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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Lichendorff.

Art war Schloß Lubowitz der Mittelpunkt vielseitigen gastlichen Verkehrs, und
eine Festlichkeit reihte sich an die andre. Nicht minder stattlich waren denn auch
die allerdings nur ausnahmsweise unternommenen Reisen. Als im letzten
Sommer des vorigen Jahrhunderts die ganze Familie in zahlreichen Reisewagen
Karlsbad und Prag besuchte, durfte das herkömmliche Gefolge von Zofen,
Jägern und Heiducken nicht fehlen.

"Wer einen Dichter recht verstehen will -- das sind Eichendorffs Worte --,
muß seine Heimat kennen; auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der
dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt."
Verweilen wir denn einige Augenblicke an der Stätte seiner Kindheit. Schloß
Lubowitz liegt eine Stunde von Ratibor, und zwar auf heiterer Höhe. Weiß
und schlank emporstrebend aus den Wipfeln und Blüten eines schönen Parkes,
der sich hügelab bis an die jugendliche, eben erst schiffbare Oder erstreckt, heben
sich weithin sichtbar seine Formen malerisch von dem dunkeln Hintergrunde der
Karpathen und Sudeten ab. Ganz nahe rauscht jener Wald, dem wir das Lied
verdanken:


O Thäler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andiicht'ger Aufenthalt!

Seine Erziehung, wie die seines zwei Jahre ältern Bruders, leitete als Hof¬
meister ein biedrer katholischer Geistlicher. Für die einzelnen Wissensfächer
sorgten Hauslehrer. Der Bruder war nicht ohne mannichfache Begabung, ins¬
besondre auch für Musik; aber lebhafter noch, trotz mancher träumerischen An¬
wandlung, war doch der Geist des kleinen Joseph. In seinem zehnten Jahre
schon versuchte er sich an einer Nömertragödie, über deren traurigen Inhalt er
beim Niederschreiben selbst in Thränen zerfloß. Als er aber bald darauf über
die alten deutschen Volksbücher und über den Wandsbecker Boten geriet, ver¬
ging ihm der Geschmack an Lust und Leid der Römer, und nun vergaß er
wieder Schlafen, Essen und Trinken über der schönen Magelone und über den
Liedern und Fabeln des treuherzigen Asmus. "Doch mein Hofmeister -- er¬
zählt er selbst --, ein aufgeklärter Mann, kam hinter meine heimlichen Studien
und nahm mir die geliebten Bücher weg. ... Ich bekam nun dafür Campes
Kinderbibliothek; ja, da erfuhr ich denn, wie man Bohnen steckt, sich selber
Regenschirme macht, nebstbei gab es mehre zuckcrbackne edle Handlungen, einige
Elternliebe und kindliche Liebe in Charaden." Eine Epoche, die er selbst
als für sein ganzes Leben entscheidend bezeichnet, löste jene Eruüchterungsperiode
ab. Sein Hofmeister fing nämlich an, ihm alle Sonntage aus der Leidens¬
geschichte Jesu vorzulesen. "Anfangs hörte ich lehr aufmerksam zu -- erzählt
Eichendorff --, dann aber wurde mir das immer wieder abgebrochene Vorlesen
zu langweilig. Ich nahm also das Buch selbst vor und las es für mich allein


Joseph Freiherr von Lichendorff.

Art war Schloß Lubowitz der Mittelpunkt vielseitigen gastlichen Verkehrs, und
eine Festlichkeit reihte sich an die andre. Nicht minder stattlich waren denn auch
die allerdings nur ausnahmsweise unternommenen Reisen. Als im letzten
Sommer des vorigen Jahrhunderts die ganze Familie in zahlreichen Reisewagen
Karlsbad und Prag besuchte, durfte das herkömmliche Gefolge von Zofen,
Jägern und Heiducken nicht fehlen.

„Wer einen Dichter recht verstehen will — das sind Eichendorffs Worte —,
muß seine Heimat kennen; auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der
dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt."
Verweilen wir denn einige Augenblicke an der Stätte seiner Kindheit. Schloß
Lubowitz liegt eine Stunde von Ratibor, und zwar auf heiterer Höhe. Weiß
und schlank emporstrebend aus den Wipfeln und Blüten eines schönen Parkes,
der sich hügelab bis an die jugendliche, eben erst schiffbare Oder erstreckt, heben
sich weithin sichtbar seine Formen malerisch von dem dunkeln Hintergrunde der
Karpathen und Sudeten ab. Ganz nahe rauscht jener Wald, dem wir das Lied
verdanken:


O Thäler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andiicht'ger Aufenthalt!

Seine Erziehung, wie die seines zwei Jahre ältern Bruders, leitete als Hof¬
meister ein biedrer katholischer Geistlicher. Für die einzelnen Wissensfächer
sorgten Hauslehrer. Der Bruder war nicht ohne mannichfache Begabung, ins¬
besondre auch für Musik; aber lebhafter noch, trotz mancher träumerischen An¬
wandlung, war doch der Geist des kleinen Joseph. In seinem zehnten Jahre
schon versuchte er sich an einer Nömertragödie, über deren traurigen Inhalt er
beim Niederschreiben selbst in Thränen zerfloß. Als er aber bald darauf über
die alten deutschen Volksbücher und über den Wandsbecker Boten geriet, ver¬
ging ihm der Geschmack an Lust und Leid der Römer, und nun vergaß er
wieder Schlafen, Essen und Trinken über der schönen Magelone und über den
Liedern und Fabeln des treuherzigen Asmus. „Doch mein Hofmeister — er¬
zählt er selbst —, ein aufgeklärter Mann, kam hinter meine heimlichen Studien
und nahm mir die geliebten Bücher weg. ... Ich bekam nun dafür Campes
Kinderbibliothek; ja, da erfuhr ich denn, wie man Bohnen steckt, sich selber
Regenschirme macht, nebstbei gab es mehre zuckcrbackne edle Handlungen, einige
Elternliebe und kindliche Liebe in Charaden." Eine Epoche, die er selbst
als für sein ganzes Leben entscheidend bezeichnet, löste jene Eruüchterungsperiode
ab. Sein Hofmeister fing nämlich an, ihm alle Sonntage aus der Leidens¬
geschichte Jesu vorzulesen. „Anfangs hörte ich lehr aufmerksam zu — erzählt
Eichendorff —, dann aber wurde mir das immer wieder abgebrochene Vorlesen
zu langweilig. Ich nahm also das Buch selbst vor und las es für mich allein


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[0459] Joseph Freiherr von Lichendorff. Art war Schloß Lubowitz der Mittelpunkt vielseitigen gastlichen Verkehrs, und eine Festlichkeit reihte sich an die andre. Nicht minder stattlich waren denn auch die allerdings nur ausnahmsweise unternommenen Reisen. Als im letzten Sommer des vorigen Jahrhunderts die ganze Familie in zahlreichen Reisewagen Karlsbad und Prag besuchte, durfte das herkömmliche Gefolge von Zofen, Jägern und Heiducken nicht fehlen. „Wer einen Dichter recht verstehen will — das sind Eichendorffs Worte —, muß seine Heimat kennen; auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt." Verweilen wir denn einige Augenblicke an der Stätte seiner Kindheit. Schloß Lubowitz liegt eine Stunde von Ratibor, und zwar auf heiterer Höhe. Weiß und schlank emporstrebend aus den Wipfeln und Blüten eines schönen Parkes, der sich hügelab bis an die jugendliche, eben erst schiffbare Oder erstreckt, heben sich weithin sichtbar seine Formen malerisch von dem dunkeln Hintergrunde der Karpathen und Sudeten ab. Ganz nahe rauscht jener Wald, dem wir das Lied verdanken: O Thäler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andiicht'ger Aufenthalt! Seine Erziehung, wie die seines zwei Jahre ältern Bruders, leitete als Hof¬ meister ein biedrer katholischer Geistlicher. Für die einzelnen Wissensfächer sorgten Hauslehrer. Der Bruder war nicht ohne mannichfache Begabung, ins¬ besondre auch für Musik; aber lebhafter noch, trotz mancher träumerischen An¬ wandlung, war doch der Geist des kleinen Joseph. In seinem zehnten Jahre schon versuchte er sich an einer Nömertragödie, über deren traurigen Inhalt er beim Niederschreiben selbst in Thränen zerfloß. Als er aber bald darauf über die alten deutschen Volksbücher und über den Wandsbecker Boten geriet, ver¬ ging ihm der Geschmack an Lust und Leid der Römer, und nun vergaß er wieder Schlafen, Essen und Trinken über der schönen Magelone und über den Liedern und Fabeln des treuherzigen Asmus. „Doch mein Hofmeister — er¬ zählt er selbst —, ein aufgeklärter Mann, kam hinter meine heimlichen Studien und nahm mir die geliebten Bücher weg. ... Ich bekam nun dafür Campes Kinderbibliothek; ja, da erfuhr ich denn, wie man Bohnen steckt, sich selber Regenschirme macht, nebstbei gab es mehre zuckcrbackne edle Handlungen, einige Elternliebe und kindliche Liebe in Charaden." Eine Epoche, die er selbst als für sein ganzes Leben entscheidend bezeichnet, löste jene Eruüchterungsperiode ab. Sein Hofmeister fing nämlich an, ihm alle Sonntage aus der Leidens¬ geschichte Jesu vorzulesen. „Anfangs hörte ich lehr aufmerksam zu — erzählt Eichendorff —, dann aber wurde mir das immer wieder abgebrochene Vorlesen zu langweilig. Ich nahm also das Buch selbst vor und las es für mich allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/459>, abgerufen am 28.09.2024.