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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

zusammenhangslos mit den Thaten des Herakles in Berührung gebracht wurde.
Daher in ihr die Aufnahme einiger Bilder des orientalischen Mythus ohne
Verständnis für deren Sinn.

Die griechische Sage schließt mit der Selbstverbrennung des Helden ans
dem Scheiterhaufen, aus welcher er verjüngt und rein hervorgeht und zu den
Göttern erhoben wird. Es würde dies einerseits ein Bild sein, welches ver-
sinnlicht, wie die Sonnenglut sich allmählich selbst verzehrt und abnimmt, wenn
der Winter kommt; die über dem Scheiterhaufen sich sammelnden Gewölle
wären dann die winterlichen Lufterscheinungen, in welchen die Sonne ver¬
schwindet, aber zugleich die Unsterblichkeit erwirbt. Sie wird im nächsten Früh¬
jahre neu verklärt ihre Laufbahn beginnen. Anderseits aber dürfte es ein Bild
sein für die Art der Reinigung der von pestartigen Krankheiten befallenen
Gegenden und Städte. Noch heute zündet man bei Pest und Cholera ans den
Straßen der Mittelmeerstädte mächtige Feuer an.

Der Dubarmythns hingegen läßt seinen Helden Heilung suchen bei seinem
Ahn Hasisathra, zu welchem ein Sonnenmythus, wie wir sahen, den Dubar
schon wegen der notwendigen Berührung des Weinkultus leicht führen konnte.
Hasisathra erzählt seinem Epigonen nun vorerst, scheinbar ganz willkürlich, die
Geschichte von der großen Flut. Nehmen wir nun vorläufig an, daß diese
Episode naturmythisch an dieser Stelle nicht wohl zu erklären sei, so müssen
wir immerhin zugeben, daß ein mythenbildendes Volk, einmal durch den Ver¬
lauf seiner Sage der Gestalt eines Hasisathra, als Weinheros, zugeführt, auch
leicht an dessen zweite mythische Eigenschaft eines Überlebers der großen Flut
erinnert werden mußte und veranlaßt werden konnte, diese Flutgeschichte ein-
zuflechten. Ein äußerer Anlaß war entschieden gegeben; ob die Episode auch
innerlich begründet ist, wird eine weitere Untersuchung ergeben. Sehen wir uns
zunächst den merkwürdigen Keilschriftbericht über die Flut selbst an.

Hasisathra, der Xisuthrvs des Berosus, der Noah der Bibel, war wie
dieser gerecht zur Zeit allgemeiner Sündhaftigkeit und erhielt von dem Gotte
Ea im Traum den Befehl, zu seiner eignen und der Seinigen Rettung ein
Schiff zu bauen. "Ich will dir enthüllen, o Jsdubar, die Geschichte meiner
Errettung und dir mitteilen den Ratschluß der Götter. Die Stadt Surrippak
-- du kennst sie -- ist am Euphrat erbaut. Alt war die Stadt, und nicht
ehrte man dort die Götter; ich allein diente ihnen, den großen Göttern. Die
Götter hielten Rat, berufen von Ann. Eine Sintflut wurde vorgeschlagen von
Bel und gebilligt von nahm, Nergal und Adar. Und der Gott Ea, der un¬
wandelbare Herr, verkündete mir wiederholt ihren Befehl im Traume. Ich
lauschte dem Schicksalsspruch, den er kund that, und er sprach zu mir: Mann
Surrippaks! Sohn Ubaratutus! Baue ein Schiff und vollende es schnell.
Durch eine Flut will ich vernichten den Samen und das Leben. So lasse
denn besteigen das Schiff den Samen von allem, was Leben hat. Das Schiff,


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

zusammenhangslos mit den Thaten des Herakles in Berührung gebracht wurde.
Daher in ihr die Aufnahme einiger Bilder des orientalischen Mythus ohne
Verständnis für deren Sinn.

Die griechische Sage schließt mit der Selbstverbrennung des Helden ans
dem Scheiterhaufen, aus welcher er verjüngt und rein hervorgeht und zu den
Göttern erhoben wird. Es würde dies einerseits ein Bild sein, welches ver-
sinnlicht, wie die Sonnenglut sich allmählich selbst verzehrt und abnimmt, wenn
der Winter kommt; die über dem Scheiterhaufen sich sammelnden Gewölle
wären dann die winterlichen Lufterscheinungen, in welchen die Sonne ver¬
schwindet, aber zugleich die Unsterblichkeit erwirbt. Sie wird im nächsten Früh¬
jahre neu verklärt ihre Laufbahn beginnen. Anderseits aber dürfte es ein Bild
sein für die Art der Reinigung der von pestartigen Krankheiten befallenen
Gegenden und Städte. Noch heute zündet man bei Pest und Cholera ans den
Straßen der Mittelmeerstädte mächtige Feuer an.

Der Dubarmythns hingegen läßt seinen Helden Heilung suchen bei seinem
Ahn Hasisathra, zu welchem ein Sonnenmythus, wie wir sahen, den Dubar
schon wegen der notwendigen Berührung des Weinkultus leicht führen konnte.
Hasisathra erzählt seinem Epigonen nun vorerst, scheinbar ganz willkürlich, die
Geschichte von der großen Flut. Nehmen wir nun vorläufig an, daß diese
Episode naturmythisch an dieser Stelle nicht wohl zu erklären sei, so müssen
wir immerhin zugeben, daß ein mythenbildendes Volk, einmal durch den Ver¬
lauf seiner Sage der Gestalt eines Hasisathra, als Weinheros, zugeführt, auch
leicht an dessen zweite mythische Eigenschaft eines Überlebers der großen Flut
erinnert werden mußte und veranlaßt werden konnte, diese Flutgeschichte ein-
zuflechten. Ein äußerer Anlaß war entschieden gegeben; ob die Episode auch
innerlich begründet ist, wird eine weitere Untersuchung ergeben. Sehen wir uns
zunächst den merkwürdigen Keilschriftbericht über die Flut selbst an.

Hasisathra, der Xisuthrvs des Berosus, der Noah der Bibel, war wie
dieser gerecht zur Zeit allgemeiner Sündhaftigkeit und erhielt von dem Gotte
Ea im Traum den Befehl, zu seiner eignen und der Seinigen Rettung ein
Schiff zu bauen. „Ich will dir enthüllen, o Jsdubar, die Geschichte meiner
Errettung und dir mitteilen den Ratschluß der Götter. Die Stadt Surrippak
— du kennst sie — ist am Euphrat erbaut. Alt war die Stadt, und nicht
ehrte man dort die Götter; ich allein diente ihnen, den großen Göttern. Die
Götter hielten Rat, berufen von Ann. Eine Sintflut wurde vorgeschlagen von
Bel und gebilligt von nahm, Nergal und Adar. Und der Gott Ea, der un¬
wandelbare Herr, verkündete mir wiederholt ihren Befehl im Traume. Ich
lauschte dem Schicksalsspruch, den er kund that, und er sprach zu mir: Mann
Surrippaks! Sohn Ubaratutus! Baue ein Schiff und vollende es schnell.
Durch eine Flut will ich vernichten den Samen und das Leben. So lasse
denn besteigen das Schiff den Samen von allem, was Leben hat. Das Schiff,


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[0448] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. zusammenhangslos mit den Thaten des Herakles in Berührung gebracht wurde. Daher in ihr die Aufnahme einiger Bilder des orientalischen Mythus ohne Verständnis für deren Sinn. Die griechische Sage schließt mit der Selbstverbrennung des Helden ans dem Scheiterhaufen, aus welcher er verjüngt und rein hervorgeht und zu den Göttern erhoben wird. Es würde dies einerseits ein Bild sein, welches ver- sinnlicht, wie die Sonnenglut sich allmählich selbst verzehrt und abnimmt, wenn der Winter kommt; die über dem Scheiterhaufen sich sammelnden Gewölle wären dann die winterlichen Lufterscheinungen, in welchen die Sonne ver¬ schwindet, aber zugleich die Unsterblichkeit erwirbt. Sie wird im nächsten Früh¬ jahre neu verklärt ihre Laufbahn beginnen. Anderseits aber dürfte es ein Bild sein für die Art der Reinigung der von pestartigen Krankheiten befallenen Gegenden und Städte. Noch heute zündet man bei Pest und Cholera ans den Straßen der Mittelmeerstädte mächtige Feuer an. Der Dubarmythns hingegen läßt seinen Helden Heilung suchen bei seinem Ahn Hasisathra, zu welchem ein Sonnenmythus, wie wir sahen, den Dubar schon wegen der notwendigen Berührung des Weinkultus leicht führen konnte. Hasisathra erzählt seinem Epigonen nun vorerst, scheinbar ganz willkürlich, die Geschichte von der großen Flut. Nehmen wir nun vorläufig an, daß diese Episode naturmythisch an dieser Stelle nicht wohl zu erklären sei, so müssen wir immerhin zugeben, daß ein mythenbildendes Volk, einmal durch den Ver¬ lauf seiner Sage der Gestalt eines Hasisathra, als Weinheros, zugeführt, auch leicht an dessen zweite mythische Eigenschaft eines Überlebers der großen Flut erinnert werden mußte und veranlaßt werden konnte, diese Flutgeschichte ein- zuflechten. Ein äußerer Anlaß war entschieden gegeben; ob die Episode auch innerlich begründet ist, wird eine weitere Untersuchung ergeben. Sehen wir uns zunächst den merkwürdigen Keilschriftbericht über die Flut selbst an. Hasisathra, der Xisuthrvs des Berosus, der Noah der Bibel, war wie dieser gerecht zur Zeit allgemeiner Sündhaftigkeit und erhielt von dem Gotte Ea im Traum den Befehl, zu seiner eignen und der Seinigen Rettung ein Schiff zu bauen. „Ich will dir enthüllen, o Jsdubar, die Geschichte meiner Errettung und dir mitteilen den Ratschluß der Götter. Die Stadt Surrippak — du kennst sie — ist am Euphrat erbaut. Alt war die Stadt, und nicht ehrte man dort die Götter; ich allein diente ihnen, den großen Göttern. Die Götter hielten Rat, berufen von Ann. Eine Sintflut wurde vorgeschlagen von Bel und gebilligt von nahm, Nergal und Adar. Und der Gott Ea, der un¬ wandelbare Herr, verkündete mir wiederholt ihren Befehl im Traume. Ich lauschte dem Schicksalsspruch, den er kund that, und er sprach zu mir: Mann Surrippaks! Sohn Ubaratutus! Baue ein Schiff und vollende es schnell. Durch eine Flut will ich vernichten den Samen und das Leben. So lasse denn besteigen das Schiff den Samen von allem, was Leben hat. Das Schiff,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/448>, abgerufen am 27.06.2024.