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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Lichendorff,

ganz aus. Mit Worten kann ich nicht beschreiben, was ich dabei empfand.
Ich weinte so aus Herzensgrund, daß ich schluchzte. Mein ganzes Wesen war
davon erfüllt und durchdrungen, und ich begriff nicht, wie mein Hofmeister und
alle Leute im Hause, die doch das alles schon lange wußten, nicht ebenso ge¬
rührt waren, und wie sie auf ihre alte Weise so ruhig fortleben konnten."
Glücklicherweise sorgte der ganze Zuschnitt des elterlichen Haushalts dafür, daß
auch dem Frohsinn der Jugend sein Recht wurde. Zu Tanz und Lustbarkeiten
gab es reichlich Gelegenheit. Schwimmen und Reiten wurde fleißig geübt.
Das väterliche Jagdschloß Suma, das großartige, jetzt in Trümmern liegende
Schloß Tost und eine Menge andrer Ausflugziele der malerischen Umgegend
gaben den Brüdern auch wohl Anlaß, sich als rüstige Fußwandrer zu bezeigen.
Mit Leidenschaft wurde der Jagd und dem Vogelfang obgelegen. So ver¬
strichen die Jahre der Kindheit. Als Eichendorff dreizehn Jahre alt war, wurde
er mit seinem Bruder auf das katholische Gymnasium in Vreslau gebracht,
und nachdem beide dann noch drei Jahre lang Pensionäre in dem damit ver-
bundnen Konvikt gewesen waren, sandte sie der Vater zum Studium der Rechts¬
wissenschaften nach Halle.

Im Mai 1805 langten sie dort an. Es war die Zeit, wo das neue Heil
der Welt die Romantik hieß. In Halle teilte sich damals alles in zwei Haupt¬
lager; Eichendorff nennt sie in seinen Fragmenten: "das stabile der Halb¬
invaliden und das bewegliche der neuen Freikorps," dessen einzelne Gruppen
unter dem Begriffe der Romantik zusammenfielen. An der Spitze der Roman¬
tiker stand der junge, mit hinreißender Beredsamkeit ausgestattete Naturphilosoph
Steffens, von welchem selbst Schleiermacher zu jener Zeit so bezaubert war,
daß er an eine Freundin schrieb, er möchte ihn "anbeten, wenn sich dergleichen
Mann gegen Mann geziemte." Aber von nicht geringerm Interesse war es für
Eichendorff, daß die herzoglich weimarische Theatertruppe während der Bade¬
monate im nahen Lauchstädt Vorstellungen gab, und daß dort hin und wieder
auch Goethe leibhaftig erblickt wurde -- wie Eichendorff sagt --, "als ob die
unsterblichen Götter wieder unter den Sterblichen umherwandelten."

Bekanntlich hatte die Schlacht von Jena die Schließung der Universität
Halle zur raschen Folge. So finden wir denn im Frühjahre 1807 die Brüder
in Heidelberg wieder. Hier war der Brennpunkt der Romantik: Joseph Görres
gab dort eben sein Werk über "die deutschen Volksbücher" heraus; Achin von
Arnim und Clemens Brentano trugen zusammen, was sich noch irgend an alt¬
deutschen Volksliedern auftreiben ließ; "Des Knaben Wunderhorn" ist ja das
erfreuliche Ergebnis dieses fleißigen Sammelns gewesen. Mit allen dreien wurde
Eichendorff aufs innigste befreundet.

Im Frühling 1808 folgte el" Abstecher der Brüder nach Paris, wo sie
in der kaiserlichen Bibliothek auf Görres Wunsch den genauen Texten alt¬
deutscher Handschriften nachforschten. Schon damals hatten die Napoleonischen


Joseph Freiherr von Lichendorff,

ganz aus. Mit Worten kann ich nicht beschreiben, was ich dabei empfand.
Ich weinte so aus Herzensgrund, daß ich schluchzte. Mein ganzes Wesen war
davon erfüllt und durchdrungen, und ich begriff nicht, wie mein Hofmeister und
alle Leute im Hause, die doch das alles schon lange wußten, nicht ebenso ge¬
rührt waren, und wie sie auf ihre alte Weise so ruhig fortleben konnten."
Glücklicherweise sorgte der ganze Zuschnitt des elterlichen Haushalts dafür, daß
auch dem Frohsinn der Jugend sein Recht wurde. Zu Tanz und Lustbarkeiten
gab es reichlich Gelegenheit. Schwimmen und Reiten wurde fleißig geübt.
Das väterliche Jagdschloß Suma, das großartige, jetzt in Trümmern liegende
Schloß Tost und eine Menge andrer Ausflugziele der malerischen Umgegend
gaben den Brüdern auch wohl Anlaß, sich als rüstige Fußwandrer zu bezeigen.
Mit Leidenschaft wurde der Jagd und dem Vogelfang obgelegen. So ver¬
strichen die Jahre der Kindheit. Als Eichendorff dreizehn Jahre alt war, wurde
er mit seinem Bruder auf das katholische Gymnasium in Vreslau gebracht,
und nachdem beide dann noch drei Jahre lang Pensionäre in dem damit ver-
bundnen Konvikt gewesen waren, sandte sie der Vater zum Studium der Rechts¬
wissenschaften nach Halle.

Im Mai 1805 langten sie dort an. Es war die Zeit, wo das neue Heil
der Welt die Romantik hieß. In Halle teilte sich damals alles in zwei Haupt¬
lager; Eichendorff nennt sie in seinen Fragmenten: „das stabile der Halb¬
invaliden und das bewegliche der neuen Freikorps," dessen einzelne Gruppen
unter dem Begriffe der Romantik zusammenfielen. An der Spitze der Roman¬
tiker stand der junge, mit hinreißender Beredsamkeit ausgestattete Naturphilosoph
Steffens, von welchem selbst Schleiermacher zu jener Zeit so bezaubert war,
daß er an eine Freundin schrieb, er möchte ihn „anbeten, wenn sich dergleichen
Mann gegen Mann geziemte." Aber von nicht geringerm Interesse war es für
Eichendorff, daß die herzoglich weimarische Theatertruppe während der Bade¬
monate im nahen Lauchstädt Vorstellungen gab, und daß dort hin und wieder
auch Goethe leibhaftig erblickt wurde — wie Eichendorff sagt —, „als ob die
unsterblichen Götter wieder unter den Sterblichen umherwandelten."

Bekanntlich hatte die Schlacht von Jena die Schließung der Universität
Halle zur raschen Folge. So finden wir denn im Frühjahre 1807 die Brüder
in Heidelberg wieder. Hier war der Brennpunkt der Romantik: Joseph Görres
gab dort eben sein Werk über „die deutschen Volksbücher" heraus; Achin von
Arnim und Clemens Brentano trugen zusammen, was sich noch irgend an alt¬
deutschen Volksliedern auftreiben ließ; „Des Knaben Wunderhorn" ist ja das
erfreuliche Ergebnis dieses fleißigen Sammelns gewesen. Mit allen dreien wurde
Eichendorff aufs innigste befreundet.

Im Frühling 1808 folgte el» Abstecher der Brüder nach Paris, wo sie
in der kaiserlichen Bibliothek auf Görres Wunsch den genauen Texten alt¬
deutscher Handschriften nachforschten. Schon damals hatten die Napoleonischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/460>, abgerufen am 28.09.2024.