter allen seinesgleichen in der Weltgeschichte wohl am
befähigtsten erscheint und am meisten Gelegenheit hatte, auch "über" den Krieg
ZU denken, der deutsche Feldmarschall, hat den Krieg für eine von Gott ein¬
gesetzte ewige Thatsache, für eine moralische Notwendigkeit erklärt. Offenbar
M demselben Sinne wie gerade der deutsche Dichter, den selbst die eigensinnigsten
Schwärmer für den ewigen Frieden nicht in der von ihnen beliebten Weise anzu¬
tasten wagen werden:


Denn der Mensch verkümmert im Frieden,
Müßige Ruh ist das Grab des Muts.
Das Gesetz ist der Freund der Schwachen,
Alles will es nur eben machen,
Möchte gerne die Welt verflachen;

Der wahrhafte Friede.

unter allen Umstünden auch, und zwar hauptsächlich, moralische Erscheinungen.
Die Übertretung des Grundgesetzes der menschlichen Sittlichkeit: „Du sollst nicht
töten" kann keinesfalls aus einer natürlichen Ursache allein hinreichend erklärt
werden. In den schwärzesten Farben predigen die ersten aller Mythen die Ver¬
werflichkeit des Brudermordes, im wildesten Naturstande fuhrt kein Stamm mit
sich selber Krieg. Die Voraussetzung zum Kriege muß also unter allen Um¬
stünden die sein, daß die kriegenden Parteien sich gegenseitig als ein Fremdes
betrachten, und hier haben wir bereits eine moralische Idee. Der Feind wird
nicht bloß wie im tierischen Kriege als der natürliche Konkurrent angesehen,
sondern zugleich als ein geistig Verschiednes, als ein fremdes Prinzip. Daß
diese Idee sich in der Menschengeschichte vom Uranfang an sofort an das Höchste
anknüpft, was sie erfassen kann, ist bezeichnend. Die fremden Götter sind der
moralisch zureichende Grund in den ersten kriegerischen Erinnerungen der
Menschheit. Man wird bei der oberflächlichsten Musterung der Kriegsgeschichte
überall eine solche Idee wirksam finden und wird namentlich sofort erkennen,
daß, je weiter ausgreifend eine kriegerische Unternehmung war, je nachhaltiger
sie gewirkt hat, auch die ihr innewohnende Idee eine umso mächtigere gewesen
ist (Alexanderzüge gegen die Barbaren, römisches Weltreich, Islam, Kreuz¬
fahrten). Auch die gewissenlosesten der modernen Eroberungskriege sind ohne eine
solche Idee nicht denkbar (die „Göttlichkeit" Ludwigs XIV., die Verbreitung
der „Freiheit" und französischer Zivilisation durch Napoleon). Die furchtbarsten
Kriege sind stets die eigentlichen Religionskriege gewesen und werden es sein.
Denn wer die Möglichkeit von Religionskriegen in unserm „aufgeklärten" Zeit¬
alter leugnet, erkennt eben uicht, was unter Kommnnckämpfen eigentlich steckt.
Auch im modernen Völkergedanken, dem eigentlichen Kriegserreger Ares unsrer
Zeit, birgt sich, wenn man näher zusieht, nichts als die alte religiöse Knegs-
idee: die fremde Art, die fremden Götter.

Kriege sind also durchans nicht bloß zufällige Äußerungen blinder Natur¬
gewalten. Die in ihnen wirkend Idee knüpft sie an eine höhere Ordnung der
Dinge, die wir nicht als natürlich, sondern als moralisch notwendig empfinden.
Derjenige Mann, der uuter allen seinesgleichen in der Weltgeschichte wohl am
befähigtsten erscheint und am meisten Gelegenheit hatte, auch „über" den Krieg
ZU denken, der deutsche Feldmarschall, hat den Krieg für eine von Gott ein¬
gesetzte ewige Thatsache, für eine moralische Notwendigkeit erklärt. Offenbar
M demselben Sinne wie gerade der deutsche Dichter, den selbst die eigensinnigsten
Schwärmer für den ewigen Frieden nicht in der von ihnen beliebten Weise anzu¬
tasten wagen werden:


Denn der Mensch verkümmert im Frieden,
Müßige Ruh ist das Grab des Muts.
Das Gesetz ist der Freund der Schwachen,
Alles will es nur eben machen,
Möchte gerne die Welt verflachen;

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[0507] Der wahrhafte Friede. unter allen Umstünden auch, und zwar hauptsächlich, moralische Erscheinungen. Die Übertretung des Grundgesetzes der menschlichen Sittlichkeit: „Du sollst nicht töten" kann keinesfalls aus einer natürlichen Ursache allein hinreichend erklärt werden. In den schwärzesten Farben predigen die ersten aller Mythen die Ver¬ werflichkeit des Brudermordes, im wildesten Naturstande fuhrt kein Stamm mit sich selber Krieg. Die Voraussetzung zum Kriege muß also unter allen Um¬ stünden die sein, daß die kriegenden Parteien sich gegenseitig als ein Fremdes betrachten, und hier haben wir bereits eine moralische Idee. Der Feind wird nicht bloß wie im tierischen Kriege als der natürliche Konkurrent angesehen, sondern zugleich als ein geistig Verschiednes, als ein fremdes Prinzip. Daß diese Idee sich in der Menschengeschichte vom Uranfang an sofort an das Höchste anknüpft, was sie erfassen kann, ist bezeichnend. Die fremden Götter sind der moralisch zureichende Grund in den ersten kriegerischen Erinnerungen der Menschheit. Man wird bei der oberflächlichsten Musterung der Kriegsgeschichte überall eine solche Idee wirksam finden und wird namentlich sofort erkennen, daß, je weiter ausgreifend eine kriegerische Unternehmung war, je nachhaltiger sie gewirkt hat, auch die ihr innewohnende Idee eine umso mächtigere gewesen ist (Alexanderzüge gegen die Barbaren, römisches Weltreich, Islam, Kreuz¬ fahrten). Auch die gewissenlosesten der modernen Eroberungskriege sind ohne eine solche Idee nicht denkbar (die „Göttlichkeit" Ludwigs XIV., die Verbreitung der „Freiheit" und französischer Zivilisation durch Napoleon). Die furchtbarsten Kriege sind stets die eigentlichen Religionskriege gewesen und werden es sein. Denn wer die Möglichkeit von Religionskriegen in unserm „aufgeklärten" Zeit¬ alter leugnet, erkennt eben uicht, was unter Kommnnckämpfen eigentlich steckt. Auch im modernen Völkergedanken, dem eigentlichen Kriegserreger Ares unsrer Zeit, birgt sich, wenn man näher zusieht, nichts als die alte religiöse Knegs- idee: die fremde Art, die fremden Götter. Kriege sind also durchans nicht bloß zufällige Äußerungen blinder Natur¬ gewalten. Die in ihnen wirkend Idee knüpft sie an eine höhere Ordnung der Dinge, die wir nicht als natürlich, sondern als moralisch notwendig empfinden. Derjenige Mann, der uuter allen seinesgleichen in der Weltgeschichte wohl am befähigtsten erscheint und am meisten Gelegenheit hatte, auch „über" den Krieg ZU denken, der deutsche Feldmarschall, hat den Krieg für eine von Gott ein¬ gesetzte ewige Thatsache, für eine moralische Notwendigkeit erklärt. Offenbar M demselben Sinne wie gerade der deutsche Dichter, den selbst die eigensinnigsten Schwärmer für den ewigen Frieden nicht in der von ihnen beliebten Weise anzu¬ tasten wagen werden: Denn der Mensch verkümmert im Frieden, Müßige Ruh ist das Grab des Muts. Das Gesetz ist der Freund der Schwachen, Alles will es nur eben machen, Möchte gerne die Welt verflachen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/507>, abgerufen am 28.09.2024.