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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

Aber der Krieg läßt die Kraft erscheinen,
Alles erhebt er zum Ungcmeinen,
Selber dem Feigen erzeugt er den Mut.

Gesetz (äußeres, staatliches Gesetz) und Krieg stehen sich gegenüber, dieser
als "der Beweger des Menschengeschickes," jenes als ihr Erhalter. Allein der
Erhalter des Menschengeschicks, das staatliche Gesetz, kann dem Menschen die Sorge
darum niemals ersparen; ja es darf, es soll ihm nicht das innere Gesetz, das
Gefühl der Pflicht, der eignen Verantwortlichkeit entbehrlich machen. Der Staat
ist keineswegs, wie er der Krämerseele erscheint, der moralische Diener, den man
sich hält wie das notwendige kleine Übel, um die größern Übel der Gesellschaft,
welche die erworbenen Mittel zum Genuß bedrohen, von sich fern zu halten.
Der Staat kann das rechtmäßig Erworbene nur schützen, für den sorglosen Genuß
desselben kann er aber in keiner Weise Gewähr leisten. Und offenbar darf er
es nach einer höhern Bestimmung gar nicht. Denn immer, wenn die Gesellschaft
Anstalten zu einem sorglosen, von keiner moralischen Rücksicht beschränkten
Genusse macht, immer dann erhebt sich am politischen Horizont fern oder nah,
im Innern oder Äußern, schwächer oder drohender, je nach der Natur und den
Fortschritten der einen solchen Genuß begleitenden "Verflachung" und "Ver¬
kümmerung" das Gespenst der politischen Sorge, der moralische Ergänzer des
staatlichen Gesetzes: der Krieg.

Diese moralische Bedeutung des Krieges offenbart sich in allem, was an
ihm (nicht in ihm) zur Erscheinung kommt. Überall wo im menschlichen Leben
ein Kampf ausbricht, bei dem es sich nicht bloß auf beiden Seiten um die Be¬
friedigung blinder Habgier oder um die zwecklosen Ausbrüche bloßer Rauflust
handelt, überall, sobald in einen Kampf auch nur ein schwacher Schimmer dessen
hereinbricht, was der Mensch seine Pflicht nennt, überall da taucht sofort jenes
geheimnisvoll erhabene Gefühl auf, mit dessen bitterer Süße sich nichts Mensch¬
liches messen kann, da ja das Leben selbst ans seiner Wage wie eine Feder leicht
emporschnellt: das Gefühl der Ehre. Das Gefühl der Selbstehre, das Be¬
wußtsein von der eignen "Persönlichkeit," welches den Menschen hinaushebt über
die Bedingungen der gemeinen Natur und ihn verknüpft mit einer überwcltlichen
Ordnung der Dinge, ist eben nichts weiter als die Kvnzentrirung der moralischen
Kraft im einzelnen. Als eine Art Vorrecht, als heiliges Besitztum erscheint sie
folgerichtig bei dem Stande, der sein ganzes Leben in den Dienst des Krieges
gestellt hat, beim Soldaten. Mag der Witz der andern Stunde sich zu allen
Zeiten -- mitunter ja erfolgreich -- bemühen, den Gegensatz zwischen dieser
Ehre und der geringfügigen Unterlage, auf der sie bei dem und jenem Mitgliede
dieses Standes scheinbar beruht, zur lächerlichen Anschauung zu bringen, er
wird weder dem jüngsten Leutnant noch dem geringsten Füsilier auch nur im
mindesten etwas von der Achtung rauben, die ihm sein kriegerisches Kleid von
selbst verschafft. Eine einzige That in seinem Berufe erhebt den unwissendsten


Der wahrhafte Friede.

Aber der Krieg läßt die Kraft erscheinen,
Alles erhebt er zum Ungcmeinen,
Selber dem Feigen erzeugt er den Mut.

Gesetz (äußeres, staatliches Gesetz) und Krieg stehen sich gegenüber, dieser
als „der Beweger des Menschengeschickes," jenes als ihr Erhalter. Allein der
Erhalter des Menschengeschicks, das staatliche Gesetz, kann dem Menschen die Sorge
darum niemals ersparen; ja es darf, es soll ihm nicht das innere Gesetz, das
Gefühl der Pflicht, der eignen Verantwortlichkeit entbehrlich machen. Der Staat
ist keineswegs, wie er der Krämerseele erscheint, der moralische Diener, den man
sich hält wie das notwendige kleine Übel, um die größern Übel der Gesellschaft,
welche die erworbenen Mittel zum Genuß bedrohen, von sich fern zu halten.
Der Staat kann das rechtmäßig Erworbene nur schützen, für den sorglosen Genuß
desselben kann er aber in keiner Weise Gewähr leisten. Und offenbar darf er
es nach einer höhern Bestimmung gar nicht. Denn immer, wenn die Gesellschaft
Anstalten zu einem sorglosen, von keiner moralischen Rücksicht beschränkten
Genusse macht, immer dann erhebt sich am politischen Horizont fern oder nah,
im Innern oder Äußern, schwächer oder drohender, je nach der Natur und den
Fortschritten der einen solchen Genuß begleitenden „Verflachung" und „Ver¬
kümmerung" das Gespenst der politischen Sorge, der moralische Ergänzer des
staatlichen Gesetzes: der Krieg.

Diese moralische Bedeutung des Krieges offenbart sich in allem, was an
ihm (nicht in ihm) zur Erscheinung kommt. Überall wo im menschlichen Leben
ein Kampf ausbricht, bei dem es sich nicht bloß auf beiden Seiten um die Be¬
friedigung blinder Habgier oder um die zwecklosen Ausbrüche bloßer Rauflust
handelt, überall, sobald in einen Kampf auch nur ein schwacher Schimmer dessen
hereinbricht, was der Mensch seine Pflicht nennt, überall da taucht sofort jenes
geheimnisvoll erhabene Gefühl auf, mit dessen bitterer Süße sich nichts Mensch¬
liches messen kann, da ja das Leben selbst ans seiner Wage wie eine Feder leicht
emporschnellt: das Gefühl der Ehre. Das Gefühl der Selbstehre, das Be¬
wußtsein von der eignen „Persönlichkeit," welches den Menschen hinaushebt über
die Bedingungen der gemeinen Natur und ihn verknüpft mit einer überwcltlichen
Ordnung der Dinge, ist eben nichts weiter als die Kvnzentrirung der moralischen
Kraft im einzelnen. Als eine Art Vorrecht, als heiliges Besitztum erscheint sie
folgerichtig bei dem Stande, der sein ganzes Leben in den Dienst des Krieges
gestellt hat, beim Soldaten. Mag der Witz der andern Stunde sich zu allen
Zeiten — mitunter ja erfolgreich — bemühen, den Gegensatz zwischen dieser
Ehre und der geringfügigen Unterlage, auf der sie bei dem und jenem Mitgliede
dieses Standes scheinbar beruht, zur lächerlichen Anschauung zu bringen, er
wird weder dem jüngsten Leutnant noch dem geringsten Füsilier auch nur im
mindesten etwas von der Achtung rauben, die ihm sein kriegerisches Kleid von
selbst verschafft. Eine einzige That in seinem Berufe erhebt den unwissendsten


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[0508] Der wahrhafte Friede. Aber der Krieg läßt die Kraft erscheinen, Alles erhebt er zum Ungcmeinen, Selber dem Feigen erzeugt er den Mut. Gesetz (äußeres, staatliches Gesetz) und Krieg stehen sich gegenüber, dieser als „der Beweger des Menschengeschickes," jenes als ihr Erhalter. Allein der Erhalter des Menschengeschicks, das staatliche Gesetz, kann dem Menschen die Sorge darum niemals ersparen; ja es darf, es soll ihm nicht das innere Gesetz, das Gefühl der Pflicht, der eignen Verantwortlichkeit entbehrlich machen. Der Staat ist keineswegs, wie er der Krämerseele erscheint, der moralische Diener, den man sich hält wie das notwendige kleine Übel, um die größern Übel der Gesellschaft, welche die erworbenen Mittel zum Genuß bedrohen, von sich fern zu halten. Der Staat kann das rechtmäßig Erworbene nur schützen, für den sorglosen Genuß desselben kann er aber in keiner Weise Gewähr leisten. Und offenbar darf er es nach einer höhern Bestimmung gar nicht. Denn immer, wenn die Gesellschaft Anstalten zu einem sorglosen, von keiner moralischen Rücksicht beschränkten Genusse macht, immer dann erhebt sich am politischen Horizont fern oder nah, im Innern oder Äußern, schwächer oder drohender, je nach der Natur und den Fortschritten der einen solchen Genuß begleitenden „Verflachung" und „Ver¬ kümmerung" das Gespenst der politischen Sorge, der moralische Ergänzer des staatlichen Gesetzes: der Krieg. Diese moralische Bedeutung des Krieges offenbart sich in allem, was an ihm (nicht in ihm) zur Erscheinung kommt. Überall wo im menschlichen Leben ein Kampf ausbricht, bei dem es sich nicht bloß auf beiden Seiten um die Be¬ friedigung blinder Habgier oder um die zwecklosen Ausbrüche bloßer Rauflust handelt, überall, sobald in einen Kampf auch nur ein schwacher Schimmer dessen hereinbricht, was der Mensch seine Pflicht nennt, überall da taucht sofort jenes geheimnisvoll erhabene Gefühl auf, mit dessen bitterer Süße sich nichts Mensch¬ liches messen kann, da ja das Leben selbst ans seiner Wage wie eine Feder leicht emporschnellt: das Gefühl der Ehre. Das Gefühl der Selbstehre, das Be¬ wußtsein von der eignen „Persönlichkeit," welches den Menschen hinaushebt über die Bedingungen der gemeinen Natur und ihn verknüpft mit einer überwcltlichen Ordnung der Dinge, ist eben nichts weiter als die Kvnzentrirung der moralischen Kraft im einzelnen. Als eine Art Vorrecht, als heiliges Besitztum erscheint sie folgerichtig bei dem Stande, der sein ganzes Leben in den Dienst des Krieges gestellt hat, beim Soldaten. Mag der Witz der andern Stunde sich zu allen Zeiten — mitunter ja erfolgreich — bemühen, den Gegensatz zwischen dieser Ehre und der geringfügigen Unterlage, auf der sie bei dem und jenem Mitgliede dieses Standes scheinbar beruht, zur lächerlichen Anschauung zu bringen, er wird weder dem jüngsten Leutnant noch dem geringsten Füsilier auch nur im mindesten etwas von der Achtung rauben, die ihm sein kriegerisches Kleid von selbst verschafft. Eine einzige That in seinem Berufe erhebt den unwissendsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/508>, abgerufen am 27.06.2024.