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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Eichendorff.

Raubzüge auch die Sammlungen des Louvre zum Pilgerzicle zahlreicher Kunst¬
freunde aus aller Herren Länder gemacht. "Aber der Heißhunger nach den
alten treuen Klängen der Muttersprache -- so schreibt Eichendorff in einem
Briefe aus jener Zeit -- ließ keinen Genuß aufkommen." So sehen wir die
Brüder denn bald wieder auf dem väterlichen Schlosse, wo sie dem alternden
Vater nun während der nächsten zwei Jahre bei der Bewirtschaftung seines Be¬
sitztumes behilflich sind.

Unter den vielen der damals entstandenen Gedichte Eichendorffs sind manche
seitdem zu Volksliedern geworden. "Wer hat dich, du schöner Wald," "Ver¬
gangen ist der lichte Tag," und "In einem kühlen Grunde" stammen aus
dieser Zeit. Aus andern klingt Zorn heraus über den tiefen Niedergang der
deutschen Herrlichkeit und die Ahnung, daß ein furchtbares Gericht über die
Schuldigen Heraufziehen werde. Heißt es doch in einem dieser "Zeitgedichte":


Denn eine Zeit wird kommen,
Da macht der Herr ein End',
Da wird den Falschen genommen
Ihr unecht's Regiment.
Dann, wie die Erze vom Hammer,
So wird das lockre Geschlecht
Gehaun sein von Not und Jammer
Zu festem Eisen recht.

Und in einem Gedichte aus dem Jahre 1810, das er "Gebet" überschrieben
hat, macht die drückend auf ihm lastende Rat- und Thatlosigkeit des ganzen
unterjochten Deutschlands sich in dem Aufschrei Luft:


Was hast du mich blank gerüstet,
Wenn mein Volk mich nicht begehrt,
Keiner mehr nach Freiheit lüftet,
Daß mein Herz betrübt, verwüstet,
Nur dem Grabe zugekehrt.

In jenen Jahren der hoffnungslosen Knechtung Preußens trieben, wie man
weiß, verwandte Stimmungen zahlreiche deutsche Patrioten nach Österreich. Auch
die beiden Eichendorffs erhielten von ihrem Vater im Oktober 1810 die Er¬
laubnis, sich nach Wien zu begeben, um sich für den österreichischen Staats¬
dienst vorzubereiten und so an dem Widerstande sich zu beteiligen, der allein
noch gegen die Allmacht Napoleons einige Hoffnungen zu bieten schien. Aber
ehe sich für den Dichter in den kaiserlichen Kanzleien eine amtliche Thätigkeit
fand, ging über den Schneefeldern Rußlands die blutige Mitternachtssonne von
Moskau auf, und nun der Prcußenkönig am 3. Februar 1813 durch den Aufruf
an die freiwilligen Jäger endlich die Napoleonischen Fesseln abstreifte, trennte
sich Eichendorff von seinem Bruder und ließ sich in Breslau unter die Lützow-
schen Jäger einreihen.


Joseph Freiherr von Eichendorff.

Raubzüge auch die Sammlungen des Louvre zum Pilgerzicle zahlreicher Kunst¬
freunde aus aller Herren Länder gemacht. „Aber der Heißhunger nach den
alten treuen Klängen der Muttersprache — so schreibt Eichendorff in einem
Briefe aus jener Zeit — ließ keinen Genuß aufkommen." So sehen wir die
Brüder denn bald wieder auf dem väterlichen Schlosse, wo sie dem alternden
Vater nun während der nächsten zwei Jahre bei der Bewirtschaftung seines Be¬
sitztumes behilflich sind.

Unter den vielen der damals entstandenen Gedichte Eichendorffs sind manche
seitdem zu Volksliedern geworden. „Wer hat dich, du schöner Wald," „Ver¬
gangen ist der lichte Tag," und „In einem kühlen Grunde" stammen aus
dieser Zeit. Aus andern klingt Zorn heraus über den tiefen Niedergang der
deutschen Herrlichkeit und die Ahnung, daß ein furchtbares Gericht über die
Schuldigen Heraufziehen werde. Heißt es doch in einem dieser „Zeitgedichte":


Denn eine Zeit wird kommen,
Da macht der Herr ein End',
Da wird den Falschen genommen
Ihr unecht's Regiment.
Dann, wie die Erze vom Hammer,
So wird das lockre Geschlecht
Gehaun sein von Not und Jammer
Zu festem Eisen recht.

Und in einem Gedichte aus dem Jahre 1810, das er „Gebet" überschrieben
hat, macht die drückend auf ihm lastende Rat- und Thatlosigkeit des ganzen
unterjochten Deutschlands sich in dem Aufschrei Luft:


Was hast du mich blank gerüstet,
Wenn mein Volk mich nicht begehrt,
Keiner mehr nach Freiheit lüftet,
Daß mein Herz betrübt, verwüstet,
Nur dem Grabe zugekehrt.

In jenen Jahren der hoffnungslosen Knechtung Preußens trieben, wie man
weiß, verwandte Stimmungen zahlreiche deutsche Patrioten nach Österreich. Auch
die beiden Eichendorffs erhielten von ihrem Vater im Oktober 1810 die Er¬
laubnis, sich nach Wien zu begeben, um sich für den österreichischen Staats¬
dienst vorzubereiten und so an dem Widerstande sich zu beteiligen, der allein
noch gegen die Allmacht Napoleons einige Hoffnungen zu bieten schien. Aber
ehe sich für den Dichter in den kaiserlichen Kanzleien eine amtliche Thätigkeit
fand, ging über den Schneefeldern Rußlands die blutige Mitternachtssonne von
Moskau auf, und nun der Prcußenkönig am 3. Februar 1813 durch den Aufruf
an die freiwilligen Jäger endlich die Napoleonischen Fesseln abstreifte, trennte
sich Eichendorff von seinem Bruder und ließ sich in Breslau unter die Lützow-
schen Jäger einreihen.


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[0461] Joseph Freiherr von Eichendorff. Raubzüge auch die Sammlungen des Louvre zum Pilgerzicle zahlreicher Kunst¬ freunde aus aller Herren Länder gemacht. „Aber der Heißhunger nach den alten treuen Klängen der Muttersprache — so schreibt Eichendorff in einem Briefe aus jener Zeit — ließ keinen Genuß aufkommen." So sehen wir die Brüder denn bald wieder auf dem väterlichen Schlosse, wo sie dem alternden Vater nun während der nächsten zwei Jahre bei der Bewirtschaftung seines Be¬ sitztumes behilflich sind. Unter den vielen der damals entstandenen Gedichte Eichendorffs sind manche seitdem zu Volksliedern geworden. „Wer hat dich, du schöner Wald," „Ver¬ gangen ist der lichte Tag," und „In einem kühlen Grunde" stammen aus dieser Zeit. Aus andern klingt Zorn heraus über den tiefen Niedergang der deutschen Herrlichkeit und die Ahnung, daß ein furchtbares Gericht über die Schuldigen Heraufziehen werde. Heißt es doch in einem dieser „Zeitgedichte": Denn eine Zeit wird kommen, Da macht der Herr ein End', Da wird den Falschen genommen Ihr unecht's Regiment. Dann, wie die Erze vom Hammer, So wird das lockre Geschlecht Gehaun sein von Not und Jammer Zu festem Eisen recht. Und in einem Gedichte aus dem Jahre 1810, das er „Gebet" überschrieben hat, macht die drückend auf ihm lastende Rat- und Thatlosigkeit des ganzen unterjochten Deutschlands sich in dem Aufschrei Luft: Was hast du mich blank gerüstet, Wenn mein Volk mich nicht begehrt, Keiner mehr nach Freiheit lüftet, Daß mein Herz betrübt, verwüstet, Nur dem Grabe zugekehrt. In jenen Jahren der hoffnungslosen Knechtung Preußens trieben, wie man weiß, verwandte Stimmungen zahlreiche deutsche Patrioten nach Österreich. Auch die beiden Eichendorffs erhielten von ihrem Vater im Oktober 1810 die Er¬ laubnis, sich nach Wien zu begeben, um sich für den österreichischen Staats¬ dienst vorzubereiten und so an dem Widerstande sich zu beteiligen, der allein noch gegen die Allmacht Napoleons einige Hoffnungen zu bieten schien. Aber ehe sich für den Dichter in den kaiserlichen Kanzleien eine amtliche Thätigkeit fand, ging über den Schneefeldern Rußlands die blutige Mitternachtssonne von Moskau auf, und nun der Prcußenkönig am 3. Februar 1813 durch den Aufruf an die freiwilligen Jäger endlich die Napoleonischen Fesseln abstreifte, trennte sich Eichendorff von seinem Bruder und ließ sich in Breslau unter die Lützow- schen Jäger einreihen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/461>, abgerufen am 28.09.2024.