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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Lichendorsf.

Aber ihn konnte nichts anfechten. Selbst seine Unfreiheit ward ihm zum Ge¬
dicht. Da klagt er wohl in seinem "Unverbesserlichen" kleinmütig:


Ihr habt den Vogel gefangen,
Der war so frank und frei,
Nun ist ihm 's Fliegen vergangen,
Der Sommer ist lange vorbei.
^
Es liegen wohl Federn neben
Und unter und neben mir,
Sie können mich alle nicht heben
Aus diesem Meer von Papier.
Papier! Wie hör' ich dich schreien,
Da alles die Federn schwenkt
In langen emsigen Reihen --
So wird der Staat nun gelenkt!

Aber siehe da, draußen summt es und trillert es, die Muse und ihr ganzer
Hofstaat von Lerchen und Quellen, von Blumen und Düften rufen ihn, und
im Nu sitzt er mit ihr auf dem Flügelroß und


fliegt mit ihr von bannen,
Daß es unten die Schreiber verdroß.

Gegen das Aktenschreiben hat er überhaupt einen gründlichen Widerwillen, was
er unter der Überschrift "Jsegrimm" in folgenden Stachelversen bekundet:


[Beginn Spaltensatz] Schwatzen nach der Welt Gebrauch,
Und das große Tretrad schwingen
Wie ein Ochs, das kann ich auch.Aktenstöße nachts verschlingen, Sondern ein hochwichtig Wunder,
Das gelang mir nimmermehr.Aber glauben, daß der Plunder
Eben nicht der Plunder wär', [Spaltenumbruch] Aber andre Überwitzen,
Daß ich mit dem Federkiel
Könnt' den morschen Weltbau stützen,
Schien nur immer Narrenspiel. Und so, weil ich in dem Drehen
Dasteh' oft wie ein Pasquill,
Läßt die Welt mich eben stehen --
Mag sie's halten, wie sie will! [Ende Spaltensatz]

Auch die Veratungen des Ratskollegiums haben dem Herrn Rat -- später wurde
er Geheimer Rat -- nicht immer sonderlichen Respekt eingeflößt. Den "Vor¬
sitzenden" läßt er sich wie folgt expektoriren:


Hochweiser Rat, geehrte Kollegen!
Bevor wir uns heute aufs Raten legen,
Bitt' ich, erst reiflich zu erwägen,
Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen,
Heut sogleich mit dem Raten beginnen,
Oder ob wir erst proponircn müssen,
Was uns versammelt und was wir alle wissen? --
Ich muß pflichtmäßig voranschicken hierbei,
Daß die Art der Geschäfte zweierlei sei:

Joseph Freiherr von Lichendorsf.

Aber ihn konnte nichts anfechten. Selbst seine Unfreiheit ward ihm zum Ge¬
dicht. Da klagt er wohl in seinem „Unverbesserlichen" kleinmütig:


Ihr habt den Vogel gefangen,
Der war so frank und frei,
Nun ist ihm 's Fliegen vergangen,
Der Sommer ist lange vorbei.
^
Es liegen wohl Federn neben
Und unter und neben mir,
Sie können mich alle nicht heben
Aus diesem Meer von Papier.
Papier! Wie hör' ich dich schreien,
Da alles die Federn schwenkt
In langen emsigen Reihen —
So wird der Staat nun gelenkt!

Aber siehe da, draußen summt es und trillert es, die Muse und ihr ganzer
Hofstaat von Lerchen und Quellen, von Blumen und Düften rufen ihn, und
im Nu sitzt er mit ihr auf dem Flügelroß und


fliegt mit ihr von bannen,
Daß es unten die Schreiber verdroß.

Gegen das Aktenschreiben hat er überhaupt einen gründlichen Widerwillen, was
er unter der Überschrift „Jsegrimm" in folgenden Stachelversen bekundet:


[Beginn Spaltensatz] Schwatzen nach der Welt Gebrauch,
Und das große Tretrad schwingen
Wie ein Ochs, das kann ich auch.Aktenstöße nachts verschlingen, Sondern ein hochwichtig Wunder,
Das gelang mir nimmermehr.Aber glauben, daß der Plunder
Eben nicht der Plunder wär', [Spaltenumbruch] Aber andre Überwitzen,
Daß ich mit dem Federkiel
Könnt' den morschen Weltbau stützen,
Schien nur immer Narrenspiel. Und so, weil ich in dem Drehen
Dasteh' oft wie ein Pasquill,
Läßt die Welt mich eben stehen —
Mag sie's halten, wie sie will! [Ende Spaltensatz]

Auch die Veratungen des Ratskollegiums haben dem Herrn Rat — später wurde
er Geheimer Rat — nicht immer sonderlichen Respekt eingeflößt. Den „Vor¬
sitzenden" läßt er sich wie folgt expektoriren:


Hochweiser Rat, geehrte Kollegen!
Bevor wir uns heute aufs Raten legen,
Bitt' ich, erst reiflich zu erwägen,
Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen,
Heut sogleich mit dem Raten beginnen,
Oder ob wir erst proponircn müssen,
Was uns versammelt und was wir alle wissen? —
Ich muß pflichtmäßig voranschicken hierbei,
Daß die Art der Geschäfte zweierlei sei:

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[0463] Joseph Freiherr von Lichendorsf. Aber ihn konnte nichts anfechten. Selbst seine Unfreiheit ward ihm zum Ge¬ dicht. Da klagt er wohl in seinem „Unverbesserlichen" kleinmütig: Ihr habt den Vogel gefangen, Der war so frank und frei, Nun ist ihm 's Fliegen vergangen, Der Sommer ist lange vorbei. ^ Es liegen wohl Federn neben Und unter und neben mir, Sie können mich alle nicht heben Aus diesem Meer von Papier. Papier! Wie hör' ich dich schreien, Da alles die Federn schwenkt In langen emsigen Reihen — So wird der Staat nun gelenkt! Aber siehe da, draußen summt es und trillert es, die Muse und ihr ganzer Hofstaat von Lerchen und Quellen, von Blumen und Düften rufen ihn, und im Nu sitzt er mit ihr auf dem Flügelroß und fliegt mit ihr von bannen, Daß es unten die Schreiber verdroß. Gegen das Aktenschreiben hat er überhaupt einen gründlichen Widerwillen, was er unter der Überschrift „Jsegrimm" in folgenden Stachelversen bekundet: Schwatzen nach der Welt Gebrauch, Und das große Tretrad schwingen Wie ein Ochs, das kann ich auch.Aktenstöße nachts verschlingen, Sondern ein hochwichtig Wunder, Das gelang mir nimmermehr.Aber glauben, daß der Plunder Eben nicht der Plunder wär', Aber andre Überwitzen, Daß ich mit dem Federkiel Könnt' den morschen Weltbau stützen, Schien nur immer Narrenspiel. Und so, weil ich in dem Drehen Dasteh' oft wie ein Pasquill, Läßt die Welt mich eben stehen — Mag sie's halten, wie sie will! Auch die Veratungen des Ratskollegiums haben dem Herrn Rat — später wurde er Geheimer Rat — nicht immer sonderlichen Respekt eingeflößt. Den „Vor¬ sitzenden" läßt er sich wie folgt expektoriren: Hochweiser Rat, geehrte Kollegen! Bevor wir uns heute aufs Raten legen, Bitt' ich, erst reiflich zu erwägen, Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen, Heut sogleich mit dem Raten beginnen, Oder ob wir erst proponircn müssen, Was uns versammelt und was wir alle wissen? — Ich muß pflichtmäßig voranschicken hierbei, Daß die Art der Geschäfte zweierlei sei:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/463>, abgerufen am 27.06.2024.